eins

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Irgendwann in den 80's

In jenem Sommer entdeckte ich meine Liebe zu Rolltreppen. Ich fuhr fast jeden Tag mit dem Bus in die Stadt um im Einkaufszentrum meine Zeit damit zu verbringen die Rolltreppen hoch und wieder runter zu fahren und wieder hoch und runter und hoch, so lange, bis ich keine Lust mehr hatte und das dauerte lange.

Ich fuhr also morgens in die Stadt, nahm wie immer den früheren Bus, um mich nicht so an die Menschen drücken zu müssen, das war widerlich. Auf der Hälfte der Strecke musste ich umsteigen, dann saß ich auf einer Holzbank, die über und über mit Liebeserklärungen beschmiert war. Meistens malte ich dann mit meinen abgelotterten Stoffschuhen, die Mum auf Grund der, mit der Zeit durchgelatschen Sohlen, schon zig mal in die Tonne geschmissen hatte, Muster auf den Boden, so, wie auch heute.

Ich saß da und beobachtete wie der heiße Wüstenwind, kleine Sandwolken durch die Straßen trieb, während ich auf den nächsten Bus wartete. Lange musste ich nicht warten, dann bog er um die Ecke, die Reifen platt, der Lack ausgeblichen, aber er fuhr noch. Die Türen öffneten sich mit dem obligatorischen Quietschen, an das ich schon so gewöhnt war und schlossen sich hinter mir, nachdem ich in Gedanken bis fünf gezählt hatte.

Alles war also wie immer, die Welt war noch dieselbe. Ernüchternd, irgendwie. Mum hatte immer gesagt „ Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus, Schatz." bevor ich abends schlafen gegangen war. Somit hatte ich auch diese Theorie widerlegt. Ich wollte gerade nach hinten durchgehen, da hielt mich der Busfahrer zurück.

„Die Fahrkarte."

„Hab keine."

„Dann kannst du nicht mitfahren."

„Ich stehe bereits in diesem Bus und ich habe zwei gesunde Beine, die mich befähigen mich hinzusetzen, folgerichtig kann ich mitfahren, das sehen sie doch."

„Aber man braucht halt ne Fahrkarte, auch du, Jungchen."

„Brauche ich die?"

„Ja, sonst könnte ja jeder einfach so mit fahren, wie würde hier dann jemand Geld verdienen?"

„Ich frage mich überhaupt, was mit dem Geld passiert, wenn ich mir den Bus so anschaue, merkt man ja nicht viel davon."

„Jetzt werd aber mal nicht frech, Jungchen. Kauf eine Fahrkarte oder du fliegst raus."

„Haben sie denn eine Karte?"

„Äm"

„Sehen sie."

Ich kümmerte mich nicht weiter darum und ging nach hinten durch. Wer immer in meinem näheren Umfeld wohnt und auch im Sommer nicht auf einen Gruppensaunagang verzichten möchte, dem kann ich zur kostengünstigen Alternative, Busfahren raten, doppeltes schwitzen bei halbem Preis.

Die Hitze erschlug mich förmlich. Ich sah mich nach einem Platz um und fand schließlich recht weit hinten am Fenster einen freien Doppelsitz. War mir ganz recht, ich mochte es sowieso nicht neben fremden Menschen zu sitzen.

Irgendwie schaffte ich es auch an diesem Tag die Fahrt hinter mich zu bringen, und stieg schließlich durchgebraten und sicherlich mit Schweißflecken auf dem Rücken vor dem riesigen, hässlichen Gebäudemonstrum aus, das sich Einkaufszentrum nannte. Der Asphalt dampfte wie ein gefräßiges Ungeheuer auf den Straßen, als wolle er heimlich alle Autos verschlucken. Als ich das Gebäude betrat, kam mir eine angenehme Kälte entgegen.

Ich kramte in der schrecklichen Makrameetasche meiner Mutter, die ich in der Eile schnell vom Küchentisch genommen hatte. Ein Überbleibsel aus ihrer Handarbeitsphase. Wir hatten nicht nur den passenden Wandschmuck zu Hause, sondern auch eine farblich abgestimmte Makrameeblumenampel, was ich bis heute nicht verstanden hatte, aber ich war noch nie gut mit Handarbeitskram gewesen. Neben meinem schwarzen Portmonee hatte ich noch meinen Walkman in den Beutel geworfen. Den fischte ich heraus, setzte mir die Kopfhörer auf und drückte auf die Playtaste.

Guns N' Roses, Sweet Child O' Mine. a-ha, take on me. The Police, Every Breath you take.

Ich beschloss es dabei zu belassen. Das Mixtape hatte ich mir selbst zusammengestellt, 20 Songs, der Soundtrack dieses Sommers, so hatte ich es gewollt.

Und dann begann ich die Rolltreppen hoch und runter zu fahren und dachte nach, was ich dabei sehr gut konnte, während mich die anderen Besucher komisch anstarrten.

Ich war jung.

Und gelangweilt.

Und es war Sommer.

Em & Ich und der Sommer, in dem wir begannen die andere Seite der Dinge zu sehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt