Ich bin müde. Egal. Ich klappe das Tor zu Socialmedianutzung auf und sehe was es Neues gibt. Der süchtige Konsument in seiner Vollendung. Man will ja auf dem Laufenen bleiben.
E-mails.
Es gab eine Zeit, da hätte man von so leichten Kommunikationswegen wie E-Mail oder SMS nur träumen können. Hin und wieder wünscht sich der süchtige Konsument in solche Zeiten, ohne den Drang etwas wissen zu müssen.
Zwei neue Nachrichten. Ah mein guter Freund aus dem fernen Frankreich. Zeigt nur zu gut wie sehr ich mich über die Modernisierung von Nachrichtenübermittlung eigentlich freue. Ein Brief hätte ewig gebraucht und wäre teuer gewesen. Hier reicht das Aufklappen des Laptops.
Schnell geantwortet, trotz regem Interesse bin ich müde.
Nächster Stop ist die aktuelle Weltlage. Deprimierend wie eh und jeh... Haltlose Gerichtsverfahren der Prominenz, neu entdeckte Riesenbakterien, Killervirus; verbessert und bereit die virtuelle Welt zu vernichten, Sklaverei, Wirtschaftsskandale und die Terroranschläge fliegen mir gepfeffert um die Ohren. 'Was soll nur aus dieser Welt werden', fragt sich der frustrierte Konsument. Keine Antwort, das Internet schweigt.
Als nächstes der Blog des veehrten Herr Papas. 'Russische Grippe'. Ein guter, wenn auch ebenfalls melancholischer Beitrag zum großen Ganzen. In diesem Moment bin ich froh, Papi unten, in Decken gepackt und mit Medikamenten vollgepumpt, in seiner Werkstatt zu wissen und nicht auf etwaigen Flugplätzen dieser Welt.
Genug Bildung für heute. Facebook. Die wunderbare, süße Welt hinter den Pixeln. Skandale, Intrigen, Demonstrationen und Lebensinhalte von so banaler Wichtigkeit, dass man auch daran verzeifeln möchte.
Ein Bekannter postete seine heutige Nahrungsaufnahme. Wenn er demnächst einen Magendarminfekt hat , könnte es an genau jenem Essen gelegen haben. Und die ganze Welt weiß es. Wozu macht dieser Mensch das nur... Was muss das für eine verkrüppelte Persönlichkeit sein, die ihre einzige Erfüllung und Anerkennung auf dieser Plattform findet?
Halt, völlig falscher Ansatz!
Er tut das nicht, um etwas zu bezwecken. Er tut es, weil man das halt so machen kann. Es sind Optionen die ausgeschöpft werden können, ohne einen Grund. Man bezweckt keine Reaktion und doch will man sie.
Der Konsument sitzt davor und versucht die Verhaltensweise dieser Spezies zu analysieren. Scheitert. Wie immer.
Ein Anderer postet einen draufgängerischen Dialog zwischen sich und seiner Exfreundin, die nicht von ihm lassen will. Er leidet, und die ganze Welt soll es sehen, soll es disskutieren, soll ihm Beistand leisten... Was für eine mickrige Moralgrenze, die die privaten Angelegenheiten privat sein lässt. Es ist natürlich viel einfacher diese Grenze zu überschreiten, man kann sich der Debatte entziehen, wenn man den Rechner ausmacht. Man muss dem Angeklagten nicht in die Augen sehen. Wie einfach und feige. Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Rückrad zählen nichts. Sie werden nur verwendet wenn es der eingenen Ausschmückung dient.
Genug davon, ich kann es nicht mehr sehen! Jetzt gerade nicht.
Ah ein neuer Post. Ein alter Freund hat irgendein amüsantes Bild gepostet. Ja, warum nicht, ist schließlich noch einer der nachvollziehbarsten Gründe der Internetnutzung. Tut keinem weh.
Ist er noch on? Eigentlich bin ich müde, denkt sich der Konsument, sieht aber vorsichtshalber noch einmal im Chatfenster nach. Nein, ist er nicht. Nur eine einzige Person ist online. S. ist immer online. Überall, auf jeder Platform, jeden Tag, zu jeder Stunde. Ihre Welt da draußen ist völlig leer, sie interessiert sie nicht mehr.
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Die kleine Samlung
Short StoryDas sind Kurzgeschichten jeglicher Art. Weder auf Welt, Zeit oder Ort speziell geordnet.