Seine warme Hand umschloss meine. Ich würde nicht sagen, dass es sich schlecht anfühlte, doch es ging zu weit. Und es tat weh. Je länger er mich hielt, desto
schmerzhafter wurde es.
Wir gingen in Richtung Schulgebäude, immernoch Hand in Hand, als ich mich dann schließlich losriss und einen Schritt schneller ging.
"Was ist denn los?", fragte er mich mit einem schon fast mitleidserregendem Blick. Ich drehte mich mit wehenden Haaren in seine Richtung. Seine klaren Augen durchdrangen mich mit einer Intensität, dass ich eine Gänsehaut bekam und kurz vergaß, wo ich war. Ich funkelte ihn an und anscheinend versprühte ich grünes Gift mit meinen Augen. Er sah so traurig aus und verschwand schließlich, sodass seine Schulter mich berührte. Ich spürte einen kalten Luftzug im Gesicht.
Er tat mir leid, aber ich musste stark bleiben. Ich ging den Flur entlang zwischen den Blicken der anderen, die sich fragten, was ich ihm angetan haben könnte, was ihn so verletzt hatte.
In der Tür stehend sah ich ihn auf dem Platz neben meinem aus dem Fenster sehen. Alle Mädchen standen um ihn herum und machten ihm schöne Augen. Er würdigte sie nicht eines Blickes und seufzte.
Ich spürte etwas tief in mir drin. Was war das denn? Was kann das gewesen sein? Nein. Das kann nicht sein. Ein lange vergessenes Gefühl. Eifersucht flammte in mir auf. Alle Mädchen starrten ihn an während ich gegen das verschollen geglaubte Gefühl ankämpfte.
Ich ging langsam zu meinem Platz neben ihm und alle Mädchen verschwanden hinter mir. Innerlich lächelte ich böse, ich spürte Genugtuung.
Aber was fühlte ich da? Ich hatte schon lange keine Gefühle mehr für irgendjemanden. Da werde ich schon bei einer Person eifersüchtig, die seit 2 Stunden neben mir sitzt?
Endlich kam die Lehrerin herein. Eine kleine blonde mit Brille. Ich mochte sie, weil nur Stille den Klassenraum erfüllte, wenn sie unterrichtete.
Neben mir saß die Ignoranz persönlich. Er schaute mich nicht an und ich ihn auch nicht. Seine Blicke waren schmerzhaft, sie waren schmerzhafte Erinnerung, deshalb war ich für einen Moment froh darüber. Doch ich bemerkte, dass seine bloße Aura an meiner Seite brannte.
Nun übermannte mich das Mitleid und schrieb einen Zettel.
'Es tut mir leid', schrieb ich.
Ich faltete das Papier und legte es vorsichtig vor ihm hin. Ich schaute sofort wieder nach vorne, linste jedoch zu ihm herüber, um seine Reaktion zu sehen.
Zuerst beachtete er den Zettel erst gar nicht, ich war sauer. Ich schrieb sehr, sehr selten irgendetwas, geschweige denn sagte. Er konnte sich glücklich schätzen.
Jedes Gefühl fühlte sich viel stärker an, seit er da war. Vorher war ich nur eine leere Hülle, mit keinerlei Emotion, Willen oder Bedarf.
Plötzlich nahm er denn Zettel in die Hand, spielte jedoch nur mit ihm in seiner Hand. Machte er das mit Absicht? Enttäuschung flammte plötzlich in mir.
Ich schaute ihn an, überstand irgendwie die Schmerzen, die mit diesem Blick verbunden waren. Er entfaltete langsam das Papier und überflog es mit seinen Augen. Erst dachte ich, er blieb bei der Ignoranz und Gleichgültigkeit, doch sein Mundwinkel zuckte und plötzlich fanden seine Augen wieder ihr altes Strahlen. Kaum merklich verdrehte ich die Augen.
Der Unterricht wollte wie immer einfach nicht enden, doch das Feuer neben mir, das höllisch in meiner Seite brannte, war wie ausgeblasen und ich fühlte mich langsam wohl neben ihm. Seine Blicke waren immernoch schmerzhaft, aber seine Ausstrahlung war nun mehr für mich beruhigend.
Die Klingel ertönte, ich hatte nichts vom Unterricht behalten. Hendrik stand auf und verabschiedete sich von mir mit einem Lächeln. Ich winkte ihm und er drehte sich um. Alle im Raum starrten mich an. Sie waren überrascht, nein, geschockt. Einige Mädchen wurden fast gelb vor Eifersucht. Ich packte meine Sachen zusammen und lächelte dabei vor mich hin.
Ich verließ den Raum mit den vor Schock zu Statuen gewordenen Leuten und freute mich tatsächlich darauf, ihn morgen wieder zu sehen.

DU LIEST GERADE
Still
RandomWas würdest du tun, wenn du jeden Tag Schmerzen fühlst, nur weil du in ein Gesicht blickst? Ein Gesicht, das dir unheimlich bekannt vorkommt und mit dem du nur Schmerz verbindest? Wenn du langsam merkst, wie du dich in dieses Gesicht verliebst?