Kapitel 2

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Heute:

Gelangweilt zappte ich durch die Fernsehsender und stopfte mir noch eine Hand voll Chips in den Mund. Konnte nicht mal etwas Gutes kommen, wenn man seine Tage hatte?
Genervt von dem ganzen Teleshopping, schaltete ich den Fernseher aus.

Als ich schon fast am einschlafen war, klingelte es an der Tür. "Egal wer es ist, es wäre besser für uns beide wenn du wieder gehst!" sagte ich leise vor mich hin und drehte mich um.
Kurz darauf klingelte es ein zweites Mal. "Oh, das hättest du nicht tun sollen. " Wütend stand ich auf und stapfte auf die Tür zu. Mit Schwung öffnete ich sie und erstarrte, als ich sah, wer da vor mir stand.

Mit einer Mischung aus Schock und Frage schaute ich ihn an. "Hey, ich wollte dir nur das hier geben." er drückte mir mit einem schüchternen Blick ein Fotoalbum in die Hand. "Ich seh es mir oft an, weißt du. Du weißt ich kann das alles nie vergessen und ich werde nicht aufhören, dich an Früher zu erinnern. Ich hoffe dieses Album bedeutet dir genau so viel wie mir." Mit dieses Worten drehte er sich um und lief davon.

Ich hatte kein einziges Wort gesagt. Als ich aufgehört hatte ihm hinterher zu starren, schloss ich die Tür und setzte mich aufs Sofa. Was sollte das denn? Warum kam er jetzt plötzlich her und gab mir unser altes Fotoalbum, das wir zusammen gemacht hatten.
Ich hatte Angst. Angst vor den alten Erinnerungen. Angst davor, ihm zu verzeihen, ihn zu vermissen. Angst, ohne ihn nicht mehr auszukommen, ihn zu sehr zu brauchen, wie damals...
Aber ich konnte ihm nicht verzeihen. Nicht nach dem, was passiert ist. Es war zwar inzwischen schon 6 Jahre her, aber dass konnte ich nicht vergessen. Wegen ihm konnte ich mich nicht verabschieden, ich konnte meine Mutter nicht aufhalten zu fahren, ich konnte nichts tun, denn ich war mit ihm im Wald. Er wollte sich an diesem Tag unbedingt mit mir treffen und so wurde der schönste Tag meines Lebens zum schrecklichsten.

Lange habe ich überlegt, ob ich das Fotoalbum überhaupt öffnen soll, in mir die alten Erinnerungen hervorrufen. Aber ich konnte nicht verhindern es zu öffnen. In meinem Inneren wusste ich, dass ich diese Zeit so sehr vermisste und es schrecklich weh tat, mich von Lukas fernzuhalten mich von allem fernzuhalten. Dieses Gefühl hat mich in diesem Moment so sehr überwältigt, dass ich sehen wollte, wie glücklich ich damals war. Er machte mich so glücklich. Mit ihm konnte ich die Welt vergessen und eine ganz neue erschaffen. Er hätte mir die Sterne vom Himmel geholt, wenn ich gefragt hätte. Er hätte alles für mich getan, so wie ich alles für ihn getan hatte.

Mit zitternden Händen schlug ich die erste Seite auf. Und schon schossen mir Tränen in die Augen. Es war ein Bild von Lukas, meiner Mutter und mir. Meine Mutter hielt uns beide fest in ihren Armen. Sie hatte Lukas fast als ihren eigenen Sohn angesehen. Ich sah ihr eigentlich ziemlich ähnlich. Die hellbraunen Haare, die blauen Augen. Nur die Gesichtszüge hatte ich von meinem Vater. Diese waren eher kantig, während die meiner Mutter eher rundlich waren.
Alle schienen auf diesem Bild so glücklich zu sein. Alles schien so einfach mit meiner Mutter und Lukas. Ich dachte mit ihnen schaffe ich alles, mit ihnen kann ich die Welt erobern.
Aber als meine Mutter verstarb, brach alles zusammen. Eine Hälfte, die mich stützte fehlte und Lukas hatte nicht die Kraft dazu, mich alleine zu halten. Er konnte sie nicht ersetzen.
Ich dachte es wäre leichter wenn ich meine eigene Stütze wäre, wenn ich alles allein schaffte. Deswegen ließ ich ihn hinter mir und startete mein neues Leben. Aber es war nicht einfach ihn zu verlassen und ihn am Boden zerstört zu sehen.

"Chiara!" schrie mein Vater, so laut, dass man es durchs ganze Haus verstehen konnte. Man konnte hören wie er durch den Hausflur torkelte. "Wo ist mein Bier?" schrie er, als er ins Wohnzimmer trat. Dann entdeckte er mich, wie ich tränenüberströmt und mit dem Fotoalbum auf dem Schoß, einfach nur da saß und mich keinen Millimeter bewegte.
Selbst ein Blinder hätte bemerkt, dass mein Vater ziemlich wütend wurde. Und wütend und betrunken waren keine gute Kombination, vorallem bei ihm nicht.
Er hasste es, wenn ich nicht das tat, was er wollte. Ich sollte schon wissen, was ich für ihn vorbereiten soll, wenn er noch nicht mal da war. Der Tod meiner Mutter hatte ihn verändert. Als sie noch lebte, war er der fröhlichste und liebevollste Mensch, den ich kannte. Aber als sie starb, wurde er grausam. Er trank nur noch und wenn er dann mal zu Hause war, sollte ich seine Bedienstete sein. Und wenn ich nicht das tat, was er wollte, rastete er komplett aus und manchmal kam es auch soweit, dass er mich schlug. Ich hatte schon etliche Ohrfeigen von ihm kassiert, vorallem als ich noch jünger war und nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, weil ich ihn so ja noch nicht erlebt hatte. Inzwischen ist es Routine geworden, mich um ihn zu kümmern, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Ich tat es nicht gern, aber mir blieb nichts anderes übrig, denn wehren konnte ich mich nicht.

"Was sitzt du hier so faul rum? Räum gefälligst auf und bring mir mein Bier!" befahl er mir. Ich hatte mich immer noch keinen Millimeter bewegt. Ich starrte einfach nur vor mich hin, während mir immer mehr Tränen aus den Augen flossen.
Er bewegte sich auf mich zu und als er bei mir angekommen war, riss er mir das Fotoalbum aus den Händen. Ich erwachte aus meiner Starre, als er mich an den Haaren nach oben zog. "Dann sehen wir mal weswegen du diesmal wieder rumheulst." und damit sah er das erste mal auf die Bilder. Als er das Bild mit meiner Mutter entdeckte würde sein Blick weicher, trauriger, verletzlich. Er wurde zu dem Mann, der mit dem Tod meiner Mutter verschwunden war. Der Mann, der mich als seine Tochter sah und nicht wie ein Dienstmädchen. Der Mann, der mir nie wehgetan hätte. Und dann sah er zu mir auf und sein Blick wurde hart wie Stahl. Er wurde wieder zu dem trinkenden Wrack, dem es egal war, was mit mir geschah.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 15, 2016 ⏰

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