Gänseblümchen lügen manchmal doch

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Mia schlendert durch den Park. Vorbei an alten Leuten, die mit ihren kläffenden Kötern spazieren gehen und Erwachsenen, die ihre schreienden Kinder ausführen. Sie schiebt sich die Hände in die Hosentaschen und verschwindet unbeobachtet zwischen den Büschen. Geht den schmalen Trampelpfad entlang, den nur wenige kennen. Die riesigen Bäume verdunkeln den unscheinbaren Weg. Lassen Mias Haare beinahe schwarz wirken, obwohl sie von Natur aus eigentlich braun sind.

Dann entdeckt sie ein himmelblaues Fahrrad, dass gegen eine Eiche da gelehnt steht. Ein Lächeln breitet sich über ihrem Gesicht aus. Ich muss vollkommen bescheuert aussehen, denkt Mia sich und berührt den Lenker des Fahrrads. Das Metall fühlt sich kühl an unter ihren Fingern an. Sie lässt das Rad so wie es ist hinter sich und geht noch ein paar Schritte, ehe sie auf eine große Lichtung kommt, die umrandet von Bäumen ist und gut geschützt im Wald verborgen liegt. Nur wenige kennen den Weg und noch weniger kennen diese Lichtung.

Es ist ihr und Jess Ort.

Schon seit drei Wochen treffen sich die beiden hier jeden Tag. Reden, Lachen und haben Spaß. Mia lässt ihren Blick über den geheimen Treffpunkt schweifen, bis sie Jess erblickt. Sie sitzt im Gras und hat ihr den Rücken zugekehrt. Bestimmt hat sie die Augen geschlossen, denkt Mia lächelnd und schleicht sich langsam an das Mädchen heran, dass von lauter Gänseblümchen umgeben ist. Der Boden ist der reinste Teppich aus Gänseblümchen. Diese Blumen sprießen, um diese Jahreszeit, wie Pilze aus dem Boden. Mia hat kein Auge für die vielen unschuldigen, schneeweißen Blumen übrig.

Ihre gesamte Aufmerksamkeit gilt dem Mädchen, das im Gras zwischen den hundert Blumen sitzt. Eine sanfte Sommerbrise zerrt an ihren blonden Haaren und lässt sie durch die Luft flattern. Mia beißt sich auf die Lippe. Sie kann es immer noch nicht fassen, dass sie dieses unglaubliche Mädchen seit drei Wochen jeden Nachmittag trifft und sie immer noch nicht geküsst hat.

Das sie immer noch nicht weiß, was Jess für sie empfindet. Mia steht direkt hinter ihr und nimmt die Hände endlich aus den Taschen ihrer Jeans. Langsam nimmt sie eine der wehenden Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger und hält sie einige Sekunden fest, bevor Mia sie wieder fallen lässt und leise ihren Namen flüstert. Mia bemerkt gar nicht, dass sie leise etwas vor sich hin sagt.

Jess dreht sich um und lässt eine weiße Blüte auf den Boden fallen. "Oh hey, Mia", murmelt sie und mustert ihn aus ihren großen blauen Augen, die von langen, dichten Wimpern umgeben sind.

„Hi, was hast du mit dem armen Gänseblümchen gemacht?", fragt Mis sie neckend und lässt sie bemüht lässig neben ihr ins Gras fallen.

Jess Blick wandert zu den Resten des Gänseblümchens, die zwischen ihren Beinen im Gras liegen.

„Nichts", lügt sie und lächelt.

„Sah aber nicht nach nichts aus", Mia sieht sie durchdringend an, aber wendet dann sofort den Blick wieder ab.

Ich darf ihr keine Angst machen, ermahnt sie sich in Gedanken.

„Ach egal", meint sie, zuckt mit den Schultern und ihr schwarzes Oberteil rutscht ein wenig nach oben und ein Streifen ihrer sonnengebräunten Haut kommt zum Vorschein.

Auch Mia entgeht es nicht, siekann nicht anders, als hinzusehen. Jess lächelt schief und zieht sich ihr Oberteil wieder nach unten.

„Glotz nicht so", tadelt sie Mia spielerisch und wirft ein paar Grashalme in ihre Richtung.

Lachend lässt Mia sich mit dem Rücken ins Gras fallen und verschränkt die Arme im Nacken. Jess bleibt noch einige Sekunden sitzen und zupft nervös an ihrer Shorts herum, bis sie sich neben ihr ins Gras gleiten lässt.

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