Ich hätte nie gedacht, dass dieser Sommer so viel mit sich bringen würde. In den ersten Tagen schienen mir die Ferien die langweiligsten Wochen seit langem zu werden. In Rantasalmi war so gut wie nichts los, weil die Touristen ausblieben und es für finnische Verhältnisse so heiß war, dass sich alle in ihren Häusern aufhielten. Schon nach zwei Tagen hatte ich nichts Nützliches mehr zu tun. Meine Mutter musste wie immer arbeiten, schließlich wurden die Tiere hier oft krank und somit war ihr ärztliches Können ständig gefragt. Meine zwei kleinen Schwestern Aria und Elena, um die ich mich anfangs noch gekümmert hatte, fuhren heute für eine Woche zu Oma und Opa. Ich war kein Langschläfer, außerdem hatte ich den beiden morgens noch beim Packen geholfen, deshalb stand ich schon um kurz nach Neun vor der Tür meines besten Freundes Raafael.
Ihm ging es nicht anders als mir, mit dem Unterschied, dass er keine Geschwister hatte und deshalb seit Ferienbeginn an seiner Playstation hing. "Raffi!" Grinsend klopfte ich ihm auf die Schulter und setzte mich neben ihn aufs Bett, um zuzusehen. Nach kurzem Schweigen fragte ich ihn trocken "Wie lange spielst du schon?" Mein Blick schweifte dabei von den vielen Tellern und Pizzakartons zu den dunklen Ringen unter seinen Augen. "Weiß' nicht. Ein, zwei Tage?", tat er die Frage mit einem Schulterzucken ab. Seufzend schnappte ich mir einen zweiten Controller und stand auf, um ihn an der Playstation anzuschließen.
Eigentlich ging es mir gegen den Strich, dass Raffi überhaupt nicht auf sich achtete, doch ich hielt den Mund. Diskussionen dieser Art hatten wir schon oft genug geführt und jedes Mal endete es damit, dass wir zwei ein paar Tage nicht miteinander sprachen. Wir hatten wohl einfach unterschiedliche Ansichten. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte den Controller anzuschließen. Verzweifelt fummelt und fuhrwerkte ich einige Zeit lang am Stecker herum, bis es plötzlich hässlich knackte. Erschrocken ließ ich die Konsole los und starrte auf das silberne Ding in meiner Hand. Ich hatte es abgebrochen. Raffi hinter mir fuhr herum. "Was hast du gemacht?"
Zerknirscht blickte ich ihn an. Immerhin sah er jetzt viel munterer aus."Ich... äh...", stammelte ich und hielt ihm schließlich das silberne Stück des Steckers hin. "Verdammt Nic! Weißt du eigentlich, wie teuer das ist?!" Sein wütender Blick ließ Schuldgefühle in mir keimen. Reumütig versuchte ich die Situation noch irgendwie zu retten. "Sorry." Wie immer, wenn ich nervös wurde, fuhr ich mir durch die Haare. "Ich kauf' dir einen neuen Controller, okay?" Einige Sekunden lang sagte Raafael nichts, weshalb ich mich schon darauf einstellte, dass er mich rausschmiss, doch er fing irgendwann an zu grinsen und meinte: "Du bist so eine Technik-Niete, Nic." und bot mir seine Hand an. Erleichtert fing ich ebenfalls an zu grinsen und schlug ein. "Alles wieder gut?" "Alles wieder gut", bestätigte er.
Wir standen beide auf und machten uns schließlich auf den Weg zu dem kleinen Computer-Laden ein paar Straßen weiter, um eine neue Konsole zu besorgen. Es gab zwar eigentlich einen größeren Discounter in unserem Dorf, der auch eine Technikabteilung hatte, jedoch lag der am Festland, wo sich Rantasalmi hinverlagert hatte, als die Insel, auf der wir wohnten, keinen Platz mehr bot für die weiteren Ansiedler. Etwas Gutes hatte es wenigstens gehabt, dass ich den Stecker abgebrochen hatte. Raafael kam endlich mal an die frische Luft.
Eine halbe Stunde später liefen wir gerade wieder zurück zu Raffis Wohnung, als uns Aleksi entgegen kam. Aleksi gehörte zu Raafaels und meinen Grundschulfreunden. Er war nicht sehr groß, hatte dafür aber umso längere Haare und sein schelmischer Gesichtsausdruck verriet, dass er nur auf die nächste günstige Gelegenheit wartete, um uns einen Streich zu spielen. "Hey, Nicolai." Aleksi schlug in meine Hand ein und begrüßte dann Raffi. Wir unterhielten uns ein wenig, bis es keiner von uns mehr in der heißen Sonne aushielt. "Ich könnte echt eine Abkühlung gebrauchen!", stöhnte Raffi, als wir uns in einen Häuserschatten flüchteten, und ich nickte zustimmend.
"Wie wäre es, wenn wir mal wieder zum See gehen?", schlug ich dann begeistert vor. " "Gute Idee. Ich könnte auch noch die Anderen fragen." Aleksi blickte uns erwartungsvoll an.Die Anderen, das waren Elias, Frida, Markku und Sanna, alle hier in Rantasalmi geboren und mit uns entweder in den Kindergarten oder in die Grundschule gegangen. Sie waren, zusammen mit Aleksi und Raafael immer die Ersten und später sogar die Einzigen gewesen, die ich zu meinen Geburtstagen eingeladen hatte und bis heute unternahmen wir noch nahezu alles miteinander. Raafael nickte grinsend und auch ich stimmte zu.
"Dann holen wir noch unsere Badesachen und treffen uns in einer halben Stunde am See, okay?" "Gut, bis gleich." Wir verabschiedeten uns voneinander und dann eilte ich zu mir nach Hause, wo eine angenehme Kühle auf mich wartete.
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Finnischer Sommer
Teen FictionEin Sommer - voller Abenteuer, neuer Freundschaften, alten Problemen, Streit, Liebe und dem puren, intensiven Gefühl von Leben. Dieser Sommer wird so ganz anders, als Nicolai auch nur im Entferntesten glauben oder ahnen kann, doch er lässt sich dara...