LXVIII

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Jasper

Mein Leben war der reinste Albtraum. Oder zumindest die Nächte. Und zwar wortwörtlich. Jede Nacht träumte ich schreckliche Dinge. Sie waren immer ziemlich ähnlich. In jedem Traum befand ich mich mit Eve in dem Keller. Und ich sah, was für schreckliche Dinge ich ihr angetan hatte. Wie ich sie dauernd geküsste hatte, obwohl sie es nicht gewollt hatte. Wie ich sie verprügelt hatte und fast verhungern lassen hatte. In einem Traum hatte ich sie sogar gewürgt und sie wäre beinahe bewusstlos geworden. Jedes Mal wachte ich erschrocken auf und war schweißgebadet. Manchmal heulte ich sogar, weil es einfach so schrecklich gewesen war, Eve so zu sehen. Wie große Angst sie vor mir gehabt hatte und wie abstoßend sie mich gefunden hatte. Ich fragte mich, ob das die Dinge waren, die ich, beziehungsweise Caleb ihr angetan hatte. Denn die Träume fühlten sich jedes Mal so real an. Und jedes Mal war ich erschrocken darüber, was ich dachte. Denn in meinen Träumen gefiel es mir sie so zu behandeln, sie einzusperren nur um mit Sicherheit zu wissen, dass sie nur mir gehörte. Waren das wirklich meine eigenen Gedanken? Oder waren das die Gedanken, die Caleb sich gedacht hatte? Ich wusste es nicht, doch ich könnte kotzen wenn ich daran dachte. Ich hasste mich. Egal ob das meine oder Calebs Gedanken gewesen waren. Es war egal. Denn ich war ja beide. Egal wie abstoßend ich die Gedanken fand und wie krank ich es fand sie so behandelt gehabt zu haben, es war trotzdem ich. Egal wie sehr ich versuchte mir einzureden, dass das alles Calebs Schuld gewesen war, ich wusste, dass es trotzdem meine war. Jeden Tag musste ich mit einer Psychiaterin sprechen, Dr. Yang, die anscheinend auch Eve betreute. Ich hatte Eve so sehr verletzt, dass sie wegen mir in Psycho Therapie gehen musste! Obwohl sie psychisch ja gesund war, im Gegensatz zu mir. Meine Psychiaterin war zwar nett, doch sie stellte mir zu viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte und die mir auf die Nerven gingen. Ich hatte keine Lust sie zu beantworten. Ich verdiente es ja nicht mal, dass mir geholfen wurde. Was sollte es mir bringen über meine Probleme zu reden? Ich selbst konnte ja normal denken, nur mein zweiter Teil nicht. Der, den ich nicht kontrollieren konnte. Wie wollten die Psychiater diesem Teil helfen? Ich wollte einfach nur meine Ruhe. Wieso wurde mir geholfen? Wieso bekam ich ein schönes, weiches Bett in einem Zimmer mit einem Fenster, ganz für mich alleine, wenn ich solche schlimmen Dinge getan hatte? Wenn ich entscheiden könnte, was mit mir geschehen würde, dann hätte ich mich in eine Gefängniszelle eingesperrt. Ganz alleine. Ohne Fenster. Im Dunkeln. Das hätte ich nämlich verdient. Angekettet an eine Wand, genau so, wie ich es bei Eve getan hatte. Hier in der Psychiatrie war ich zwar auch eingesperrt, doch in meinem Zimmer konnte ich mich frei bewegen. Und mit Begleitung durfte ich sogar in den Garten. Und das Essen war gut. Doch ich wollte es nicht. Ich wollte gar nichts. Ich wollte mit keinem reden. Oder zumindest mit niemandem, der auch mit mir reden wollte. Und das waren nur meine Psychiater und Ärzte. Meine Familie durfte ich nicht sehen, meine Freunde auch nicht. Abgesehen davon, bezweifelte ich, dass ich überhaupt noch welche hatte, sobald die von dem ganzen erfuhren. Doch es war mir auch schon egal, ich hatte Eve ihre Freunde genommen, da durfte ich mich nicht beschweren, wenn ich meine nicht mehr sehen durfte. Die lebten wenigstens noch. Das Einzige was ich wollte war Eve zu sehen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als sie zu sehen. Zu wissen, dass es ihr gut ging. Sie zu fragen, was sie zurzeit so machte und um mich zu entschuldigen. Auch wenn das nicht viel bringen würde. Es würde nicht annähernd reichen um wieder gutzumachen, was ich ihr angetan hatte, das wusste ich. Doch trotzdem wollte ich es. Mir kam eine Idee. Ich stand von meinem Bett auf und setzte mich an meinen Schreibtisch. Ich zog einen Stift und einen Zettel aus der Lade und begann zu schreiben. Ich schrieb ihr einen Brief. Ich wusste nicht, ob dieser Brief jemals bei ihr ankommen würde, doch ich hoffte, dass Dr. Yang ihn ihr geben würde. Also schrieb ich. Ich verbrachte Stunden damit, die richtigen Wörter zu finden. Ich wollte ihr so viel sagen, doch ich wusste einfach nicht, womit ich anfangen sollte. Dauernd begann ich zu schreiben und zeriss das Papier danach wieder. Doch das machte nichts. Ich hatte hier drinnen sowieso nichts Besseres zu tun.
Nach einigen Stunden war ich schließlich fertig und las mir den Brief noch mal durch.

Liebe Eve!
Ich weiß nicht wie ich diesen Brief beginnen soll, denn egal was ich schreiben würde, es könnte nicht annähernd das gut machen, was ich dir angetan habe. Aber trotzdem will ich dir schreiben, damit du zumindest weißt wie sehr mir das alles Leid tut. Denn es tut mir leid. Es tut mir unfassbar leid Eve! Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich dir diese furchtbaren Dinge angetan haben konnte. Glaub mir. Ich weiß es klingt verrückt, aber ich hatte keine Ahnung, dass ich all das getan habe. Als du mir erzählt hast, dass Matt ermordet worden war, weißt du wie geschockt ich war? Ich hab gesehen wie traurig du warst und alles was ich in dieser Zeit wollte, war es dich zu trösten. Ich wollte nichts mehr als dass es dir gut geht und den Idioten zu finden, der dich so sehr verletzt hatte. So war es auch bei Mai-Li und deinen anderen Freunden. Ich wurde immer wütender. Aber weißt du was? Irgendwann hab ich es gecheckt. Irgendwann bin ich draufgekommen, dass ICH dieser Idiot war, der dir das alles angetan hatte. ICH! Und am liebsten hätte ich mich umgebracht. Und wenn ich jetzt zurückdenke, dann weiß ich, dass das die beste Lösung gewesen wäre. Doch stattdessen habe ich mit dir Schluss gemacht. Eve, glaub mir, ich hab nicht Schluss gemacht, weil ich dich nicht mehr geliebt hatte. Wie sollte ich denn jemals aufhören dich zu lieben? Ich wollte dich verletzen. Ich wollte, dass du mich hasst, damit du nicht mehr in meine Nähe kommst. Damit ich dir nichts mehr tun konnte. Weil ich wusste, dass das die einzige Möglichkeit war um dich zu schützen. Ich selbst hätte dich nicht beschützen können. Ich hätte dich nicht vor jemandem beschützen können, den ich nicht kontrollieren kann. Es tut mir so leid. Ich lag falsch. Denn es hatte nichts gebracht, es war wiedermal meine eigene Schuld. Ich hab dich entführt. Ich hab keine Ahnung was ich dir in diesem Keller alles angetan habe, doch so langsam glaube ich, dass ich es mir ungefähr vorstellen kann. Denn jedes Mal wenn ich schlafe, habe ich diese schrecklichen Träume, in denen ich sehe was ich dir alles angetan habe. Und es tut mir leid. Du weißt nicht wie sehr ich mich dafür hasse. Ich hasse ihn, diesen zweiten Teil von mir. Ich war noch nie besonders gut darin Briefe zu schreiben und meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich wollte dir einfach nur sagen, dass ich das alles nicht mit Absicht getan habe. Ich verstehe natürlich, dass du wütend auf mich bist, denn auch wenn ich's nicht mit Absicht gemacht habe, ich hab's trotzdem gemacht. Es tut mir so extrem leid. Ich weiß du kannst mir nicht verzeihen, aber ich hoffe, dass du irgendwann, wenn du zurück denkst, nicht nur an den Caleb in mir denkst, sondern an den Jasper. Und egal, was du von mir denkst oder wie sehr du mich hasst, ich werde dich immer lieben.
In Liebe, dein Jasper.

Obsession - Lost In RealityWhere stories live. Discover now