Verräter

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Ich schrie. Ich schrie ihren Namen.
Ich merkte es nicht einmal wie der schrille Schrei meine Lippen verließ.
Ich hatte nur Augen für meine kleine Schwester.
Mit großen, ungläubigem Augen sah sie Cole an, ihr Blick glitt auf die Klinge in ihrer Brust.
Sie öffnete den Mund, Blut sickerte aus ihrem Rachen ihr Kinn hinab und ein Gurgeln ertönte als sie erschrocken versuchte nach Luft zu schnappen.
Isleys Lippen bebten in einem stummen Schmerzenschrei, Blut rann die Klinge hinunter, formte glänzende Rinnsale, befleckte Coles Hände raue Hände.
Zitternd stand sie da, unfähig sich zu bewegen, alles was sie noch aufrecht hielt, war das Schwert in ihrem Brustkorb.
Das Schwert mit welchem ihr eigener Bruder zugestoßen hatte.
Die Spitze war aus ihrem Rücken wieder ausgetreten, ihr Brustkorb zertrümmert, ihre Lunge zerstört, ihr Herz durchbohrt.
Unbeweglich stand Cole vor ihr.
Nichts die kleinste Spur Wärme war in seinen Augen zu sehen, beinahe unbeweglich, teilnahmslos sah er sie einfach nur von oben herab an.
Da war kein Mitleid, nicht einmal die der Hauch eines Gefühls in seinem Blick, für das was er getan hatte.
Keine Reue.
Dann zog er das Schwert mit einem einzigen, kräftigen Ruck aus ihrem Körper.
Mit einem ekelhaften Ratschen verließ die Klinge ihre Brust, hinterließ einen klaffenden Spalt.
Sie keuchte auf, Schmerz verzog ihre hübschen Züge, verzerrte sie ins Unkenntliche.
Blut sprudelte aus der Wunde, befleckte ihre Kleidung, färbte sie dunkel, rot wie die wallenden Umhänge Camelots.
Sie taumelte ein paar Schritte nach hinten, ins kalte, graue Wasser.
Wie eine Puppe, der man die Fäden durchtrennte, klappte sie im seichten Ufer zusammen.
Isley fiel in die Knie, ihr Blick war immer noch auf das blutverschmierte Schwert in Coles Hand gerichtet.
Unglauben schimmerte in ihren Augen, ihr Mund stand weit offen.
Ich konnte mich nicht bewegen, war wie erstarrt.
Der kalte Wind strich über meine nassen Wangen, ließ die Tränen zu Eis werden, die wenigen Vögel in den Bäumen waren verstummt, hatten ihren kläglichen Gesang unterbrochen, die ganze Welt wurde still, hielt erdrückend die Luft an, nur meine leidenden Schreie zerissen die heilige Stille.
Ich sah sie fallen, schrie weiter, war auf einmal neben ihr, Wasser umspielte uns, durchtränkte meine Kleidung, ließ meine Glieder taub werden.
Weinend barg ich ihren dunklen, nassen Kopf hilflos in meinem Schoß.
Isley schnappte verzweifelt nach Luft, Blut breitete sich in Strömen aus der riesigen Wunde in ihrem Brustkorb aus.
Gänsehaut überzog ihre Arme, als die eiskalten Wellen auf sie ein schwappten.
Blutiger Schaum klebte an ihrem Mund, sie röchelte, ich sah das viele Blut und doch wollte ich es nicht begreifen.
Ich griff nach ihrer Hand, wollte ihr beistehen, ihr das Gefühl nehmen, allein zu sein.
Sie brach mir fast die tauben, vor Blut klebenden Finger, so fest klammerte sie sich an mich, als wäre ich ihre einzige noch bestehende Verbindung zur Welt der Lebenden.
Tränen rannen in Strömen meine Wangen hinunter, ich krächzte immer wieder ihren Namen, schluchzte, wiederholte immer wieder die selben Worte, meine Ohren dröhnten.
Ich merkte es nicht, meine Gedanken waren leer gefegt.
Nichts zählte mehr in diesem Moment, nur noch meine kleine, unschuldige, zuckende Schwester auf dem Boden, ihr Gewicht in meinen schmerzenden Armen, ihr pfeifender Atem den sie hoffnungslos versuchte zu holen.
Isley wand sich in Todeskrämpfen, kämpfte gegen den Tod an, ihre Augen weiteten sich immer wieder schmerzerfüllt.
Ihre blassen Finger gruben sich in den Uferschlamm, suchten verzweifelt Halt, irgendetwas zum Festhalten, während die Welt über ihr zusammenbrach.
Ihre schönen blauen Augen spiegelten den grauen Himmel wieder, fingen das erste Tageslicht auf, als die wenigen Wolken aufrissen um ihre gequälte Seele zu empfangen.
Panisch sah sie mich an, die blanke Furcht stand in ihrem Blick geschrieben, die Angst vor dem Ungewissen.
Blut sickerte in den feuchten Sand, vermischte sich mit dem Wasser des Sees und formte eine rubinrote Lache um uns herum.
Leise schwappten die Wellen um ihren Körper, hüllten sie in einen rubinroten Umhang, wie ein Fächer breiteten sich ihre dunklen, langen Haare hinter ihr im seichten Wasser aus.
Ein Farbenspiel aus tiefem rot, eisengrau und schwarz.
Sagte man nicht immer Blut sei dicker als Wasser?
Da hatte ich mich wohl gründlich geirrt.
Genau wie Isley und nun musste sie den ultimativen Preis zahlen.
Der Himmel stürzte auf sie nieder, begrub sie unter sich, ließ sie das Leiden von Generationen von Verlorenen und Verrratenen spüren.
Isleys Körper hob sich unkontrolliert, sackte tiefer in den Schlamm, ihre Augen irrten umher, konnten sich nicht mehr auf irgendetwas fokusieren, suchten immer und immer wieder.
Eine einzelne Tränen rollte aus ihrem Augenwinkel, rann langsam ihre Wange hinab, glitzerte wie blanke Diamanten im Licht des anbrechenden Tag, vermischte sich bedächtig mit ihrem eigenen Blut und verlor sich im dahingleitenden See.
Die brennende Flamme des Lebens in ihrem Körper schwand langsam, wurde zu einem letzten, schwachen Glimmen in ihren Augen.
Das Licht darin schwand, erlosch so sanft, wie Kohlen verglühten.
Wehklagend hockte ich am Ufer, hielt meine sterbende Schwester im Arm, umklammerte sie fest.
Umklammerte einen Engel.
Isleys Augen weiteten sich, sie wurden riesig, als ihr zerissenes Herz den bereits verlorenen Kampf aufgab, sich selbst zum Stillstand verdammte, in einem stummen Seufzer kapitulierte, meine Schwester von ihrer unendlichen Qual erlöste.
Dann starrte blicklos sie zum grauen Himmel empor, da wo die Sterne langsam und sanft verblassten, ihre lilanen Lippen waren leicht geöffnet, wie vor stummen Entzücken, ein leises Lächeln um die Mundwinkel.
Doch es gab nichts mehr was sie hätte sehen konnte.

