Kapitel 3 - Lebendig

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Die Stille im Raum war fast greifbar. Es war allerdings keine unangenehme oder gar bedrückende Stille, mit einem dunklen Schatten, der über allem lag.

Es war einfach eine friedliche Stille, in der man das Meeresrauschen aus der Ferne vernehmen konnte, da eines der Fenster angelehnt war, in der man Vögel zwitschern hören konnte und das Kratzen einer Feder auf Pergament.

Die Sonne stand hoch am Himmel und warf ihr warmes Licht durch die großen Fenster in das Zimmer, in dem Jade gerade auf einem Kissen im Erker saß, die Beine zusammengefaltet und über ein Notizbuch und ein paar Seiten Pergament gehockt.

Ab und an lächelte sie schwach und warf kurze Blicke aus dem Fenster. Vor zwei Tagen hatte Charles ein Eulenhaus aufgebaut und Jades Schleiereule Luné war aus ihrem Zimmer in eben dieses gezogen.

Nun überprüfte Jade fast minütlich, dass ihre geliebte Luné nicht doch plötzlich den Drang verspürte, eine wilde Schleiereule zu werden und sie zu verlassen.

Als sie Jade vor einigen Wochen das erste Mal wieder getroffen hatte, war es fast ein Kampf gewesen, das Tier von ihr zu trennen. Für Luné, diese treue Eule, gab es wohl niemand anderen als da chaotische und freche Gryffindor-Mädchen, so hatten es jedenfalls Megan und Charles beschrieben, die einige Probleme mit dem Tier hatten, das störrisch und abweisend geworden war.

Doch nun, da Jade wieder Zuhause war, hatte sich auch Luné wieder geöffnet und pickte nicht mehr jedem in die Finger oder ins Gesicht, die sie nur schräg ansah.

Seufzend senkte Jade die Feder und ihre Augen huschten über die bereits geschriebenen Wörter. Hier und da verbesserte sie noch etwas, strich Wörter weg und ersetzte sie durch andere oder entschied sich, bestimmte Sachen gänzlich rauszunehmen.

Ein leises Klopfen ließ sie aufhorchen. Schnell versteckte sie die Schriftstücke unter der Folsterung und sprang auf, warf die Feder und das Tintenfass auf ihren Schreibtisch und trat zur Zimmertür.

„Mahlzeit, Schwesterherz", wurde sie dort von ihrem Bruder begrüßt, der müde grinste. Jade zog ihn in eine Umarmung, dann hielt sie ihn eine Armlänge von sich entfernt. Noah wirkte erschöpft, aber nicht so, als würden ihn Alpträume oder ähnliches wachhalten. Eher so, als würde er an etwas arbeiten. Diese Art von Augenringe hatte er immer dann gehabt, wenn sie bis spät in die Nacht an einem Streich gearbeitet hatten.

Jade musste kichern.

Es war fast undenkbar, dass Noah irgendetwas ohne sie aushecken würde, daher vermutete sie, dass es etwas mit ihrer beider langen Abwesenheit zu tun hatte.

„Du siehst so richtig beschissen aus", bemerkte Jade, schloss die Zimmertür hinter sich und führte Noah zu einem der Sitzpolster in ihrem Aufenthaltsraum.

Bisher hatte sie kaum Zeit in diesem Raum verbracht, außer jener, die sie brauchte um ihn zu durchqueren um vom Flur zu ihrem Zimmer zu kommen. An den Wänden reihten sich Regale, die noch relativ leer waren. In ihnen fanden sich einige der Lehrbücher aus der ersten und zweiten Klasse, Bücher die sie bei Agatha besessen hatten und auch einige Exemplare, die Jade während des letzten Jahres ins Auge gefallen waren.

Zudem hatte sie sich eine kleine Sammlung an Muggelbüchern zugelegt, zumeist fantastische Geschichten; aber auch Koch-, Näh- und Zeichenbücher. Dazwischen drängten sich kleine Figuren, Zeichnungen oder Streichexperimente und Fotos aus ihrem ersten Jahr.

„Wie geht es dir?", fragte Noah mit leiser Stimme und strich sich unruhig durch sein schwarzes Haar. Er hatte es ein wenig wachsen lassen. Allgemein war Noah in den letzten Wochen in die Höhe geschossen und überragte Jade, die auch nicht gerade klein war, nun um einen halben Kopf.

Definitiv nicht Harry Potter! (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt