Er war weg. "Wie weg?", fragte ich meine Mutter. Retorische Frage.
Entweder war er in irgendeiner Bar oder bei dem Grab meiner Schwester,denn Arbeiten tut er an Donnerstagen nie. Ersteres wäre allein für die Uhrzeit schon schlimm genug und wenn er von letzterem wiederkommt, möchte ich mir gar nicht ausmalen was hier los ist.
Auch wenn weder meine Schwester, noch ich eine gute Beziehung zu meinem Vater haben, liebt er uns trotzdem. Schließlich sind wir seine Kinder. Und als sein eigen Fleisch & Blut sollte er uns doch schließlich lieben oder?
Trotz dass er mir es nie zeigt, spüre ich seine Vaterliebe. Ich weiß, dass er jeden Abend bevor er schlafen geht nochmal kurz in mein Zimmer sieht. Um zu gucken ob ich noch da bin. Ob es mir gut geht. Was auch immer das heißen mag.
Aber ich denke, dass wenn ich mich auch verabschieden würde, er das nicht mehr aushalten könnte. Das könnte ich mir auch nicht vorstellen. Später beide Kinder zu verlieren."Ich habe Angst..", wimmerte meine Mutter ganz leise und ich strich ihr kurz sanft über den Kopf.
"Ich auch..hoffen wir einfach, dass es nicht allzu schlimm wird.", noch im selben Moment bemerkte ich wieder wie unglaublich schlecht ich darin war jemandem Mut zuzusprechen. Nein, echt. Das konnte ich noch nie gut. Und das tat mir für meine Mutter so unendlich leid."Geh runter und mach dir was warmes zu trinken. Bis er wiederkommt, bin ich auch da, okay?", riet ich ihr und sie nickte.
"Ach ich hab noch so viel zu tun..Ich muss noch Essen vorbereiten, Bügeln, Putzen..oh ja Putzen, ganz wichtig.", murmelte sie plötzlich aufgeregt beim rausgehen vor sich hin und ihre Stimme wurde immer leiser.
Sie tat mir so unendlich leid. Das beste für sie wäre, wenn sie meinen Vater verlassen würde, aber das könnte sie aus Liebe zu ihm nicht.Nun stand ich also in de Zimmer meiner Schwester. Das Zimmer, von dem ich mich eigentlich immer recht fern halte.
Mein Blick ging ihre Wand entlang. Sie hatte sich eine große Fotowand aufgehangen und es waren bestimmt über 200 der klein ausgeschnittenen bunten Bilder. Bilder wo sie lachte, mit ihren Freundinnen und ja auch Bilder von ihr und mir.
Ich hatte mir die Fotos nie genau angesehen aber plötzlich bemerkte ich etwas seltsames. Auf einem Foto, wo wir beide schräge Grimassen machten, hing eine Ecke etwas ab.
Ich konnte mich noch gut an den Tag erinnern. Tagesausflug nach Kiel. Bestimmt schon 3 Jahre her. Eigentlich sind wir den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen aber Abends hatten wir noch einen Abstecher zum Leuchtturm gemacht. Dort oben ist das Foto entstanden.
Unsere Gesichter groß aufgenommen und im Hintergrund die Weite.
Ich ging näher an das Bild heran und hob die angesprungene Ecke etwas an. Etwas Tinte war an der Ecke ausgelaufen und ich zögerte kurz, nahm das Foto aber schließlich von der Wand.
Tatsächlich war auf der Rückseite etwas geschrieben. Das war zwar definitiv die Schrift meiner Schwester, jedoch unglaublich unordentlich. Eigentlich wollte ich das nicht lesen aber es dauerte nur wenige Sekunden bis ich meinen Namen im ersten Satz entdecke.Fabi.. Wenn du das gefunden hast, dann ist wahrscheinlich schon sehr viel Zeit vergangen. Vielleicht zieht ihr ja zu diesem Zeitpunkt um und Dad hat dir aufgetragen meine Wand abzuhängen. Was auch immer. Was ich getan habe tut immer unglaublich leid und ich wollte dich auch nie verletzen oder alleine mit ihm lassen.. Behalte dieses Foto. Geh damit zu Jesse. Ich hab keine Zeit dir mehr zu sagen.. Es tut mir unendlich leid, Bruderherz..
Es tat weh. Etwas zu lesen was sie an mich gerichtet hatte. In ihren letzten Stunden. Oder doch nur Minuten?
Mittlerweile saß ich auf ihrem Bett und es fühlte sich ein wenig unangenehm an. Als wäre sie noch hier und würde gleich hereinplatzen, mich beim stöbern in ihren Sachen zu erwischen. Aber das hier war echt an mich gerichtet.
Ich erwischte mich sogar dabei wie mir eine Träne über die Wange lief. Spürte wie sich alles in mir zusammenzog. Wie sich mein Körper plötzlich bleischwer anfühlte und ich kaum noch Luft bekam. Ich fiel in mir zusammen. Legte mich hin. Konnte keine Kraft mehr sammeln mich aufzurichten.
Ich öffnete meine Augen einen kurzen Spalt und sah zum Fenster.
Die Sonne schien mit einem Orange-Stich durch das Fenster und tauchte das Zimmer in eine warme Atmosphäre. Trotzdem hatte ich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper.
Ich fing mich relativ schnell wieder und stand auf. Ich würde es heute nicht mehr zu Jesse schaffen, also was das mein Plan für morgen.
Das Foto knickte ich vorsichtig und schob es in meine Hosentasche. Dann verließ ich das Zimmer wieder und ging mit leisen Schritten die Treppe runter in die Küche.
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Manchmal. Vielleicht.
Teen FictionWenn einem etwas bestimmtes im Leben passiert, kann es von heute auf morgen ganz anders werden. Die Freude im Leben verschwindet, die Hoffnung stirbt und man gibt sich selbst jeden Tag ein bisschen mehr auf. Doch was ist der Auslöser für sowas? Das...