Ich schrie.
Ich schrie ohne Pause, schrie ihren Namen, schüttelte sie verzweifelt.
Doch sie regte sich nicht mehr, das Licht war erloschen, gegangen.
Die Vögel fingen wieder an zu singen, stimmten einen klagenden Trauergesang an, die Blätter wiegten sich sanft im Wind, die Wellen trugen ihren leblosen Körper, wollten meine Schwester mit sich nehmen, sie mit dem Wasser fließen lassen.
Der Schmerz raubte mir den Atem, glühte in meinen Adern, trug die Qual durch jede einzelne Körperzelle.
Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, ich fühlte nur noch diesen grenzenlosen Schmerz, der in meinem Herzen stach, die Schuldgefühle die ohne Pause auf mich einschlugen und mir die Luft abschnürten.
Mit zitternden und blutbesudelten Finger schloss sanft ich ihre Lider, nun sah sie aus als würde sie schlafen, schwebte inmitten der Dämmerung auf der glitzernden Oberfläche, ein leises Lächeln auf den Lippen.
Es war meine Schuld.
Alles war meine Schuld.
Meine übergroße Schuld.
Ich sah auf.
Da stand er.
Bewegunglos gegen den grauen Himmel, wie eine Statue mit einem Herzen aus Stein.
Dort stand der Mörder meiner Schwester.
Dort stand mein Bruder, am Ufer und starrte mir in die Augen.
Der Verräter.
Wut stieg in mir, brauste in roten Wellen über mich herein.
Ich stürzte mich schreiend auf Cole, ließ den vollen Schmerz aus mir heraus.
Ungerührt wich er zurück, sprang zur Seite als ich über ihn her fiel, stieß mich ohne mit der Wimper zu zucken von sich, das Schwert fest umklammert, Blut klebte rot glühend daran.
Das Blut meiner Schwester.
Unserer Schwester.
Ich schrie, schrie ihm all meine Wut und Trauer entgegen.
Ich wollte Rache.
Ich würde ihn in Stücke reißen.
Er war nicht mehr mein Bruder.
Meine Familie war tot, endgültig.
Ich trat auf ihn zu, die Zähne gebleckt, mein Gesicht eine einzige Fratze aus Tränen, tiefer Trauer und ungebändigtem Zorn.
Ich hob die Hand, griff nach dem Drachen in mir.
Ich würde ihm die Kehle aufreißen, würde ihn bluten sehen für das was er getan hat.
Auf einmal verlor ich den Boden unter den Füßen, wurde durch die Luft geschleudert, fühlte mich für einen Moment schwerelos, dann prallte ich hart auf der Erde auf.
Benommen hob ich den Blick, zischend war mein Atem aus meiner Lunge gepresst wurden, mein Schädel schmerzte, mein Sichtfeld verschwamm.
Morgana stand über mir, ihre Augen kalt und siegessicher, eine einzige Gestalt aus Mamor, schwarz und weiß, ohne jegliche Farbe.
In der Hand hielt sie eine silberne Kette mit einem rubinen Anhänger, die in dem wenigen Licht gefährlich funkelte.
Wie Blut.
"Bist du wirklich so dumm Skye?", fragte sie grinsend, ihr Tonfall wie klirrendes Eis.
Zu spät erkannte ich, was sie da eigentlich hielt.
Es ging alles ganz schnell.
Ein glühender Dolch bohrte sich in meinen Verstand, löschte alles aus.
Meine Gedanken verstummten.

A piece of heaven ~ a Merlin FfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt