Misstände
Ich seufzte, strich mir den Schweiß von der Stirn und sah zu der Sonne auf. Es war Sommer, verdammt heiß und außerdem viele Bauern in dem vergangenen Winter erfroren, trotz meiner Maßnahmen, sodass ich auf den Feldern mithelfen musste, damit mein Fürstentum nicht hungern musste.
Ich hatte mit gerade einmal vierzehn Jahren lernen müssen, das Fleckchen Land, welches meine Eltern mir hinterlassen hatten, zu regieren. In den zwei Jahren, die ich nun schon Fürstin war, ist das Fürstentum zusehends verarmt, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und mein Vater an einer Krankheit, die seit langem in seinen Knochen geschlummert hatte und dann ganz plötzlich zugeschlagen hatte. Seitdem führte ich den Hof.
Ich arbeitete weiter. Die heißen Stunden des Abends waren gerade einmal zu einem Dreiviertel verstrichen. Als dann endlich die Kühle verheißende Dämmerung anbrach, schlurfte ich zum Rand des Feldes, warf mein Werkzeug in den Schuppen und stieg in die Pferdekutsche. Aufkommemder Wind trocknete rasch den Schweiß, der meine Kleidung am Körper kleben ließ. Seufzend ließ ich mich in die Kissen sinken. Es war einfach zu heiß.
Als ich an der Villa, in der ich lebte, ankam, schmiss ich much sofort in meinen Sessel und orderte an, dass mir Essen gebracht wurde. Ich seufzte leise. Es konnte nicht so weitergehen, das war klar, aber solange die Hilfsarbeiter nicht ankamen, um die ich beim König gebeten hatte, war ich aufgeschmissen. Mittlerweile bezweifelte ich, dass sie noch irgendwann ankamen.
Es klopfte an die Tür.
"Herein!", seufzte ich. Ein Bote, der die königlichen Farben trug, trat ein. Augenblicklich setzte ich mich gerade hin.
"Ich lasse Euch ausrichten, dass Ihr als potenzielle Nachfolgerin König Erens bestimmt wurdet."
Meine Augen weiteten sich: "Ich? Aber das ist doch Traditionsbruch! Warum ich?"
"Ich habe keine Ahnung. Ich sollte die Botschaft nur überbringen."
Ich entließ ihn mit einem Handwinken und dachte nach. Ich - Königin? Das klingt seltsam. Und das wäre ein riesiger Traditionsbruch. Aber dennoch... Wie es wohl wäre, Königin der Elben zu sein?
Ich seufzte. Es wäre wohl ein großer Vorteil für mein Fürstentum, aber es wären auch viele Aufgaben und Verpflichtungen, ich war noch nicht einmal erwachsen und kam nicht einmal mit meinem eigenen Hof klar.
Es war alles ein einziger, großer Wunschtraum. Daran war nichts zu ändern.
Zögerlich klopfte es an der Tür, die sich dann einen Spalt breit öffnete, ein Tablett wurde auf einem Fichtenholztischchen abgestellt. Ich stand auf und holte es mir in den Sessel. Sollte ich die Chance wahrnehmen und annehmen? Eigentlich musste ich es ja, aber vielleicht könnte ich es so ausrichten, dass ich verlöre, wenn ich es nicht wollte. Ich griff nach dem Brot.
Obwohl ich Fürstin war, hatte ich beschlossen, dieselben kargen Mahlzeiten wie das gemeine Volk anzunehmen, um zu sparen. Stattdessen gab ich das Geld, dass so entstand aus, um Häuser zu errichten, in denen die Bürger kostenlos Speisen und Trunk erhalten konnten, dafür wurde alles Getreide und Fleisch eingezogen. In meiner riesigen Villa hatte ich Obdachlose einquatiert, die sich mit ihrem wenigen Geld kein Haus leisten konnten. Die Bevölkerung war auf eine beängstigend niedrige Anzahl geschrumpft. Das alles könnte besser sein, viel besser, doch dafür brauchten wir mehr Leute.
Ich beschloss, mich in der Prüfung anzustrengen. Ich würde einen Truchsess anstellen, der in meiner Abwesenheit alles regelte und der, wenn ich vielleicht Königin wurde, zum Fürsten ernannt wird. Allerdings wagte ich das kaum zu hoffen. Seufzend ließ ich nach einem Diener klingeln, der mir den königlichen Boten bringen sollte. Als dieser schließlich ankam, fragte ich, wann es zur Prüfung gehen sollte.
"In drei Tagen. Bis dahin werdet Ihr regeln müssen, was in Eurer Abwesenheit geschieht."
