Seitenwechsel Teil3

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Der zweite Freitag meiner Ferien kam und damit der Tag des Revanchespiels. Es fand nicht am Urlaubsort statt, sondern auf dem Platz des Gegners in einem Ort, dessen Namen ich vergessen habe, von dem ich nur weiß, dass dort ein ansehnlicher Bevölkerungsanteil slowenisch war. Es war wieder ziemlich heiß, Gewitterwolken zogen am Horizont auf. Alle warteten auf Regen. Seit fünf Tagen hatte es schon wieder keinen Niederschlag gegeben, der Platz war bockelhart, kahle Stellen breiteten sich aus. Hatte unser letztes Spiel noch praktisch vor leerer Kulisse stattgefunden, so hatten sich jetzt etliche Dörfler zu beiden Seiten des Platzes versammelt, um das nahende Schauspiel zu verfolgen – auf der einen Seite Kärntner, auf der anderen Seite Slowenen einschließlich einiger Männer und älterer Jugendlicher, die ihre Söhne und Brüder zum Platz begleitet hatten.

Das bekannte Ritual nahte. Die Mannschaften standen sich gegenüber – wie gehabt, saubere Sporttrikots, wenn auch nicht einheitlichen Zuschnitts die einen, ein buntes Sammelsurium an Kleidung die anderen. Nikola warf mir einen fragenden Blick zu. Ich spürte, dass er auf ein Zeichen wartete, ob ich zu meinem Wort stünde. Ich spürte mein Herz klopfen, dachte noch, soll ich wirklich? Gestern noch habe ich mit den Kärntnern trainiert und kein Wort gesagt ...

Ich stand mit meinem Sechziger-Trikot am Rande der beiden Reihen, irgendwie zwischen den Parteien, etwas näher an den Slowenen. Noch konnte man es so deuten, dass es Zufall war. Ich erwiderte Nikolas Blick und nickte. Ossi musterte mit sanfter Überheblichkeit die vor ihm stehenden Jungs der Gegenseite und wollte eben ansetzen zu seinem üblichen Spruch: »Wir Hemd, ihr Haut«, da trat Niko einen Schritt vor und zog mit einer einzigen fließenden Bewegung sein Hemd über den Kopf. Grinsend folgten seine Mannschaftskameraden seinem Beispiel – ein offenbar vorher exakt geplantes Manöver. Niko deutete auf seine bloße Brust und sagte: »Wir zeigen«. Dann zupfte er an Ossis Trikot: »Ihr verstecken!«

Ossi und seinem allseits getreuen Bertl neben ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. Was für eine Verwegenheit! Da wollten sie den »Schlawinern« wieder zeigen, wo der Hammer hängt, und nun das! Mit einer einzigen Geste hatten die slowenischen Spieler das Blatt gewendet. Sie demonstrierten: Wir trauen uns was, die anderen nicht.

Der Pfeil saß. Der Aufruhr in der Kärntner Bubenseele war unverkennbar. Mit hochrotem Gesicht und sprachlos starrten Ossi und die anderen auf die vor ihnen stehenden Gegner. Ihr Blick glitt von einem zu anderen und blieb schließlich an mir haften. Ich war von der plötzlichen Entwicklung nicht weniger überrascht worden, hatte mich aber schneller wieder gefangen und mich ebenfalls meines Trikots entledigt.

Als Ossi mich am Ende der Kette entdeckte, folgten ihm auch die Blicke der anderen Jungs aus dem Kärntner Team. Stillschweigend musterten sie mich von oben bis unten. Es kann nur wenige Augenblicke gedauert haben, aber mir kam es wie eine halbe Ewigkeit vor. Nie zuvor war ich mir bewusst geworden, was es heißt, buchstäblich bloßgestellt zu sein. Und doch merkte ich zugleich, dass in mir etwas veränderte: Mein Körper straffte sich, ich hob das Kinn, die Scham verflog. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, ich hatte die Seiten gewechselt, ich war jetzt nicht mehr einer von den Kärntner Jungs, sondern einer von »denen da«, den anderen, von jenen, auf welche die Mehrheit herablassend bis verächtlich herabblickte.

»Und du«, fauchte mich Ossi an, »was ist mit dir los?«

»Ich spiele heute mit denen«, sagte ich und deutete auf die slowenische Mannschaft.

»Das geht nicht«, wütete Ossi, »du gehörst zu uns«.

»Ich gehöre eigentlich zu keinem«, erwiderte ich. »Deswegen spiele ich dort, wo ich will.«

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle leblos auf den Boden gesunken. »Ich sage, ob du spielst und bei wem«, schnaubte Ossi.

Niko mischte sich ein. »Du hier nix befehlen«, sagte er zu Ossi. »Du hier Gast. Das unser Platz und wir sagen, wer spielen.«

Ossi war zu klug, um nicht zu wissen, dass er verloren hatte. Das Recht, dass er in Anspruch genommen, mich in seiner Mannschaft spielen zu lassen, war auch das Recht der anderen, das gleiche zu tun. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Zur Halbzeit führten wir mit 2:1. Niko war schlau genug gewesen, nicht allein auf mich und meine schnellen Flügelsprints zu bauen; er hatte mir in Xaver, der beim letzten Spiel gefehlt hatte, einen dribbel- und laufstarken Mittelfeldspieler an die Seite gestellt, der mich wiederholt mit steilen Pässen belieferte. Gemeinsam sorgten wir regelmäßig für Alarm am und im gegnerischen Strafraum. Unser zweites Tor basierte auf einer solchen Aktion: Xaver jagte mir einen schnellen Ball halbrechts in den Lauf. Er hoppelte ein wenig auf dem harten Untergrund; trotzdem erwischte ich ihn irgendwie und jagte ihn quer zur Laufrichtung des Torwarts unhaltbar ins linke obere Toreck.


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