„Mama? Ich bin zu Hause." Schwungvoll feuerte ich den Schlüssel in die dafür vorgesehene Schale auf der Kommode neben der Haustür und stellte den mitgebrachten Kuchen daneben ab.
Ich hatte extra früher Feierabend gemacht, da ich mir bei meinem letzten Besuch jede Menge Vorwürfe anhören durfte, dass ich ja nie Zeit für meine Mutter hätte. Das Problem kannte wohl jede Tochter, aber meine Mutter war ein ganz besonders hartnäckiger Fall. Selbst wenn ich den ganzen Tag mit ihr verbringen würde, könnte ich mir mit Sicherheit trotzdem noch anhören, was für eine unglaublich selbstsüchtige Tochter ich wäre, weil ich mir so etwas wie ein eigenes Leben aufgebaut hatte.
Ich konnte mich noch sehr gut an das Drama erinnern, als ich vor drei Jahren auszog. Fort von zu Hause und hinaus in den Großstadtdschungel. Fast zwei Monate hatte meine Mutter deswegen geschmollt und nicht mehr mit mir geredet. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass die Fahrtzeit von meiner Wohnung bis zu ihr gerade einmal fünfunddreißig Minuten betrug und ich sie mindestens drei Mal in der Woche besuchen fuhr. Das reichte für sie jedoch nicht aus.
Durch die Trennung von meinem Vater fühlte sie sich natürlich einsam. Vollkommen verständlich. Aber ich konnte nicht verstehen, wieso sie mir nicht auch ein wenig Freiraum zugestand. Es kam mir so vor, als ob ich die Verpflichtung hätte mit ihr zu leiden. Im Gegensatz zu ihr würde ich aber nicht den Rest meines Lebens im Bett liegen und einer Liebe hinterher trauern, die keine Zukunft hatte.
„Mama?", rief ich wieder die Treppe hinauf. Sie redete ja nie sehr viel mit mir, aber das so gar keine Antwort kam, war schon sehr ungewöhnlich. Es gab eigentlich nur einen Ort im Haus, an dem sie sein konnte. Das Wohnzimmer, die Küche oder gar den Garten hatte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr betreten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lag sie im Bett und weinte, tobte vor Wut oder trauerte im Wechsel. Ich hatte lange genug Zeit mich an die Tatsache zu gewöhnen, dass sie eine gebrochene Frau war.
Des Öfteren versuchte ich mich an die Zeit zurück zu erinnern, als wir noch eine glückliche Familie waren. Meine Eltern verliebt und strahlend schön, mit mir auf dem Arm - fast wie aus einem Bilderbuch. Es kam mir so surreal vor, da die Frau, die ich seit Jahren nur mit fettigem Haar und verquollenem Gesicht kannte, so gar nichts mehr mit der Frau auf den Familienfotos gemeinsam hatte. Sie war das perfekte Beispiel dafür, wie die unerwiderte Liebe einen Menschen zerstören kann.
Ich zog meine Jacke aus, hängte sie ordentlich an die Garderobe und ging die Treppe hinauf. Die Stille war geradezu unheimlich und das Gefühl wurde noch von den knarzenden Stufen verstärkt. Als ich fast das Treppenende erreicht hatte rief ich noch einmal lauter: „Mama? Alles OK? Ich habe heute ganz viel Zeit und deinen Lieblingskuchen mitgebracht."
Keine Antwort.
Vielleicht schläft sie einfach nur, versuchte ich mein ungutes Gefühl zu beruhigen. An ihrer Schlafzimmertür angekommen, klopfte ich und öffnete dann die Tür.
Das Erste, was mir auffiel, waren die leeren Tablettenpackungen, die auf dem Nachttisch und auf dem Boden verteilt waren. Mein Magen verkrampfte sich, während mein Blick hinüber zum Bett wanderte.
Dort lag meine Mutter. Regungslos und in einer unnatürlichen Haltung erstarrt.
Nein, Nein, Nein ...
Mit zwei schnellen Schritten war ich bei ihr und fühlte ihren Puls. Besser gesagt, ich fühlte nichts. Hatte ich die richtige Stelle erwischt? Hektisch fuhren meine Finger über die Haut an ihrem Handgelenk und wanderten dann zu ihrem Hals. Nichts.
Oh Gott, sie fühlte sich auch schon so kalt an. Oder waren das nur meine Finger? Ich versuchte mir meinen erste Hilfekurs wieder ins Gedächtnis zu rufen. Was tat man in so einem Fall? Irgendwie musste ich ihr doch helfen können.
Mit zittrigen Fingern angelte ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.
Bitte, Bitte, lass es nicht zu spät sein ...
DU LIEST GERADE
Bildband ins Glück
ChickLit"Silja!", rief er mir hinterher. Kurz zögerte ich, drehte mich aber dann doch noch einmal zu ihm um. "Ich date nicht. Nicht mehr." Er sah fast traurig aus, als er dies sagte. Dann fügte er noch hinzu: "Aber würde ich es tun, wären Sie meine erste...