Zusammen liefen wir das kurze Stück am Ufer entlang und ich erzählte Aleksi etwas von meinem Vater. Zumindest das, was ich von ihm wusste. Wie immer keimte Wut in mir hoch, wenn ich an ihn dachte. Es ging einfach über meinen Verstand, eine schwangere Frau, die sowieso schon einen sechsjährigen Sohn an der Backe hatte, ohne irgendein Sterbenswörtchen zu verlassen. Unbewusst ballten sich meine Hände zu Fäusten und ich sprach immer verbitterter.
Ich wurde aber jäh unterbrochen, als mir der Boden unter meinen Füßen entzogen wurde und ich der Länge nach auf den Weg fiel. Gerade noch konnte ich meinen Sturz mit den Armen abfangen, trotzdem bekam ich eine geballte Ladung trockener Erde in den Mund. "Yes, friss Staub!", grölte hinter mir Aleksi. Hustend und spuckend rappelte ich mich auf und blinzelte meinen Freund ungläubig an. "Was sollte das denn?"
"Ein guter Freund erkennt, wann es Zeit ist, das Thema zu wechseln", feixte er. "Ach, da bin ich ja direkt dankbar für deine Fürsorglichkeit", entgegnete ich, setzte ein Lächeln auf und kam zu ihm. "Lass mich bei dir bedanken!" "Äh, nö. Nichts zu danken." Abwehrend hob Aleksi die Hände und ging ein paar Schritte rückwärts. "Aber wer wird denn so unfreundlich sein? Ich will doch nur danke sagen." Ich konnte mich nicht gegen das diabloische Lächeln wehren, dass sich auf meine Lippen gestohlen hatte.
Jetzt, endlich war Aleksi so weit nach hinten gewichen, dass ich mit einem Satz bei ihm war und ihm nur noch einen kleinen Schubs geben musste, damit er rücklings in Wasser fiel. Als er wieder auftauchte, brach das Lachen aus mir heraus. Sein Anblick war einfach göttlich. Seine langen Haare hingen ihm wie Algen ins Gesicht, da sie vom Sand verklebt waren und zudem hatte sich ein glitschiger, ekelerregender Ast in ihnen verfangen. Aleksi versuchte vergeblich, sich die Haare aus dem Gesicht zu pusten, was eine neue Lachsalve bei mir auslöste. "Schön, dass wenigstens einer wieder gut drauf ist", murrte er und erhob sich. "Jetzt sind wir aber quitt!" "Ja, das sind wir wohl."
Schon hinter der nächsten Kurve lag das in der Sonne rot leuchtende Haus, zu dem ein schmaler Pfad zur Haustür führte. Ich blickte mich interessiert um und suchte nach einem der Jugendlichen, die vor kurzem noch da gewesen waren. Insgeheim, flüsterte mir eine eine leise Stimme in meinem Inneren zu, insgeheim hielt ich nach dem blonden Mädchen Ausschau. Komischerweise entdeckte ich niemanden.
Nebeneinander liefen wir auf die Tür zu und Aleksi begann gegen das Holz zu klopfen, doch schon nach dem ersten Schlag schwang sie ein kleines Stück auf und gab einen winzigen Blick ins Innere frei. Wir sahen uns ratlos an. "Sollen wir rein?" "Wäre das dann nicht so etwas wie Hausfriedensbruch?", kam mir Aleksi mit einer Gegenfrage. "So wie wir aussehen, würden die das bestimmt glauben." Während ich das sagte, drückte ich die Tür komplett auf und trat ins Haus. Dabei warf ich meinem Freund noch einen belustigten Blick zu, sodass ich nicht bemerkte, in was für eine Situation ich da gerade stolperte.
Vor mir stand sie, das blonde Mädchen mit den wunderschönen Augen, die sie schreckensweit aufriss, als sie mich sah. Und das lag nicht an meinem vor Erde strotzenden T-Shirt. Es lag an ihrem T-Shirt, oder besser gesagt, an dem nicht vorhandenen T-Shirt. Sie hatte nämlich keines an. Nur ein blauer BH mit ein wenig Spitze an den Seiten zierte ihren Oberkörper, ansonsten hatte ich freie Sicht.
Blöderweise nicht nur ich. Aleksi war nun nämlich auch rein gelaufen und blieb wie angewurzelt stehen. Wir beide beglotzten sie wie die Goldfische meiner Tante mich mit ihren großen, runden Augen, wenn ich meine Finger ins Wasser gehalten und versucht hatte, sie zu streicheln.
Ihr schoss die Röte ins Gesicht und so schnell sie konnte, griff sie nach einem weinroten Top im Koffer neben ihr und hielt es sich vor die Brust. Jetzt kam Bewegung in mich. Ich wendete den Blick ab, auch meine Wangen leuchteten mittlerweile warscheinlich wie eine rote Ampel, und drängte Aleksi aus dem Zimmer.
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Finnischer Sommer
Teen FictionEin Sommer - voller Abenteuer, neuer Freundschaften, alten Problemen, Streit, Liebe und dem puren, intensiven Gefühl von Leben. Dieser Sommer wird so ganz anders, als Nicolai auch nur im Entferntesten glauben oder ahnen kann, doch er lässt sich dara...