Als er ging, ließ ich meinen Vetter rufen, der ebenfalls hier lebte und in derselben Stunde der Nacht geboren wurde.
"Feran", sagte ich, als er zögerlich eintrat, "Ich habe etwas wichtiges mit dir zu besprechen. Komm, setz dich."
"Fürstin Mirialan, was ist Euer Begehr?"
"Lass diese Höflichkeitsfloskeln, du weißt, dass ich das nicht leiden kann."
"Das ist das Protokoll.", sagte Feran achselzuckend.
"Hör mir mal zu, Freundchen!", erwiderte ich barsch, "Das Protokoll ist wichtig, wenn wir in der Öffentlichkeit reden, aber doch nicht im Privatleben!" Ich sah ihn scharf an.
"Na gut, Miri, was willst du von mir?", fragte er genervt und fläzte sich in den Sessel mir gegenüber. Früher hatte er mich immer Miri genannt - bevor ich Fürstin wurde.
"Heute kam ein königlicher Bote, weißt du, was er wollte?"
"Keine Ahnung, Steuern eintreiben vielleicht?"
"Nein. Es soll ein neuer König gekrönt werden. Rate mal, wer vorgeschlagen wurde."
"Ich weiß es nicht, der Baum hinterm Stall um die Ecke vielleicht?"
"Feran! Sei mal etwas ernster, du bist immerhin schon sechzehn!"
"Na und? Muss ich das Fürstentum regieren oder du?"
"In den nächsten paar Wochen? Du. Ich erzähle dir das Ganze, weil du mich in der Zeit vertreten wirst."
Augenblicklich saß mein Vetter senkrecht: "Ich?"
"Nein, der Baum hinterm Stall um die Ecke, um es mit deinen Worten auszudrücken."
"Aber... Ich weiß doch gar nicht, wie das geht!"
"Tja, das wusste ich auch nicht, als ich auf den Thron gesetzt wurde!", sagte ich bissig.
"Wow, wow, nicht so hastig!", wehrte Feran ab.
"Du wirst auch immer mehr wie diese Menschen!", seufzte ich und fuhr fort: "Du musst einfach nur etwas Landarbeit machen und sonntags auf dem Thron Hof halten, dir die Beschwerden der Bürger anhören und sie nach Möglichkeit lösen. Das dürftest sogar du hinbekommen."
"Hey!"
"Du bist entlassen.", sagte ich und wedelte mit der Hand.
"Aber-"
"Geh jetzt!"
"Na gut", quengelte er und ging. Ich seufzte und packte das nötigste, was ich für die Prüfung wohl brauchen würde, zusammen. Einen mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Langbogen mit einem Köcher aus hellbraunem Leder zum Beispiel, in dem zwei Dutzend Pfeile, deren schmale Schäfte Schwanenfedern zierten und deren silbrige Spitze mit filigranen Gravuren überzogen waren, die zu fertigen heute kein Elb mehr in der Lage war; ein zweischneidiger Dolch, dessen silbriges Metall leicht durchschimmernd war, ebenso wie bei den Pfeilen, dieselbe Verziehrung schmückte die Klinge. Auf der Länge des Heftes zog sich eine kunstvolle Rose empor, deren Blüte einen roten Schimmer trug. Ich wog die kühle, leichte Waffe in der Hand, steckte sie in eine kunstvoll bemalte Lederscheide und legte sie ebenfalls in den Rucksack. Dazu packte ich ein filigranes Kettenhemd, so geschmiedet, dass die winzigen Glieder ohne Makel verbunden waren. Das alles war für den letzten Teil der Prüfung, die Kampfsequenz. Dann gab es noch die Wissenssequenz, in der ich wohl kläglich scheitern würde. Mein Wissensstand war nicht der Allerneuste. Das würde ich hoffentlich schaffen, eine Scheiterung war nicht gut für mein Fürstentum.
Dann packte ich noch andere Dinge ein, die eher sentimentalischen Wertes waren, hübscher Tand, nutzlos zwar, aber Erinnerungsstücke an vergangene Zeiten.
Ich blickte seufzend durch das Fenster zu der Abenddämmerung hinaus.
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Das Schicksal der Fürstin
FantasyFürstin Mirialan hat genug damit zu kämpfen, ihr Volk durch die Hungersnot zu bringen, hat sogar ihr Schloss zu einem Obdachlosenheim umfunktioniert, da bekommt sie das Angebot, Königin des Vereinten Reiches zu werden. Sie nimmt an der Prüfung teil...