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Irgendwann in den 80's

Wir saßen auf einer der Bänke in der Fußgängerzone. Jeder von uns hatte ein Wassereis in der Hand, ich Cola, Em Kirsche.

Seit dem Tag, an dem ich ihn in diesem seltsamen Stadtviertel gefunden hatte hatten wir uns schon zwei mal getroffen. Viel geredet hatten wir beide Male nicht, unsere Treffen hatten sich darauf beschränkt gemeinsam vor dem Starbucks zu sitzen und Nixe zuzusehen, wie sie Kaffee kochte.

Jeder von uns hatte seine eigene Musik gehört und trotzdem war es irgendwie etwas Gemeinsames gewesen.

Em hatte den Zauber der ersten Begegnung noch nicht verloren und umso öfter ich ihn ansah, desto stärker zweifelte ich daran, dass er es jemals tun würde.

Er hatte mir nicht viel von sich erzählt, ich wusste nur, das er, wie ich fünfzehn war, noch nicht all zu lange hier lebte und eben, das er Kirscheis liebte.

Heute war der erste Tag, den wir gemeinsam außerhalb des Einkaufszentrums verbrachten, ein kleiner Meilenstein. Draußen wirkten seine Haarspitzen noch sonnenblonder als drinnen, sie schienen das Licht in sich aufzunehmen und selbstständig wieder abzugeben und von innen heraus zu leuchten.

Ich wusste nicht, wie man so von jemand anderes Haaren fasziniert sein konnte, aber ich war es. Meine eigenen waren schwarz und kurz und glatt, einfach zu normal um aufzufallen.

Allgemein wusste ich nicht, was Em dazu veranlasste sich mit mir abzugeben. Bis jetzt hatte noch niemand von uns etwas gesagt.

„Sei wann wohnst du hier?"

„Anfang des Sommers sind meine Eltern hergezogen, ich bin ein paar Wochen später nachgekommen, Schule und so."

„Aha"

Ich glaube, es war einfach nicht das richtige Gesprächsthema für uns, es fühlte sich viel zu gezwungen an. Ich schaute zu Em rüber, sein halbes Eis hatte war bereits wieder in der Plastikverpackung geschmolzen.

Ich sah auf mein eigenes, das ich bisher kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Noch ein paar Minuten und ich würde es trinken können.

Und dann sagte Em das, was ich im Nachhinein gesehen heute noch aus den Anfang unserer Freundschaft definieren würde. Es war der erste, wirklich wichtige Satz in meinem Leben, oder zumindest kam es mir so vor

„Menschen sind Eisberge, weißt du?"

Ich wusste nicht. In dem Moment war ich einfach nur verwirrt von dem unerwarteten Themenwechsel, auch, wenn man wohl kaum von einem Themenwechsel sprechen kann, wenn man nicht viel mehr als drei Sätze miteinander gewechselt hat.

„Was meinst du?"

Ich kam mir schrecklich dumm vor, als ich ihn das fragte und kaum wenige Sekunden nachdem ich es ausgesprochen hatte hätte ich es gerne rückgängig gemacht, etwas anderes gesagt. Ich hatte es ja auch bei einem schlichten „Ja" belassen können, aber nein, natürlich tat ich es nicht, natürlich hatte ich nachfragen müssen.

„Ist dir das nie aufgefallen?"

„Nein, nicht wirklich. Ich weiß nicht mal wovon du sprichst."

„Wir sind alle Eisberge. Du und ich und Menschen im Allgemeinen. Wir alle zeigen nur einen winzigen Teil von uns, dabei liegen die wirklich wichtigen Dinge doch unter der Wasseroberfläche, also der wesentlich größere Teil von uns meine ich."

Seine Art zu reden gefiel mir.

„Dann musst du ein gigantischer Eisberg sein."

„Vielleicht bin ich das."

Sagte er, nahm das schmale Plastiktütchen an die Lippen und trank den hellroten Inhalt in einem Zug aus, als wäre es keine Wassereissuppe sondern Tequila.

Ich tat es ihm gleich. Flüssig schmeckte es noch süßer und künstlicher als gefroren, alles schmeckte nach Cola.

„Dann sind wir Wassereis-Eisberge."

Sprach ich meine Gedanken laut aus. Em sah mich an, kurz erstaunt, dann erhellt sich seine Miene. Er drehte sich ein Stück zu mir, so, dass er schief auf der Bank saß, der linken Arm legte er auf die Rückenlehne.

„Das musst du mir erklären."

„Na süß und künstlich."

Versuchte ich es und auch das kam mir schon wieder dumm vor. Und Em ergänzte meinen Satz.

„Und klebrig."

Ich nickte. Er nahm Daumen und Zeigefinger, auf dem Daumen war ein roter Tropfen Zuckersirup mit Kirscharoma hängen geblieben, drückte sie zusammen und zog sie dann langsam auseinander, so, das dazwischen Fäden entstanden.

„Wir sind bloß rote, aromatisierte Zuckersirup-Eisberge."

Wiederholte ich. Dann griff Em nach meiner Hand und drückte unsere Daumen gegeneinander.

„Ich sehe, wir verstehen uns."



Em & Ich und der Sommer, in dem wir begannen die andere Seite der Dinge zu sehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt