Der stille Raum

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Diese dröhnende Stille lastete schwer in dem von Lampen spärlich beleuchteten Raum, nur unterbrochen von seinen gelegentlichen Schluchzern und dem schon fast schmerzhaft lauten Ticken der Uhr. Die Sekunden krachten auf mein Trommelfell.

Er lag leise schluchzend in ihrem Arm. Seine Schultern bebten vor unterdrücktem Weinen und sie streichelte ihm beschwichtigend über den Rücken. Ich fühlte mich neben ihrer Zweisamkeit wie ein Geist oder eher wie ein unsichtbarer Beobachter seines Kummers. Fremd und unbeteiligt saß ich da und sah ihnen zu. Hätte ich mein blasses Gesicht, das ernst und alt wirkte, nicht im Spiegel gegenüber gesehen, hätte ich selbst an meiner Anwesenheit gezweifelt.

Unbehagen ergriff mich in dieser beklemmenden Umgebung, war ich doch einst diejenige gewesen, die ihn hatte trösten müssen. Verschämt dachte ich darüber nach, das sie dieser Aufgabe besser nachkam, als ich es je getan hatte. Ein schlechtes Gewissen konnte ich mir allerdings nicht zugestehen, war ich mir doch bewusst, dass mein Herz nie für ihn geschlagen hatte und ihm deshalb auch nie die Geborgenheit geben konnte, die er in ihren Armen fand.

Dort war er eindeutig besser aufgehoben.

Ich betrachtete das Bisschen was von seinem Gesicht zu sehen war und Abscheu überkam mich. Wie erbärmlich er sich an sie schmiegte, wie ein kleines Kind. So hilflos und überempfindlich... Männer sollten wegen so etwas nicht weinen.

Denn wenn sie es taten, gefror mein Herz und war zu keiner Fürsorge mehr fähig. Es schien verkehrt, was er da tat. Unnatürlich.

Er löste sich schwerfällig aus ihren Armen und stand auf. 'Muss auf Toilette', murmelte er leise und unverständlich und trabte aus dem Zimmer.

Ich riss mich aus meinen Gedanken und sah sie an. Ihr Gesicht zeigte die gleiche Mimik, die ich an mir oft nach solchen Situationen gesehen hatte. Resignation und Hilflosigkeit.

'Du machst das gut.', lobte ich sie leise. Sie schaute überrascht und lächelte leicht. 'Ich bin viel zu unsensibel.', sagte sie. Ich schüttelte den Kopf. 'Deutlich sensibler als ich es je gewesen bin.' Sie nickt abwesend und lehnte sich an mich. Ich nahm sie in den Arm und streichelte ihr über den Rücken.

Wie verletzlich sie doch war. Ihr Herz war groß und weich, so empfindlich. Er durfte das doch nicht einfach so übersehen.

Resigniert dachte ich darüber nach, was wohl aus ihrer Liebe werden würde, sollte sie eines Tages an den Punkt angelangen, den ich schon längst überschritten hatte...

Ich hatte mich gerade von ihr gelöst, als er zurück ins Zimmer kam. Seine Augen rot und verquollen, seine Nase unnatürlich groß und sein knochiger Körper bebte immer noch. Kaum saß er, war er auch schon wieder in ihrem Arm versunken und weinte weiter. Mitleidlos und doch neidisch beobachtete ich, wie sie sich küssten und ihre Köpfe an einander lehnten. So verharrten wir, sie zusammengekuschelt, ich psychisch allein und in meine ganz persönliche Frustration versunken. Die Uhr tickte.

Ein zaghaftes Klopfen riss uns aus unserer Trance. Ihre kleine Schwester steckte den Kopf herein. 'Meine Mutter?', fragte ich ruhig. Sie nickte. 'Nun dann...', ich stand auf und wandte mich um,' dann geh ich mal.' Beide nickten und sie lächelte. Als ich schon fast aus der Tür war, drehte ich mich noch einmal um und begegnete ihrem Blick. Sie fixierte mich stark und es war als könnte ich ihre Gedanken durch den Raum schreien hören: 'Geh nicht!'

Ich hielt inne, drehte den Kopf weg und floh aus dem Raum mit der angefüllten Stille. Wie würde das mit ihnen wohl enden? Ich wünschte, es würde mich nichts angehen...

Die kleine SamlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt