Das Ende meiner Erde

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Einen Verkehrsunfall haben sie es genannt. Das beschreibt nicht einmal annähernd, wie es sich für mich angefühlt hat. Das Wort Verkehrsunfall klingt so kalt, leer und erinnert einem doch nur an Nachrichten, die man sich nur mit halben Ohr anhört, weil sie einem eigentlich nicht interessieren. Niemand macht sich Gedanken darüber, wie es sich für die Beteiligten anfühlt. Die Opfer des Unfalls. Den Schuldigen und die Unschuldigen. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann verschwenden wir selten einen Gedanken daran - bis wir selbst die Opfer sind.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es war. Der laute Knall und die Scherben überall. Die ohrenbetäubenden Sirenen und Menschen, die umher rennen. Diese ganzen blinkenden Lichter. Schreiende Menschen, das Weinen einer Frau und die Stimmen der Sanitäter. Den Schmerz habe ich in dem kurzen Augenblick vor meiner Bewusstlosigkeit kaum gespürt. Das ist alles woran ich mich erinnere, bevor ich in eine betäubende Schwärze abgedriftet bin. Ich habe keinerlei Ahnung, was danach passiert ist.

Das nächste woran ich mich erinnere ist, das weiße Krankenhauszimmer und pochende Kopfschmerzen zusammen mit einer lähmenden Benommenheit. Meine Eltern, die mit Tränen in den Augen neben dem Bett saßen. Meine Mutter, die meine Hand umklammert hielt, als hätte sie Angst ich könne jede Sekunde verschwinden. Das ich mich kaum bewegen konnte, schien sie ausgeblendet zu haben.

Ich weiß noch genau, wie sie leise meinen Namen ausgesprochen haben.

„Emma."

Wie sie mich angesehen haben. Diese Blicke haben sich förmlich in mein Gehirn eingebrannt. Die Stimme meiner Mutter war kaum mehr als ein Flüstern, als sie mir erzählte, dass Mimi es nicht geschafft hat. Das sie noch an der Unfallstelle gestorben ist.

Und da ist meine Welt zusammengebrochen. Hätte ich etwas gegessen, hätte ich mich wahrscheinlich übergeben bei der Vorstellung daran, dass meine beste Freundin tot aus dem Auto gezerrt wurde. Ihr lebloser Körper auf dem kalten Beton der Straße lag.

Ich fühle mich wie betäubt, sodass ich lange Zeit gar nicht merke, wie die Tränen unerbittlich über meine Wangen wandern.

Das war das Ende meiner Welt. Was sollte ich nur auf dieser Erde ohne Mimi?

Unvorstellbar.

Aber was blieb mir den anderes übrig, als für sie weiter zu leben. Für uns beide zu leben. Ich bin mir sicher, dass Mimi es so gewollt hätte.

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