Ich hörte ihr Bitten nicht. Ich hörte ihr Klagen nicht. Ich hörte nur Janes Schreie. Aus dem Jammern wurden Schrei, klägliche Schreie, die verhindern wollten, das Rebecca auch noch ihr letztes Kind verlor. Ihre Schrei dröhnten in meinen Ohren, und doch nahm ich sie nicht war. Ich musste Jane finden.
Ich riss mühevoll die Tür auf, gegen die der Wind so heftig drückte. "Mia! Komm sofort zurück!" Ihre Schreie wurden vom pfeifen und pauken des Windes übertönt. 'Ach Mum...' dachte ich. 'Wenn du wüsstest wie ungern ich dir das Herz breche.' Doch das hier war wichtiger. Es war purer Egoismus, der mich antrieb. Ich würde sterben vor Kummer, wenn Jane tot wäre. Und auch Mum würde vergehen.
Der peitschende Regen klatschte auf mich herab und schon jetzt war ich bis auf die Knochen nass. Mein Blick war getrübt und ich spürte wie meine Finger schon jetzt wie vor Kälte gelähmt waren. So ein Unwetter hatte es seit Jahren nicht mehr gegeben. Mum stand am Fenster, das Gesicht an die Scheibe gedrückt wie ein kleines Kind. Von außen rann der Regen die Scheibe runter, von innen ihre Tränen. Schnell wandte ich den Blick ab. Jetzt war keine Zeit für lange Abschiede, jede Minute, die ich mich verspätete, wuchs die Wahrscheinlichkeit Jane nicht mehr zu finden. Stolpernd rannte ich den aufgeweichten Pfad runter. Wo war sie? Am Horizont konnte ich den Wald sehen. War sie dorthin gegangen? Es war nicht besonders ratsam bei so einem Unwetter in den Wald zu gehen. Andererseits... wenn sie dort war sollte ich sie da so schnell es ging rausholen. Ich musste zumindest nachsehen. Einen Versuch war es wert. Meine Gedanken stolperten durcheinander, während ich mir meinen Weg zum Wald bahnte. Vielleicht war ihr was zugestoßen, und ich würde daran Schuld sein, weil ich sie nicht schon viel eher suchen gegangen war. Ich sandte immer wieder stille Gebete zum Himmel, in der Hoffnung eine gesunde Jane vorzufinden. Ich trat in den Schutz der dichten Tannen. Endlich hatte ich den Wald erreicht. Der Regen wurde unter den Schattigen Bäumen weniger und nur noch an vereinzelten stellen kam ein kleiner Wasserfall durch. Doch das Risiko von irgendeinem Blitz getroffen zu werden, wuchs mit jedem Schritt den ich in den Wald hinein trat. "Jane!!! Jane bist du hier? Antworte mir!" Ich wusste, dass meine Schreie wahrscheinlich untergingen in dem lärmenden Gewitter, doch ich gab die Hoffnung nicht auf. Ich würde sie finden und wenn ich dafür starb. Alles war besser als ihr nachzutrauern und sich an die verzweifelte Hoffnung klammern, dass sie zurückkommt. "Jane! Ich bin es, Mia!" Inzwischen rannte ich und der Wald um mich herum wurde dunkler, immer dunkler... Bis ich mich verlor. Plötzlich zog mich ein heller Schrei aus der Düsternis des Waldes. Jane! Verzweifelt klammerte ich mich an ihren Schrei. Aus welcher Richtung war er gekommen? "Jane! Jane! Wo bist du?" Nichts mehr. Nur der Wind. Der Regen. Der Wald. Keine Jane. Ich rannte blindlings drauf los, ständig ihren Namen rufend. Und wie durch ein Wunder geschah es, dass ich auf einer Lichtung im Herzen des Waldes eine kleine zusammengekauerte Gestalt erblickte. Schnell lief ich zu ihr hin und schloss sie in meine Arme. Ich hatte sie wieder. "Mia!" wisperte sie. Ihre Stimme war fast verschwunden vor Heiserkeit. "Alles wird gut!" Ich stand auf. "Komm. Mum wartet." Vorsichtig half ich der zitternden Mia auf die Füße. In ihren Augen spiegelten sich Sorge und das Schuldbewusstsein der Mutter Trauer verursacht zu haben. "Keine Sorge, wir werden jetzt aus diesem Wald raus finden und nach Haue gehen wo eine überglückliche Mum auf uns wartet!"
Warum gibst du Versprechen, die du nicht halten kannst, Mia?
Ich wusste es nicht. Ich glaubte einfach zu sehr daran, dass wir beide lebend nach Hause zurückkehrten. Ich musste daran glauben. Wir hatten keine andere Hoffnung als unseren Glauben, dass alles gut werden würde. Wir irrten gefühlte 100 Stunden in diesem Wald herum, hatten längst festgestellt, dass jeder Baum gleich aussah und hofften auf ein Wunder. Doch wer würde bei dem Wetter vor die Tür gehen? Wir begegnetem keiner Menschenseele, keinem potenziellen Retter, wir waren allein, hatten nur uns. Und der Sturm der über dem Wald wütete war auch keine Hilfe. Irgendwann fingen wir an Kreuzchen in die Bäume zu ritzen, an denen wir vorbeikamen, doch die Situation war nach wie vor aussichtslos. Irgendwann, ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, vernahm ich durch das Geräusch des Regens ein leises entferntes Brummen. Jane und ich hatten uns erschöpft neben einen Baum sinken lassen. Ich horchte auf. "Hörst du das auch?" Jane sah mich fragend an. "Was?" Ich legte den Finger auf die Lippen um sie zum schweigen zu bringen. Das Brummen kam näher wurde lauter, bis es schließlich das trommeln des Regens zerriss. Grelles Licht huschte über den Waldboden. Und schließlich tauchte er über uns auf, gewaltig wie ein gefährliches Tier. Ein Hubschrauber. Wir waren gerettet. doch die neu gewonnene Hoffnung erlosch sogleich, als mir einfiel, dass der Hubschrauber gar nicht landen konnte, dazu war der Wald viel zu dicht. Panik erfüllte mich, als wir mit entsetzen beobachteten, wie der Hubschrauber weg flog. Wo wollten sie denn hin? Hatten sie uns denn nicht gesehen? Verzweifelt ruderte ich mit den Armen, bis ich mir schließlich eingestehen musste, dass es nichts brachte. Ich packte Mias Arm und rannte. Ich rannte so schnell ich konnte, immer dem Hubschrauber hinterher. Als ich schon längst keuchte vor Anstrengung, kam mir der Gedanke, ob der Hubschrauber uns nicht vielleicht den Weg aus dem Wald raus weisen wollte. Das musste es sein! Jetzt rannte ich noch schneller. Jane kam schon gar nicht mehr hinterher. Noch im Rennen packte ich sie mit beiden Händen und nahm sie in die Arme. So würde es schneller gehen. Und ich rannte und rannte, bis ich meinte das Herz müsste mir aus der Brust springen.
Schließlich sah ich Licht. Licht in dem öden Dunkel des Waldes. Wir waren gerettet.