Prolog

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  „Da ist er ja!", grölte der Vater, als Johann die Kneipe betrat.
Es war ein warmer Sommerabend, der Himmel war schon rot und eine angenehme Brise
zog durch die Stadt. Sie war nicht groß, fasste vielleicht 30.000 Einwohner.
Und aller Abschaum, inklusive des Mannes, der sich sein Vater nannte, traf sich genau hier, in der Kneipe.
„Mama hat mich geschickt. Sie will, dass du endlich Heim kommst."
Johanns Stimme zitterte leicht, immerhin war die Beziehung zu ihm recht problematisch.
Ein paar Männer fingen an, laut zu lachen. Einer sagte: „Schau doch, dein Sohnemann will, dass du Heim kommst, zu Mutti!"
Es war ihm nie wohl in der Kneipe, aber jetzt? Alles, was er verstand, war, dass sie sich über ihn lustig machten. Gemischt mit unverständlichem Gelalle.
„Sieh doch zu, wie du klarkommst...", murmelte Johann noch in sich hinein, als er mit hochrotem Kopf dieses Drecksloch von einem Lokal verließ.
Vor der Tür wurde er sofort von Manfred empfangen.
„Er hat nicht gehört?", fragte er. Es war eigentlich eine rhetorische Frage, da er sich die Antwort hätte denken können.
„Sieht wohl so aus!" Johann roch an seinem Ärmel, der Geruch von Alkohol klebte an ihm, und lief stampfend davon. Manfred, die ganze Zeit einen Schritt hinter ihm, versuchte, ihn zu beruhigen.
„Mach dir nichts draus, es ist ja seine Schuld, wenn er sich irgendwann totsäuft. Außerdem kommt ihr ohne den besser zurecht!"
Manfred und er waren schon sehr lange Freunde. Er wusste nicht einmal mehr, wann sie sich kennengelernt hatten. Es gab hin und wieder Streitigkeiten, aber sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel.
Nichtsdestotrotz würdigte er ihn keines Blickes, als sie die belebte Allee entlangliefen.
Es war ein belebtes Örtchen. Cafés, Restaurants, kleine Galerien, Delikatessengeschäfte.
Hier wusste man, wie man ein lebenswertes Leben führt.
Nach wenigen Minuten des Schweigens erreichten sie endlich den Marktplatz, auf dem das Auto stand.
Manfred wurde als erster auf die Traube von Menschen aufmerksam, die sich vor den goldenen Toren des Rathauses gebildet hatte. Voller Neugier schoben sich die beiden zwischen die Menschen.
Sie sahen den Bürgermeister, der verzweifelt versuchte, die aufgebrachte Menge zu beruhigen.
„Bitte, ich bitte Sie, so beruhigen Sie sich doch", rief er ziemlich erfolglos in sie hinein.
„Wir sind bankrott, was können Sie da schon tun?", schrie einer lauthals.
„Ich habe gehört, die Schwarzen aus dem Norden können uns helfen", ergänzte eine andere.
Mehr und mehr Menschen meldeten sich zu Wort.
„Ja, die sollen Geld übrig haben!"
„Warum fragen wir die nicht?"
„Sie werden uns retten!"
Einer übertönte sie alle. Es war der Professor, der die Aufmerksamkeit der Leute an sich band.
„Vergesst ihr denn alle, dass wir ein friedliches Land sind? Ein kleines, aber friedliches Land.
Wir haben uns seit Hunderten Jahren gegen jede Gefahr verteidigen können, sei sie von außen oder von innen gewesen. Wir werden auch diesmal obsiegen, wenn wir zusammenhalten! Wir müssen die Willensstärke mit uns führen, die wir brauchen, um diese Krise zu durchstehen!"
Einige jubelten ihm schon zu, als sich der Kaufmann zu Wort meldete.
Er war ein Mann aus gutem Hause, immer fein gekleidet in seinem Anzug und mit seiner Fliege.
„Das sind doch alles hohle Phrasen! Unsere einzige Hoffnung liegt bei den Schwarzen, wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen! Und das wollen wir doch?"
Er wurde vom Professor unterbrochen, den Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, wartete die Menge wohl voller Vorfreude auf eine hitzige Diskussion.
„Schön, wenn Sie Ihren Wohlstand sichern wollen, lieber Jean". Einige Menschen hoben jetzt die Augenbrauen. Der Kaufmann wurde nur äußerst ungern mit Vornamen angesprochen. „Aber ich werde nicht meine Werte, alles, für das wir stehen, für das wir uns Andorraner nennen, aufgeben. Nicht um des Wohlstands Willen."
Seine Worte wurden mit Begeisterung wahrgenommen. Der donnernde Applaus war über den gesamten Marktplatz, bis hin zur Kirche zu hören.
Der Kaufmann verzog das Gesicht, voller Wut fuhr er fort: „Jeder kann überzeugt werden, für manche ist es Geld, manche lieben die Macht, andere wiederum handeln aus Angst heraus, oder aus Überzeugung. Aber niemand, niemand ist nicht manipulierbar. Und das werden Sie, mein lieber Professor, auch noch merken! Ihr werdet es alle merken!"
Mit diesen Worten verließ er den Platz, alle schauten sich nur ratlos an.
Hätten sie gewusst, welche Bedeutung diese Worte noch einmal haben würden, sie hätten wohl anders reagiert.  

AndorraWhere stories live. Discover now