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Schade schade schade, dass sie nur eine leere, rissige und weiße Projektionsfläche für die Vorstellung anderer war. Und schade schade schade, dass sie diese Vorstellungen nie erfüllen konnte. Schade schade schade. Dabei wollte sie gerne für sich geliebt werden.
Die Kunst des Spiegelredens war nie ihr Fachgebiet. Sie war lieber ein Illusionsbild für andere. Das ist das traurige am Margo-Roth-Spiegelmann-Syndrom. Man existiert nicht.
Ich existiere eigentlich gar nicht. sagt sie und dann fällt sie in sich zusammen und ihr Staub weht über die Felder, weil sie immer reisen wollte, aber niemand fragt wohin. Man erzählt ihr nur, dass man auch gerne reisen möchte und erzählt und erzählt und dann vergisst man sie wieder. Das lustige ist, dass Menschen Plastikmädchen lieben, weil sie aus ihnen alles machen können.
Plastikmädchen sind leere Hüllen. sagt sie. Du kannst bunte Smarties reinfüllen, aber die wirst du auch wieder aufessen oder du füllst Liebe rein, aber die wird aus den Füßen wieder rausrieseln, weil Plastikmädchen leere Hüllen sind.
Herzergreifend dieses makabere am Tag immer.
Ist schon ganz schön masochistisch, dass ich mich immer so behandeln lasse. sagt sie.
Na wie denn? fragt die andere Person.
Als ob ich nichts wert wäre. sagt sie.
Das stimmt doch gar nicht.
Doch. doch doch.
Dunkle grünen Nagellack mag sie besonders gerne. Und nuttenroten, weil er ihn gehasst hat.
Ist lustig. Ich fülle meine Liebe auch immer in Plastikmenschen und die rieselt nicht raus. Die kommt nicht einmal am Fuß an, weil sie schon im Hals stecken bleibt und dann können meine geliebten Personen nicht mehr atmen und dann reißen sie sich den Klumpen aus dem Hals und es ist ihnen egal, dass ihre Luftröhre jetzt aus dem Loch in der Kehle hängt. Hauptsache sie sind mich los. sagt sie.
Wieso weinst du nicht mehr? fragt die andere Person.
Worum soll ich denn weinen? fragt sie verwundert.
Ich weiß es nicht. Aber hat er dich nicht verlassen?
Nein. Er hat mich losgelassen. Jetzt ist es meine Aufgabe ihn fliegen zu lassen. Helium und Menschen vertragen sich eben nicht. sagt sie und dann lacht sie über ihre eigenen unangebrachten Witze.
Herzlos, wie er dir wehgetan hat. sagen alle.
Oh nein oh nein. sagt sie. Er hat das so nicht gewollt. Er versteht sich eben selber nicht. Er hat ja kein Herz aus Stein.
Wie kannst du ihn noch immer verteitigen. wollen sie wissen.
Ich verteitige ihn, weil er es selbst nicht kann.
Aber du solltest sauer sein. sie sind sauer.
Aber Hass macht ja nur mich unglücklich. Ich will lieber hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. sagt sie.
Denn sie ist unberührt von der Verkommenheit der Menschen. Sie ist rein und sie glaubt und sie vertraut und sie gibt niemals auf. Auch wenn sie aus Plastik ist und eine leere Projektionsfläche, die darauf wartet mit der Tragödie eines anderen bespielt zu werden, ist sie dennoch auch eine rote Backsteinwand, hinter dem weiß.
Und sie wartet darauf herausgemeißelt zu werden.

SemikolonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt