Seitenwechsel Teil 2

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Der Reaktion meiner Kärntner Mitspieler nach ging dieser Sieg gegen die »Schlawiner« ob seiner Höhe in die Geschichte der örtlichen Fußballjugend ein. Soviel Schulterklopfen hatte ich selten erlebt. Ich fühlte mich einerseits großartig, schon auf dem unaufhaltsamen Weg zum kommenden Star; auf der anderen Seite nagte ein leiser Zweifel in mir. Das war doch alles viel zu einfach gewesen, sagte eine Stimme in meinem Kopf, und sie fügte hinzu: Werd' nur nicht übermütig. Ich war aus unserem Team der Einzige außer unserem Kapitän Ossi, der Niko nach dem Spiel die Hand gab. Er sah mich an und sagte nur einfach: »Dobre!« Er merkte an meinem fragenden Blick, dass ich Slowenisch nicht verstand, und meinte in gebrochenem Deutsch: »Du sehr gut – dobre.« Er sagte es ohne jeden Neid.

Es kamen der Samstag und der Sonntag. Das Thermometer stieg auf über 30 Grad, die Luft wurde feucht, unerträgliche Spannungen lagen in der Luft, es roch sehr nach Gewitter. Am Morgen des Sonntags blieb meine Mutter bei verdunkeltem Zimmer im Bett – sie klagte über eine starke Migräne. Ich blieb mir selbst überlassen und entschied mich zu einem Ausflug ans Seeufer. Ich war nicht der Einzige. Das Strandbad platzte vor Menschen, die nach etwas Abkühlung lechzten, schier aus den Nähten. Ich, der ich nichts mehr hasste als Menschenansammlungen außerhalb von Fußballstadien, verzog mich bald in die bewaldeten Uferregionen, wo die Leute weniger eng nebeneinander lagen. Im Schilf gab es noch von außen nicht einsehbare freie Stellen. Ich tastete mich durchs Röhricht. Plötzlich, vor mir, halb aufs Ufer gezogen, ein schmales Ruderboot; darin Niko und zwei seiner slowenischen Freunde, die auch mitgespielt hatten.

Wenn er mich nicht so rasch gesehen und erkannt hätte, wer weiß, ob ich nicht den Rückzug angetreten hätte, noch bevor wir ein Wort miteinander gesprochen hatten.

»He du«, sagte er.

Ich blickte ein wenig verlegen. »Hallo!«, erwiderte ich.

»Du Tom, oder?«, fragte er und deutete mit dem Finger auf mich.

»Ja«, antwortete ich.

»Ich Niko«, sagte er und wies auf sich selbst.

»Ich weiß«, sagte ich.

Er lächelte und deutete auf seine beiden Freunde: »Das Vlatko und Mladen«, erläuterte er. Die zwei grinsten. »Komm!«, sagte Nikola und machte eine einladende Geste, dass ich zu ihm und den beiden anderen ins Boot steigen sollte.

Ich glaube, ich wurde rot. Mir kam es seltsam vor, dass einer jener Jungen, zu deren Demütigung ich wenige Tage zuvor nicht unmaßgeblich beigetragen hatte, mich an seine Seite lud. Die Überlegenheit, die ich nach unserem Sieg verspürt hatte, schwand. Schweigend ruderten wir ein Stück auf den See hinaus. »Tut mir leid«, sagte ich irgendwann.

»Was?«, fragte Niko.

»Dass ihr so hoch verloren habt«, antwortete ich.

Niko machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich keine so viel gute Spieler«, erklärte er sein Dilemma. »Wir normal keine Chance.«

Ich weiß nicht, welcher Teufel mich in diesem Augenblick ritt. Vielleicht war es auch gar kein Teufel, vielleicht war es ein Engel, der an meine Seite trat, mich in die Seite stieß und mir ins Ohr flüsterte, dass es ungerecht sei, wenn die einen immer gewinnen und die anderen immer verlieren, weil die Chancen ungleich verteilt sind. »Fordert Revanche«, platzte ich heraus.

Vlatko und Mladen blieb der Mund offen stehen. Niko sah mich stirnrunzelnd an. »Revanche?«, fragte er, »warum?«

»Weil ihr das nächste Mal gewinnen werdet«, sagte ich.

Niko zog die Ruder ein und sah mich von der Seite an. »Warum gewinnen?« fragte er. ­

»Weil ich bei euch spielen werde«, erwiderte ich.

Vlatko pfiff überrascht durch die Zähne, Mladen stieß einen Ruf der Überraschung aus. Niko betrachtete mich eingehend: »Warum du bei uns?«, fragte er nach einer Weile. Ich zuckte mit den Achseln. »Ihr seid nicht weniger meine Freunde als die anderen«, sagte ich dann. Ein breites Lächeln glitt über die Gesichter der slowenischen Jungen. Sie sahen sich an und ich merkte, wie es in ihren Köpfen arbeitete: Sie stellten sich vor, wie es wäre, wenn der Ball ausnahmsweise mehr als einmal im Kärntner Tor einschlagen würde, wenn sie würden nach Hause gehen und erzählen können, dass sie – die Underdogs – es den anderen mal so richtig gezeigt hätten.

Ich muss gestehen, dass mir später an diesem Nachmittag angesichts meines Versprechens etwas mulmig zumute wurde. Was würden meine Kärntner Kameraden, die mich so bereitwillig in ihren Kreis aufgenommen hatten, sagen, wenn ich erklärte, dass ich jetzt für die »Schlawiner« spielen würde? Würden sie meine Art von Gerechtigkeitssinn verstehen? Oder mich nicht schlicht und einfach als Verräter ansehen? Die Sache wurde für mich nicht leichter, als Ossi mir am übernächsten Tag auf dem Sportplatz erklärte, die Slowenen hätten sich gemeldet und um ein Revanchespiel gebeten. »Die wollen doch wirklich noch mal ein paar auf den Arsch«, grinste er amüsiert und die umstehenden Jungs seiner Mannschaft glucksten vor Vergnügen. »Sollen sie kriegen!«, rief er und ballte die Hände triumphierend zu Fäusten, »sollen sie kriegen!«

Ich sah sie nicht an. Ich bückte mich und tat, als müsste ich meine Schnürsenkel binden. Im Hochgefühl des sicheren Sieges merkte Ossi nicht, dass ich schwieg. Er boxte in die Luft, als wolle er nacheinander die Mitglieder einer gegnerischen Mannschaft zu Boden schlagen, und zischte zwischen den Zähnen hindurch: »Sieben zu eins, sieben zu eins, siiiieeebbbeeeennnn zu eins.«


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