Niemand sagt etwas. Wie immer, wenn ich den Raum betrete. Ich weiß nicht wieso, aber ich glaube es liegt einfach daran, dass keiner mich leiden kann. Wieso mich keiner leiden kann? Bin ich nicht die typische Art von Opfer? Ich bin nicht hässlich, der Streber oder trage eine Brille oder Zahnspange. Wieso dann? Wieso ich keine Freunde habe? Ich rede nicht viel. Mit wem auch. Keiner versteht mich, keiner traut sich mit mir zu reden. Weil ich nie rede. Wieso auch. Reden hat mir nie geholfen, in den letzten Jahren. So wie schreien nach einigen Monaten auch nichts mehr gebracht hat. Also gebe ich keinen Laut von mir, weil es mir nie irgendwas gebracht hat. Die Leute, die es versucht haben, mit mir zu reden, haben nur Stille als Antwort erhalten. Ich weiß, es ist nicht nett, aber es ist besser so. Die Leute sind auf Abstand, weit weg von mir. Ich fühle mich auch nicht mehr alleine, das ist lange vorbei. Damals hat mich auch keiner gehört, als ich geschrien hab, alles, das ich hatte zusammengeschrien habe, zu dem, was ich heute bin. Ein Nichts.
Ich hatte einen Freund und er hat mir beigebracht, was Schmerzen sind. Blutergüsse, Prellungen, die Spitze war eine gebrochene Hand. Das hat er mir angetan. Warum ich nichts gesagt habe? Es hätte 1. nichts gebracht, weil ich mein Leben lang mit ansehen musste, wie meiner Mutter das gleiche angetan wurde und 2., weil er sie bedroht hat. Ja, bedroht. Und heute ist einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Ich sitze in der Schule auf meinem Platz, natürlich alleine. Alle laufen herum, reden und lachen. Ich blende das alles aus, wie immer. Sogar, wenn ich ausgelacht werde, interessiert mich das nicht im Geringsten. Ich habe nur auf eine Person gehört und einer Person vertraut und die hat mir jahrelang wehgetan. Ich sitze also da, als der Lehrer hereinkommt, hinter ihm ein Junge. Ich starre ihn an. Nicht, weil er gut aussieht, wie die anderen Mädchen schon herausgefunden haben und jetzt durch die Gegend kreischen und fast hyperventilieren. Nein. Er erinnert mich an eine Person, die ich versucht habe, aus meinem Leben zu verbannen. Dieselben braunen Haare. Dieselben dunkelbraunen Augen. Er lächelt und der Lehrer stellt ihn vor. "Das ist euer neuer Mitschüler, H...", ich kann ihm nicht weiter zuhören. Ich starre immernoch und langsam wird mir bewusst, dass der einzige Platz, der frei ist, neben mir ist. Oh nein. Ich hasse ihn schon jetzt. Ich weiß, ich kenne ihn überhaupt nicht und kann ihn keinesfalls beurteilen, aber die Tatsache, dass ich jeden Tag in diese neuen, aber zugleich vertrauten Augen, schauen muss und jeden Tag den gleichen Schmerz bei seinem Anblick empfinde, macht mich wahnsinnig. Er setzt sich neben mich und sagt "Hallo, L-Lena, richtig?" Ich sage gar nichts. Ich starre ihn an halb wütend auf ihn, halb wütend auf mich. Kann er nicht sehen, dass ich ihn wütend anstarre?! Dann fragt er noch so gelassen?! Ich muss mich beherrschen. Ich kenne diese Person nicht und habe nochnicht mal seinen Namen mitbekommen. Er lässt nicht locker, "Ich glaube ich sitze jetzt das ganze Schuljahr neben dir", "Ganz bestimmt nicht!", denke ich. Ich glaube, er hat langsam verstanden, dass ich ihm nicht antworten werde. Er guckt mich verwirrt an, richtet seinen Blick aber dann wieder nach vorne. Ich war kurz vorm heulen. Warum tut man mir so etwas an? Wurde ich mein Leben lang nicht schon genug bestraft? Der Lehrer begann den Unterricht und als dieser sich zur Tafel dreht, höre ich den Jungen neben mir, dessen Namen ich immernoch nicht mitbekommen habe, wieder mit mir sprechen. "Hey, ich glaube, ich...", "Shhh!", unterbreche ich ihn. Jeder in der Klasse hörte das und nun sehe ich, wie sich die Klasse langsam, fast starr, mit weit aufgerissenen Augen, in Bewegung setzt und mich mit einem durchbohrenden Blick und heruntergeklappten Kinnladen anstarrt. Selbst der Lehrer, dessen Schreiben immer langsamer wurde, dreht sich nun um und starrt mich an. Stille. Ich höre nur das Summen der Neonlampen an der Decke. Die Blicke wechseln von mir zu meinem Tischnachbarn. Manche bewegen den Mund und formen mit den Lippen erst meinen Namen, dann seinen. Ich sehe ein 'Hendrik'. Endlich weiß ich seinen Namen. Die Stille hält immernoch an, bis sich nach gefühlten 30 Minuten der Lehrer wieder bewegt und mit dem Unterricht fortfährt. Ich entkrampfe mich von meiner angespannten Haltung und versuche mich zu entspannen. Hendrik neben mir richtet seinen Blick starr geradeaus mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck.
Oh nein. Jetzt versucht er anscheinend auf schriftlichem Wege eine Antwort zu erhalten. Er reißt ein Stück aus seinem Collegeblock heraus und nimmt seinen Stift heraus. So ein richtiger Angeberstift. Ich hasse diese Stifte, die so aussehen, als ob die Besitzer sie polieren und auf ein Samtkissen legen. "Hör auf!", denke ich. "Du kennst diese Person nicht und nur, weil sie so aussieht wie ER, kannst du sie doch nicht gleich hassen!" Er schrieb einen Zettel und schob ihn zu mir herrüber.
Was ist los mit dir?? Warum redest du nicht mit mir?
Ich las die Zeilen 5 mal hintereinander durch und überlegte, ob ich ihm antworten sollte. Einerseits war es ziemlich unhöflich von mir, nicht zu antworten, aber anderseits scheint er ja auch nett zu sein und will mir nichts Böses. Also seufzte ich, nahm meinen Collegeblock und schrieb eine Antwort. Ich linste zu ihm herüber und sah, dass er auch zu mir schaute und ein triumphierendes Lächeln auf dem Gesicht hatte. Ich drehte meinen Kopf nur widerwillig zu ihm, guckte ihn an und dann... Ja und dann... War ich irgendwie gefesselt von seinem wunderschönen Lächeln, in das ich mich damals verliebt hatte. Er schaute mich mit seinen klaren Augen an, ganz offen, nicht wie die anderen, die immer ihre Augenbrauen zusammenzogen und mich argwöhnisch anguckten oder noch schlimmer, wenn sie mich anguckten und dann plötzlich schneller als vorher weiterliefen. Er war anders. Aber er erinnerte mich immernoch an IHN und ich bemerkte dann, dass jede Sekunde, die ich ihn ansah, immer schmerzvoller wurde. Nach einigen Sekunden bemerkte der Lehrer unseren Blick und er rief ihn auf, die Frage zu beantworten. Ich hätte jetzt gewettet, dass er noch nicht mal die Frage verstanden hatte, aber anscheinend gab er eine perfekte Antwort. Ich starrte ihn an und der Lehrer wandte sich langsam ab. Nun schrieb ich endlich die Antwort:
Ich rede einfach nicht. Es ist kompliziert.
Ich schob den Zettel zu ihm herrüber. Er las ihn; sein Blick war erst glücklich, weil ich ihm geantwortet hatte und dann verwirrt. Ich sah diesen Blick und dann meldete sich etwas. Warum hast du das jetzt getan? Du hast Halbwegs offen mit ihm geredet... oder geschrieben, mit einer Person, die du seit 10 Minuten kennst?! Ich wandte mich langsam wieder ab, schaute verärgert nach unten und saß einfach nur starr auf meinem Stuhl. Er stellte mir keine weiteren Fragen, den ganzen Unterricht lang. Als endlich die Klingel zu hören war, packte ich meine Sachen zusammen und war wie immer die letzte, die den Raum verließ. Keiner wartete auf mich, wie immer, aber das ist sowieso normal bei jemandem, der keine Freunde hat. Ich ging hinter den anderen her und überlegte, ob die nächste Stunde im selben Rauum stattfand. Ja, Geschichte. Wieder eine Stunde neben ihm. Ich war immernoch wütend auf mich und wollte gerade meine Sachen abstellen, als Hendrik hinter mir stand und mit einem engelsgleichen Lächeln fragte: "Kommst du mit?"
Hallööö :D Danke an alle, die meine 1. Geschichte hier lesen!! Ich bin euch sooooo dankbar!! <333 :D ihr seid die besten :** Bitte gaanz viel kommentieren und fleißig weiterlesen! Hab eeuch alle sooo lieb! <33
Dieses Kapitel is gewidmet an meinen Bruder und seine wundervolle Freundin! Ihr seid die besten und süßesten der Welt! Ich vermiss euch soo!! :(( Und an Lotti27 und svea2000, die einfach so toll sind :DD danke, dass es euch gibt :D
DU LIEST GERADE
Still
De TodoWas würdest du tun, wenn du jeden Tag Schmerzen fühlst, nur weil du in ein Gesicht blickst? Ein Gesicht, das dir unheimlich bekannt vorkommt und mit dem du nur Schmerz verbindest? Wenn du langsam merkst, wie du dich in dieses Gesicht verliebst?