1{Rachel}

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Es war ein besonders heißer Sommertag und ich lag mit dem Rücken auf meinem Surfbrett. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich, wie so oft auch, auf meinem Surfbrett über das Wasser treiben. Es war ein Tag wie jeder andere auch, mit dem einzigen Unterschied, dass das hier wohl das letzte Mal sein würde in nächster Zeit. Morgen würden wir abreisen. Mum, Jason und ich würden unser Zuhause, hier in Florida am Strand, hinter uns lassen und ins weit entfernte New York ziehen. Mum erhielt vor zwei Monaten ein Jobangebot in einem fünf Sterne Hotel. Dort hätte sie die Möglichkeit, sich zur Chefköchin hochzuarbeiten und abgesehen davon wartete eine mehr als nur faire Bezahlung auf sie, die uns finanziell entlasten würde. Vor einigen Monaten hatte Mum an einem Kochwettbewerb teilgenommen und den dritten Platz erzielt, seit jeher erhielt sie mehrere Jobangebote. Viele dieser Angebote erwiesen sich als eine bessere alternative, als ihr momentaner Job. Sie arbeitete in einem Restaurant in der Stadt. Die Bezahlung war nicht wirklich zufriedenstellend, was zugrunde hatte, dass sie nebenbei noch in der Postfiliale, hier bei uns im Ort aushalf. Es war nicht so, dass sie alleine für unsere Kosten aufkam. Vor etwa einem Jahr hatte ich damit angefangen, neben der Schule Surfkurse zu leiten und Jason half schon länger in einem Laden für Bauzubehör aus. Aber wie dem auch sei, die schlechte Bezahlung war nicht alles, das Mum's bisherigen Job so ätzend machte, denn sie hatte keine Chance sich in ihrem Beruf zu entfalten. Mum liebte es neue Dinge zu probieren und neue Geschmacksrichtungen zu kreieren, aber das konnte sie dort eben nicht. Dort musste alles stets nach Rezept ablaufen, auch wenn diese zu wünschen übrig ließen. Also verstand ich ihre Entscheidung dafür, das Jobangebot in New York, anzunehmen. Sie musste nicht länger zwei Jobs ausüben und hatte die Möglichkeit, vorne mitzuarbeiten und sich dadurch in ihrem Beruf frei entfalten zu können. So sehr ich also auch versuchte, mich für sie zu freuen, es gelang mir einfach nicht wirklich, zumindest nicht so wie ich es als ihre Tochter sollte. Mein leben lang habe ich hier ich Florida gewohnt, in unserem Haus. Hier hatte ich das Meer vor der Tür und konnte mich meinem Hobby, dem Surfen hingeben, wann immer ich wollte. Meine ganzen Freunde lebten hier und hier hatte ich alles was ich wollte, alles was ich brauchte. Ich war so sehr in Gedanken vertieft, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie Jenny, meine beste Freundin, an meinem Surfbrett rüttelte.
„Erde an Rachel?" Letztendlich drang ihre flötende Stimme zu mir durch und ich setzte mich auf meinem Brett auf. Sie hatte sich ebenfalls auf ihrem Brett aufgesetzt und drehte sich auf dem Wasser so, dass sie mich direkt anblicken konnte.
„Komm schon, kein Trübsal blasen. Wir müssen unseren letzten Tag, für wer weiß wie lang, genießen! Eine letzte schöne Erinnerung, die die letzten Tage, die wir elendig zusammen geweint haben, in den Hintergrund rücken lässt." Sie war ganz offensichtlich die Optimistin unter uns beiden und ich wusste sie hatte recht, auch wenn ich mich am liebsten heulend in mein Bett verkriecht hätte. Ich hatte die Chance diesen letzten Tag mit meiner besten Freundin zu verbringen, anstatt einen weiteren und auch zugleich den letzten Tag mit trauern zu verschwenden.
„Na gut, du hast recht! Sollen wir die nächste Welle gemeinsam reiten?", fragte ich sie also und glücklich stimmte sie ein.

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Ich musste noch einige Sachen zusammenpacken, weshalb ich heute früher Nachhause musste, als mir lieb war. Jenny wollte mit rüber und mir helfen, aber ich versicherte ihr, dass es schon in Ordnung wäre, schließlich wusste ich, dass heute der Geburtstag ihrer Oma war. Würde unser Umzug nicht anstehen, dann wäre ich mit ihr auf den Geburtstag ihrer Oma gegangen, so wie wir es immer taten. Meine Großeltern verstarben alle ziemlich früh und auch sonst hatten Mum, Jason und ich nur uns, daher war ich umso glücklicher, dass ich mit ihrer Familie so gut auskam. Ich wusste nicht, wie sich mein Verhältnis zu Jenny oder ihrer Familie verändern würde, wenn ich nicht mehr hier wohnen würde, aber ich hoffte, dass der Umzug unsere Freundschaft verschonen würde. Somit ließ ich mich erschöpft und frustriert auf mein Bett fallen. Mir schossen unendlich viele Gedanken durch den Kopf, als ich an die Decke starrte und ich wusste jetzt schon, dass ich diese Nacht wohl eher kein Auge zu bekommen würde. Es war die letzte Nacht. Die letzte Nacht, die ich in diesem Zimmer, in diesem Haus verbringen würde, die letzte Nacht, in der ich hier in Florida sein würde und auch die letzte Nacht, bevor ich morgen mein altes Leben hinter mir lassen müsste und in ein neues starten würde. Ich fragte mich, was ich wohl  in New York den ganzen Tag tun würde. Immerhin befand sich unsere Wohnung weit entfernt vom Meer und meine Freunde würden tausende von Kilometern weit weg wohnen.

Kopfschüttelnd stand ich wieder auf, um nun endlich den Rest einzupacken. Ich hielt eine der Auszeichnungen, die ich durch das Surfen verdient hatte, in der Hand. Mit fünf Jahren fing ich mit dem Surfen an und seitdem habe ich auch nie wirklich damit aufgehört. Mein Vater war ebenfalls leidenschaftlicher Surfer. Er nahm mich immer mit an den Strand. Anfangs durfte ich nur auf seinem Surfbrett sitzen und irgendwann brachte er mir bei, wie man auf einem Surfbrett stand und dann machte er aus mir eine echte Surferin. Ich war damals so stolz auf mich, schließlich war ich genau wie mein Vater und wir verbrachten viel Zeit zusammen, mehr als mit Mum oder Jason. Zwischen uns entwickelte sich, durch unsere gemeinsame Leidenschaft fürs Surfen, eine ziemlich enge Vater-Tochter-Beziehung. Immer wenn ich Rat benötigte, oder Neuigkeiten zu verkünden hatte, dann ging ich immer zuerst zu ihm. Und dann eines Tages war er weg. Er hatte keinen Brief hinterlassen oder sonstiges, er war einfach weg. Durch Mum erfuhren Jason und ich, dass er mit einer anderen Frau durchgebrannt war und dass sie in New York lebten. Das hatte ich nie wirklich nachvollziehen können. Er schien keine Anzeichen zu machen, dass er mit uns nicht glücklich war, ganz im Gegenteil und dann ist er einfach nach New York gezogen. Nach New York, wo sein Herz doch für das Meer und das Surfen geschlagen hat und für uns, zumindest dachte ich das damals. Jedenfalls war das Ganze jetzt mehr als 9 Jahre her. Diese ganzen Erinnerungen an damals, warfen in mir die Fragen auf, ob er wohl noch immer dort wohnen würde und ich ihm dort wohl begegnen würde. Ich wusste es nicht und ich wusste nicht einmal, ob ich ihn wieder erkennen würde, wenn ich ihm begegnen würde. Außerdem wusste ich nicht, ob ich das überhaupt wollte, letztendlich nahm er, als er uns verlassen hatte so viel mehr mit sich, als er wohl möglich vermutet hat. Ich war fix und fertig gewesen und dann irgendwann redete ich mir ein, dass er wieder kommen würde und ich saß jeden Abend lang wach im Bett, in der Hoffnung, dass das Alles bloß ein blöder Scherz war. Aber so war es nicht, er kam nie zurück, es geschah nie. Ich war so sauer auf ihn, dass ich nie wieder surfen wollte, die eine Sache die ich so sehr geliebt hatte, hatte ich mit ihm geteilt und er hatte mir die Freude daran genommen. Letzten Endes fing ich durch Jenny wieder damit an und ich verband es nicht länger mit meinem Vater, sondern mit meiner besten Freundin, mit unserer Freundschaft. Ich hoffte einfach, dass unsere enge Freundschaft weiterhin bestehen würde, auch wenn wir nicht mehr zusammen surfen konnten.

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Hey, es freut mich, dass du auf meine Geschichte gestoßen bist. Ich habe damit angefangen, die ersten Kapitel zu überarbeiten. Schließlich hatte ich dieses Buch vor fast 7 Jahren angefangen zu schreiben. Innerhalb dieser Zeit hat sich mein Schreibstil um einiges verbessert und dementsprechend möchte ich die alten Kapitel auch überarbeiten. Also solltest du dieses Buch lesen, noch bevor die nächsten Kapitel überarbeitet wurden, dann lass mich dir sagen, es wird mit jedem Kapitel weitaus besser. Ich hoffe, du findest dennoch gefallen an meiner Geschichte und kannst bei den nächsten Kapiteln ein Auge zudrücken. :)

Liebe Grüße und weiterhin viel spaß beim lesen.
Cinderel1la

Ever afterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt