Jump.

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Nun stand sie hier. Ihr blick war starr auf die Straße unter ihr gerichtet. Um sie herrschte tiefe Dunkelheit.
Hier fühlte sie sich geborgen. Diese Dunkelheit war dieselbe wie die, die sie in sich selbst verspürte.
Ihre Hände fuhren über die Kanten der dicken Bretter, die den Zaun der Brücke bildeten.
Sie waren schon weich, voll gesogen vom Regen.
Weit und breit war kein einziges Licht zu sehen.Kein Auto erleuchtete die Straße mit seinem gelben Scheinwerferlicht.
Vielleicht würde sie mehr zögern, wenn hier viel Verkehr herrschen würde.
Aber das tut es nicht. Sie steht hier ganz alleine. Niemand wusste wo sie war, niemand würde ihr helfen können.
Sie stieg auf das Geländer und setzte sich darauf ab. Ihre Füße ließ sie über dem Abgrund baumeln.
Ihr Blick kreiste um die Umgebung und blieb schließlich an den Sternen hängen.
Die Sterne. Früher hatten sie ihr Kraft gegeben. Als kleines Kind fühlte sie sich schon immer mit den Sternen verbunden.
Und auch der Mond hatte für sie eine große Bedeutung.
Bei Vollmond konnte sie nie schlafen, weshalb sie stundenlang nachts am Fenster saß und ihn beobachtete.
Er war wie ein Freund in der Nacht, der sie beschützte und ihr zuhörte.
Wenn ihre Familie wieder am Rande des Abgrunds stand und ihr alles zu viel wurde, war der Mond für sie da.
Er war immer da. Er hatte sie nie im Stich gelassen.
Sie dachte an die unzählbaren Nächte, in denen sie die Sterne und den Mond beobachtete.
Jedes Mal schöpfte sie Kraft aus ihnen. Egal wie weit diese entfernt sind, sie fühlte sich näher mit ihnen verbunden als sie es je mit Menschen war.
Als sie noch ein kleines Kind war, standen die Sterne für sie für Hoffnung, für Träume, für Wünsche.
Doch wofür standen sie jetzt ?
Keiner ihrer Träume wurde jemals wahr, kein Wunsch ging in Erfüllung. Einzig und allein die Hoffnung blieb noch.
Und trotzdem sitzt sie hier auf der Brücke, bereit dazu, ihr Leben zu beenden.
Nichts hält sie noch hier. Nicht ihre Freunde, nicht ihre Famile.
Wie auch. Sie hat keine Freunde mehr. Allerdings waren nicht sie Schuld daran, dass sie nicht mehr in ihrem Leben sind. Sie allein isolierte sich immer mehr von den anderen. Sie dachte, ohne sie wären die anderen besser dran, da sie nur eine Belastung für die Welt ist.
Niemand braucht sie. Sie ist ersetzbar.
Ihre Familie, ein Trümmerhaufen wie er im Buche steht. Sie ist nicht mehr so wie früher. Sie ist zerbrochen. Die Liebe, die früher herrschte war verschwunden, stattdessen übernahm der Alkohol eine große Rolle im Familienleben.
Niemand würde ihr helfen können. Und das war gut so.
Sie will nicht mehr dieses Leben leben.
Sie will nicht mehr Teil dieser Welt sein.
Sie will frei sein.
Frei von den Gedanken, die pausenlos in ihrem Kopf herumschwirren.
Frei von diesem Ziehen in ihrer Brust, dass sie seit gefühlten Ewigkeiten bedrückt.
Frei von diesem Dämon, der sie nicht mehr glücklich fühlen lässt.
Der ihr immer wieder alles negative vor Augen führt. Der sie die schlimmsten Ängste lehrt.
Ihr wird schwarz vor Augen, als sie an all das denkt.
Sie erträgt das alles nicht mehr. Stattdessen bricht sie in Tränen aus.
Sie sieht keinen Sinn mehr im Leben. Und statt dem kleinen Funken Hoffnung in ihrem Herzen Aufmerksamkeit zu schenken, richtet sie sich auf, um nun mit den Füßen auf dem Geländer zu stehen.
Sie breitet die Arme aus und lässt den sanften Wind an sich vorbei ziehen.
Mit geschlossenen Augen genießt sie das Gefühl, das ihr der Wind, der ihr die Haare aus dem Gesicht streicht und um ihre Arme spielt bereitet.
Tränen laufen ihr übers Gesicht. Und sie lacht. Sie lacht so glücklich, wie sie es schon lange nicht mehr wahr.
Es ist wundervoll. Sie war so frei. Frei von ihren Gedanken. Selbst der Dämon in ihr war wie vom Erdboden verschluckt. Das Ziehen in ihrer Brust lässt langsam nach und ihr Lächeln zierte noch immer ihr Gesicht.
Sie dachte daran, wie sie fliegen würde.
Sie wollte dieses Gefühl von dieser Freiheit, dass die Vögel haben verspüren.
Und mit jeder Sekunde, an der der Wind an ihr vorbei zieht wächst dieses Verlangen. Noch immer steht sie mit ausgebreiteten Armen auf dem Geländer der Brücke.
"Niemand wird mich vermissen." sagte sie immer wieder zu sich selbst, um letztendlich auch die letzten Zweifel zu überwinden.
Und sie lehnte sich ganz leicht nach vorne. Es gibt kein zurück mehr. Sie wird ihr Leben beenden, das wusste sie. Und ließ sich fallen. Sie fliegt.

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