Ich saß gerade im Chemieunterricht, als ich ihn das erste Mal sah. Unserer Chemielehrer Mr. Colligan wollte uns gerade das Atommodell an irgendeinem Gas erklären, als die Tür ruckartig auffiel. Mit tiefhängender Kapuze betrat der mir noch unbekannte Junge eilig das Klassenzimmer und vermied sämtlichen Augenkontakt. Eine unangenehme Stille machte sich im Klassenzimmer breit und es war, als hätten die Schüler die Luft angehalten. Alle Blicke waren auf den Neuankömmling geheftet, der nun mit festen Schritten quer durchs Zimmer lief, als wäre er schon immer ein Teil unserer Klasse gewesen. Hatte er sich im Raum geirrt? An dieses ausdrucksvolle Gesicht hätte ich mich ganz sicher erinnert. Seine markanten Züge, waren trotz der Kapuze nicht zu übersehen und sein dunkelbraunes Haar stach lockig darunter hervor. Er sah aus, als wäre er in meinem Alter, war jedoch trotzdem etwa einen Kopf größer und überragte somit viele aus meiner Stufe. Ich musste ihn wohl ein wenig angestarrt haben, denn erst jetzt bemerkte ich, dass er geradewegs auf mich zukam. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, setzte er sich selbstgefällig auf einen der Plätze neben mir und befreite sein Gesicht von der Kapuze. Braune Augen, dunkel braune Augen kamen zum Vorschein und flogen untersuchend durch die Tischreihen. Schließlich strich er sich zufrieden durch seine Haare und wühlte gelangweilt in seinem Rucksack, schien die bösen Blicke von mir und den anderen Schülern aber nicht zu bemerken. Als ob es hier nicht genug Plätze gegeben hätte, er musste sich natürlich genau neben mich setzen. Nicht einmal vorgestellt hatte sich dieser seltsame Typ. Doch Mr. Colligan ließ sich davon nicht stören und versuchte uns weiter den Unterrichtsstoff an einem Experiment zu vermitteln, als hätte er nicht gemerkt, dass gerade irgendein Typ mitten in den Unterricht geplatzt war. Tja, er war einer der typischen älteren Lehrer, die selbst den Namen ihrer besten Schüler vergaßen und diese dann letzten Endes nur noch mit 'sie da!' ansprach. Manchmal war es auch noch ein 'Du da!', das passierte aber eher seltener und auch nur bei Schülern, die dem Lehrer unsympathisch waren.
Eine Weile lang hatte sich der Störenfried neben mir benommen (Was war gleich sein Name?) und fast hätte ich geglaubt, er wäre gar nicht so blöd, wie er sich zuerst benahm. Doch natürlich musste er diesen Gedanken sofort zunichte machen. Ich schnaubte, als er sich dreister Weise an meinen Stiften bediente, weil er diese bei sich anscheinend nicht finden konnte.
„Du weißt schon, dass Stifte zum Schulalltag dazu gehören", fauchte ich leise, um die Klasse nicht auf mich aufmerksam zu machen.
„Ah ja, gibst du mir mal den Anspitzer?", erwiderte er desinteressiert und zog sich ein Blatt aus seinem Rucksack. Anscheinend war er sogar zu cool für einen Hefter, von dem Buch ganz zu schweigen. Außerdem breitete sich dieser unverschämte Mistkerl jetzt auf über zwei Drittel des Tisches aus und drängte mich damit fast auf den Nachbartisch.
„Könntest du bitte nicht einen auf Walross machen, wenn du schon neben mir sitzen musst?", zischte ich und erntete dafür einen wiederholten bösen Blick von Mr. Colligan, der mal wieder den Anschluss verloren hatte.
„Würden sie uns bitte alle davon wissen lassen, was sie gerade so beschäftigt, Miss Woods?", meinte er trocken und verschränkte demonstrativ die Arme.
Na toll.
„Hat sich geklärt", murmelte ich genervt und warf dem eigentlichen Unterrichtsstörer einen strafenden Blick zu, den er nur mit einem schiefen Grinsen erwiderte. Natürlich hatte sich gar nichts geklärt.
„Vielleicht sollten Sie sich nicht so leicht ablenken lassen, Miss Woods", grinste er und zog amüsiert eine Augenbraue in die Höhe.
Ich biss mir auf die Lippe, um mir eine spitze Antwort zu verkneifen, was er wohl mitbekommen hatte, denn er lehnte sich zufrieden grinsend zurück. Ich vergrub stöhnend mein Gesicht in den Händen. Wenn ich mit Dem Partnerarbeit machen musste, konnte ich mir meine Chemienote schon vorstellen. Dabei war ich so gut ins Jahr gestartet, welch eine verschwendete Zeit.Ich konnte es kaum glauben, als mich endlich das erlösende Klingeln aus meinen Gedanken befreite. Mein Sportlehrer wäre stolz gewesen, hätte er mich gerade aus dem Raum flüchten gesehen. Ich wette mein Sprint war nah an Usain Bolts dran gewesen. Auf dem Gang kamen mir auch schon Ally und Calum entgegen. Ihrer Mine nach, hatten auch sie gerade eine anstrengende Stunde hinter sich gebracht.
„Du siehst scheiße aus", stellte Ally nüchtern fest und strich sich durch ihre feuerroten Haare. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie sich diese schon gefärbt hatte.
„Danke", murmelte ich und wusste genau, was für große Augenringe in meinem Gesicht lagen.
„Immer wieder gerne." Sie lächelte und ihre Grübchen kamen zum Vorschein. „Wie war Chemie?"
„Frag gar nicht erst", stöhnte ich und malte mir schon das widerliche Essen aus, auf das wir gerade zuliefen. Unzählige Schüler strömten uns aus der Mensa entgegen, von denen ich die Hälfte zum ersten Mal sah. Das war der Nachteil einer großen Schule.
Als wir uns endlich durch die Schülermassen gequetscht hatten, setzten wir uns an einen freien Tisch und ich ließ meinen Blick einmal durch den Raum gleiten. Der Neue war nicht da - soweit ich das durchblicken konnte."Erde an Haily?" Calum schnipste wild vor meinem Gesicht rum. Dabei lachte er fragend und seine Hellbraunen Haare schienen in alle Richtungen zu fliegen, als er seinen Kopf schief legte und mich breit angrinste.
"Äh, ja? Tut mir Leid, was wolltest du?", fragte ich ziemlich durcheinander und folgte seinem Blick.
"Darf ich?" Er deutete grinsend auf meinen Salat. Ohne meine Antwort abzuwarten, zog er ihn zu sich, worauf ich nur lachend das Besteck hinterher schob. Wenn ich nur so viel Motivation, wie er immer Hunger hatte, wäre ich definitiv Jahresbeste.
Nachdem ich auch noch den letzten Block überlebt hatte, schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte nach Hause. Der Weg durch den Park war bisher immer mein Favorit gewesen und daher entschied ich mich auch heute nicht dagegen. Ich war früher häufig mit meiner kleinen Schwester hier gewesen, aber sie war vor kurzem elf Jahre alt geworden und interessierte sich schon längst nicht mehr dafür, im Sand zu wühlen. Schade eigentlich, wenn man bedachte, dass ich bis ich ungefähr vierzehn Jahre alt geworden war, hier einige Nachmittage verbracht hatte. Jetzt - drei Jahre später, war auch ich endlich in der Pubertät angelangt und aus dem Alter raus, in dem man Sandkuchen buk.
Zuhause angekommen, stellte ich meine Sachen erleichtert in meinem Zimmer ab. Meine Mutter und ich waren gerade erst umgezogen, deswegen standen hier noch ziemlich viele unausgepackte Kartons. Meinen Vater hatte ich schon seit etwa fünf Jahren nicht mehr gesehen, was wahrscheinlich daran lag, dass er wenig Interesse daran zeigte den Kontakt aufrecht zu erhalten und sich mittlerweile seine eigene, neue Familie gegründet hatte. In der Luft hing der typische, stickige Umzugsgeruch und die durch das Fenster scheinende Sonne zeigte eine Ganze Reihe an Staubpartikeln. Ich lehnte mich gedankenversunken an einen Stapel Kartons und sah aus meinem Fenster. Die Sicht war glücklicherweise nicht mehr so beschränkt, wie die der Stadt, in der wir vor kurzem noch gewohnt hatten. Hier, etwas abgelegen von dem Tumult, sah man auf ein kleines Waldstück und nicht auf die immer höher wachsenden Hochhäuser, die die Stadt zu bieten hatte. Seufzend ließ ich mich auf meinem Bett nieder und beobachtete die untergehende Sonne und wie sie die Bäume in ein warmes Licht tauchte. Ich verfolgte noch ein paar Fahrradfahrer und Jogger, bis mein Blick schließlich an einer Person hängen blieb. Aber bevor ich diese genauer betrachten konnte, war sie schon wieder verschwunden. Komisch. Ich musste mich wohl geirrt haben, aber dieser Jemand war mir sehr bekannt vorgekommen. Vor allem der Kapuzenpullover, den er getragen hatte.
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Heyy,
Schön, dass Ihr auf unsere Geschichte gestoßen seid! Diavlo ist die erste Story, die wir hier zusammen geschrieben (einige von euch kennen uns vielleicht von Instagram). Wir freuen uns auf Feedback und sind offen für eure Kritik und Ratschläge.Danke an alle, die bis hierher gelesen haben, weiterhin lesen werden und uns Feedback geben! Wir wissen eure Unterstützung zu schätzen!

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Diavlo - Die Hüter
Ficção Adolescente》Man weiß nie wer seine Hände noch im Spiel hatte.《 Seit Hailey Woods Neuzugang an der Schule hat, gerät ihr Leben vollkommen aus der Bahn. Das liegt vor allem an Damian Owen, denn mit ihm folgen unerklärliche Zufälle, auf die sich Hailey keinen Rei...