Kapitel 4

17 1 1
                                    

Vorsichtig öffnete Amilia ihre Augen ein Spalt weit. Sie wusste nicht, wo sie war, geschweige denn, wie sie hierher gekommen war. Sie lag in einem kleinen Raum. Überall um sie herum standen Schalen, Flaschen und Teller und durch ein kleines Fenster fiel etwas Licht in das Zimmer. Plötzlich sprang etwas auf auf ihre Decke. Erschrocken zuckte Amilia zusammen und schaute sich um. Ein Marder, mit dunkelbraunem glänzendem Fell, hatte sich dort zusammen gerollt hingelegt. Zögernd streckte sie ihre Hand aus und streichelte ihn. Sofort hob er etwas den Kopf und sah sie an. Dann schien er sich wieder zu beruhigen und legte seinen Kopf an, beobachtete sie aber weiterhin aufmerksam. 

Und so saß sie einige Zeit da, bis ihr wieder einfiel, was passiert war. Amilia sprang auf und schaute aus dem Fenster. Die Sonne schien. Aber sie war in der Nacht losgeritten. Panisch überlegte sie, was zu tun war. Sie musste Nastragal suchen, sie musste nach Hause, ...

Ihre Gedanken überschlugen sich.

Da öffnete sich die Tür hinter ihr. Ein junger Mann, vielleicht 3 Jahre älter als sie, stand dort. Mit einem überheblichen Lächeln sah er sie an. "Wo bin ich hier? Und wie bin ich hierher gekommen?...Und wer bist du eigentlich?", frage Amilia aufgebracht. "Ich bin Leonard. Leonard von Eichenhof, Sohn und Erbe des Grafen Eichenhof, Herrscher über das Waldland im Westen Orkengens.", sagte er nur, drehte sich um und verließ das Zimmer wieder. "Was ist mit meinen andern Fragen?" Schreiend lief sie ihm hinterher, doch er ignorierte sie und ging einfach weiter.

Was ist das denn für einer? Wer er ist hat mich nun wirklich am Wenigsten interessiert... Und jetzt bleibt er nicht mal stehen.

Und so musste Amilia ihm durch die Gänge folgen und hoffte später jemanden zu treffen, der ihr Antworten gab - und weniger eingebildet ist. Da sie es nun aufgegeben hatte, von ihm etwas zu erfahren, konnte sie sich ganz auf das Gebäude, in dem sie rumliefen, konzentrieren. Im Gegensatz zu dem schliechten Holzhaus, in dem sie mit ihrer Familie lebte, schein dies ein riesiges prachtvolles Schloss zu sein. An den Steinwänden hingen Gemälde (wahrscheinlich von irgendwelchen unglaublich adeligen und vornehmen Ahnen von Leonard...) und alle paar Meter waren Kerzenhalter angebracht, die die Gänge in ein schimmerndes Licht tauchten. Würde sie nicht gerade diesem unausstehlichen Mann hinterher laufen oder überhaupt keine Ahnung davon haben, wo sie gerade war, wäre es wahrscheinlich sogar ziemlich romantisch hier.

Aber sie tat es gerade, also war es  leider nicht sehr romantisch.

Es hatte tatsächlich eine ganze Zeit gedauert, bis Amilia endlich auf einen anderen traf. Es musste Leonards Vater sein - der Graf höchst persönlich - und dieser war das absolute Gegenteil von Leonard. Lächelnd begrüßte er sie. "Ich bitte vielmals um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten. Aber es ließ sich nicht verhindern. Doch nun sind Sie hier und es kann endlich beginnen!" "Entschuldigung," sagte Amilia verwirrt, "Worum geht es hier? Was kann nun beginnen? Was habe ich damit zu tun? Und was ist mit Nastragal?" Der Graf musste schmunzeln. "Natürlich, Nastragal, ich hatte ihn schon fast vergessen. Leonard, führe unseren Besuch bitte zu den Ställen."

Ich beschloß diesmal nicht klein bei zu geben und aus Leonard irgendwie Antworten zu bekommen. Schließlich gab er genervt zurück: "Wenn du es unbedingt wissen willst, dann gehe gleich zu Meister Lenoldus. Er ist der Biblothekar meines Vaters und sein Berater." Dankbar dafür ging sie den restlichen Weg schweigend neben ihm.

Erst als sie das Schloss verließen und den Hof betraten, nahm sie die tatsächliche Größe davon wahr. Es war umgeben von einer steinernden Mauer, die in jede Himmelsrichtung einen Turm hatte, der von Wachposten besetzt war. Die Zugbrücke war runtergelassen und es verließ gerade eine Truppe Reiter auf dieser das Schloss. "Wohin wollen sie?", fragte Amilia Leonard mit dem Finger auf die Reiter zeigend. "Die Trolle kommen wieder von den Bergen in unsere Wälder. Es ist so schlimm, wie seit Jahrzehnten schon nicht mehr. Sie zerstören alles und klauen den Bauern ihre Tiere. Wenn wir nichts dagegen tun, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Menschen ihnen zum Opfer fallen." Amilia schaute den Reitern hinterher. Stumm. Denkend.

Doch ihre Gedanken verschwanden wenig später, als sie die Ställe betraten. Selbst jetzt wiehrte Nastragal ihr entgegen und noch nie hatte sie sich so darüber gefreut. Sie lief zu ihm, froh ihn endlich wieder zu haben. Und für einen ganz kurzen Moment meinte sie, Leonard lächeln zu sehen. Und zwar nicht überheblich sondern wirklich lächelnd - echt.

ArkengenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt