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"Hey! Nic!" Laut rufend kam mir ein blondes Mädchen entgegen gerannt und schmiss sich in meine Arme. Durch die Wucht stolperte ich ein paar Schritte nach hinten, fing mich aber wieder und lachte. "Mein kleiner Wirbelwind!" Ich pikste ihr mit meinen Fingern in die Seite, sodass sich Sanna laut quietschend losmachte und "Du Idiot!" rief. Trotzdem konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Hinter ihr kamen auch schon Aleksi und Raafael fröhlich pfeifend auf uns zu und schlugen bei mir ein. Alle beide hatten ihre Badesachen unterm Arm und schliffen zwei große, pinke Luftmatratzen hinter sich her.

"Sehr männlich", gab ich mit einem Wink auf sie zu bedenken und schmiss mich probehalber auf eine drauf. Aleksi keuchte auf und ließ sie unter meinem Gewicht los. Genüsslich streckte ich meine Arme aus und ließ sie über dem Boden baumeln, schloss meine Augen und schmatzte spaßeshalber laut. Plötzlich gab es einen Ruck, ich riss die Augen auf und blickte irritiert um mich. Meine Freunde hoben mich samt Matratze hoch und grinsten diabolisch. Ich achtete aber nicht groß darauf, sondern machte es mir gemütlich, während die Drei immer schneller auf das in der Sonne glitzernde Wasser zu rannten und erst halt machten, als es ihnen schon bis zur Hüfte reichte.

"Der Service ist wirklich lobenswert." Ich piesackte sie noch etwas und tauchte derweil meine Hand ins kühle Nass, um zu testen, wie warm es war. Leider bekam in diesem Moment meine Matratze Schieflage. Das Letzte, was ich sah, bevor ich laut platschend ins Wasser fiel, war das triumphierende Gesicht von Aleksi. Ganz automatisch schloss ich meine Augen und wartete, bis meine Zehen den Grund berührten und ich mich kraftvoll abstoßen und wieder an die Oberfläche schwimmen konnte.

Jedoch zeigte ich mich nicht direkt, sondern wendete mich etwas nach links und bewegte mich ein paar Meter in diese Richtung, bevor ich es wagte aufzutauchen. Dann blickte ich langsam um mich. Links von mir standen Sanna, Aleksi und Raffi und klatschten sich lachend ab, hinter ihnen entdeckte ich Markku, Frida und Elias am Ufer mit einem großen Picknickkorb und zwei Decken. Ich winkte ihnen kurz zu, sodass Aleksi auf sie aufmerksam wurde, und nutzte dann die Gelegenheit, dass er abgelenkt war, von hinten auf ihn drauf zu springen und ihn unter Wasser zu ziehen. Prustend kam er wieder hoch, boxte mir in die Seite und grinste. "Jetzt sind wir quitt." "Ja, wir schon", willigte ich ein, während ich mich nach Raafael umsah. Mit ihm hatte ich noch eine Rechnung offen.

Es traf sich gut, dass er sowieso auf mich zusteuerte, ein porvozierendes Lächeln auf den Lippen. "Na, hast du deine Morgendusche schon bekommen?" "Kann sein, aber ich glaube, du hast noch Dreck hinter den Ohren!" Schon rannten wir durchs Wasser. Mein bester Freund war schnell und nahm anfangs erfolgreich reißaus, doch ihm fehlte die Ausdauer, die ich durch meine regelmäßigen Schwimmstunden besaß. Ich stürzte mich auf ihn und tauchte Raffi mehrmals unter. Dann nahm ich ihn in den Schwitzkasten und tat so, als ob ich seine Ohren putzen würde. "So, jetzt glänzt du auch wieder!", spaßte ich danach und zerstrubbelte seine Haare. Feixend kehrten wir ans Ufer zurück und ließen uns im Gras nieder.

Eine Stunde später hatten wir gerade zwei Runden essen und einige Streiche von Aleksi hinter uns und langsam legte sich die Mittagsmüdigkeit über Rantasalmi. Sanna schien aber gerade erst aufzublühen. "Wer hat Lust auf eine Runde schwimmen?", rief sie begeistert und sprang auf. Markku stopfte sich noch schnell das letzte Stück Salmiakki in den Mund, schnappte sich seine pinke Luftmatratze und nuschelte "Ich!" Frida war etwas langsamer am Start, schlug dann aber ein kleines Wettrennen vor. Der Rest räkelte sich in der Sonne und blinzelte nur ungläubig. Die blonde Nervensäge duldete das aber nicht und nervte so lange rum, bis ich grummelte "Kannst du ein bisschen leiser sein, du störst die Nachbarn."

Mit Nachbarn meinte ich das Grundstück ein gutes Stück seeabwärts von unserer Badestelle aus, auf dem zwei rote Bauernhäuser standen. Es gehörte dem alten Sten, der eigentlich Hannu Stenvall hieß, hier im Dorf aber nur als alter Sten bekannt war, jedoch wohnte er nicht selbst darin, sondern hatte es ursprünglich für Urlauber gebaut. Seit ein, zwei Jahren aber war es nicht mehr gemietet worden und stand somit leer. "Haha, sehr witzig. Ihr seht aus wie fette Robben im Zoo!", stichelte Sanna. Sie redete immer weiter auf uns ein, bis wir schlussendlich aufsprangen und sie ins Wasser tauchten.

Das war der Anfang einer Wasserschlacht. Markku, Sanna, und Frida gegen Elias, Aleksi, Raafael und mich. Am Ende klebten unsere Klamotten an uns wie eine zweite Haut, weshalb wir sie zum Trocknen auszogen und in die Sonne legten und in Badehose und Bikini noch eine Runde schwimmen gingen. Danach ließen wir uns allesamt im Gras nieder und dösten eine Runde. Nur Markku bediente sich am Picknickkorb und verspeiste eine Leckerei nach der anderen. Irgendwann tippte mich jemand an der Schulter an. Ich blinzelte verwirrt und erkannte dann Aleksi. "Hast du meine Luftmatratze gesehen?" Kopfschüttelnd blickte ich mich um, entdeckte aber nur Markkus Matratze an einem Baum lehnend. "Vielleicht ist sie weggetrieben?", überlegte ich laut. "Das hab ich auch schon gedacht", meinte Aleksi. Wir machten uns auf die Suche.

Erst gingen wir ein Stück erfolglos am Ufer entlang und weiteten dann unsere Suche auf den See aus. Ich übernahm die linke Seite, Aleksi die rechte. Nach ungefähr einer Viertelstunde gab ich es auf und drehte um. Kurz bevor ich wieder zu unserer Badestelle kam, entdeckte etwas Pinkes weiter vorne zwischen dem Schilf. Tatsächlich war es Aleksis Luftmatratze, die sich unter einem kleinen Steg verfangen hatte. Mit zwei Schwimmzügen war ich bei ihr und veruchte sie unter dem Holz hervorzuziehen, als ich Stimmen hörte.

Neugierig stemmte ich mich ein kleines Stück am Steg hoch und erhaschte einen Blick auf drei Jugendliche, die weiter hinten aus einem von Stens Bauerhäusern kamen.

Sie liefen um das Haus herum und erkundeten die Gegend. Ich beobachtete sie vorsichtig vom Steg aus. Es waren ein blonder Junge, ziemlich groß und gut gebaut, und zwei Mädchen, die beide kleiner waren, die eine immens, die andere nur etwa einen halben Kopf. Die Kleine hatte pinke Haare, wie passend, warf dem Jungen die ganze Zeit verträumte Blicke zu und schien ihn regelrecht anzuhimmeln. Das andere Mädchen verblüffte mich.

Ich schätzte sie auf 16, vielleicht auch 17. Ihre Haare ringelten sich in kleinen Locken auf den Schultern und standen oben am Kopf wild ab. Die Augen verstrahlten ein trübes und dennoch sanftes Grün. Die kleine Nase war bedeckt von Sommersprossen und ihr schmaler Mund rundete das Ganze gelinde ab. Sie hatte eine starke Ausstrahlung, die mich in den Bann zog. So sehr, dass ich nicht bemerkte, dass der Junge meinem Versteck gefährlich nahe gekommen war. "He, Emily, schau mal! Ich glaube, hier ist was", rief er nur wenige Meter von mir entfernt auf Deutsch und blickte genau in meine Richtung. Verschreckt stieß ich mich an den Holzpfeilern ab und bewegte mich ein Stück ins Schilf. So tief ich konnte verschwand ich im Wasser und atmete flach durch die Nase.

Die drei Jugendlichen hatten mittlerweile den Steg entdeckt. "Cool!", strahlte das Mädchen mit den pinken Haaren und betrat vorsichtig die Planken. Während sie Schritt für Schritt mehr in mein Sichtfeld kam, rutschte mir fast das Herz in die Badehose. Sie musste ihren Kopf nur ein paar Zentimeter drehen und würde mir direkt in die Augen blicken. Ich fühlte mich wie ein Stalker. Jetzt bemerkte die Pinkhaarige Aleksis Matratze, die in haargenau dem gleichen Ton wie die Haare des Mädchens leuchtete und mich anscheinend verspotten wollte. "Joel, Linda, schaut mal. Unter dem Steg schwimmt eine Luftmatratze." Meine Situation wurde immer brenzliger.

Unruhig verfolgte ich die Schritte der anderen zwei, während sie zu ihrer Freundin liefen. Regungslos trieb ich im Wasser und gab keinen Mucks von mir. Nach wenigen Sekunden diskutieren, hievten die Drei die Matratze nach oben. Das war meine Chance. Ich holte einmal tief Luft und glitt dann geräuschlos ganz ins Wasser, schwamm unter den Steg und tauchte dort im Schutz der Holzplanken, darauf bedacht im Schatten zu bleiben, wieder auf. Sie standen nun genau über mir und untersuchten die Matratze nach einem Namen. Da ich hier nichts mehr machen konnte, ohne meine Deckung aufzugeben, beschloss ich zurück zur Badestelle zu schwimmen und Aleksi Bescheid zu geben. Mein Tauchgang erzeugte einen sanften Wellengang, erregte aber keine Aufmerksamkeit.

Mit drei schnellen Schwimmzügen war ich um eine kleine Biegung herum geschwommen und riskierte, mich an der Wasseroberfläche weiter zu bewegen. Während ich zurück schwamm, fiel endlich diese merwürdige Beklommheit von mir ab und ich wunderte mich über mich selbst. Irgendwie hatte mich dieses Mädchen verwirrt. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass ich auf keinen Fall entdeckt werden wollte. Ich hatte irgedwie Angst, sie würde mich für verrückt halten, wenn sie mich so gesehen hätte, und aus irgendeinem Grund wollte ich ihr auf keinen Fall negativ in Erinnerung bleiben. Aber warum?

Ich erreichte die anderen, die sich immer noch in der Sonne räkelten und anscheinend nichts von unserer Matratzensuche mitbekommen hatten. Aleksi saß beim Picknickkorb, doch, als er mich sah, kam er mir entgegen, sodass ich ihm die Situation erklären konnte. Mein merkwürdiges Verhalten sparte ich aber geflissentlich aus.

Finnischer SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt