Kapitel 2
Vor ihr lag ein endlos langer Korridor. Rechts und links waren unzählige Türen, die alle gleich aussahen. Sie waren zu. Obwohl es keine Fenster oder Lampen gab, war es seltsamerweise sehr hell im Korridor. Wohin dieser Korridor führen mochte? Wie lang dieser Korridor wohl war? Wie war das überhaupt in diesem kleinen Haus möglich? Sita fielen die ganzen Geschichten über Magie und Zauberei ein, die sie gelesen oder von denen sie bisher gehört hatte. War sie vielleicht in einem magischen Haus gelandet?Aufgeregt ging sie an den geschlossenen Türen entlang. Als Sita gegen eine der Türen klopfte, konnte sie hören, dass die Türen aus Holz sein mussten. Die Türen waren allesamt tannengrün bestrichen und besaßen einen vergoldeten Türknauf. Vielleicht sollte sie versuchen, die ganzen Türen zu zählen? Schließlich glaubte sie nicht, dass der Korridor kein Ende haben könnte. Doch eigentlich konnte es auch kein solches Haus mit einem scheinbar endlos langen Korridor geben. Sita drehte sich um, um zu der ersten Türenreihe zu gehen, als ihr auffiel, dass die Tür, durch die sie hineingekommen war, fehlte. Sie erstarrte. Ihr Herz fing an, wild zu pochen. "Beruhige dich, Sita. Es ist bestimmt nur Einbildung. Vielleicht wurde die Tür so gemacht, dass man sie von weitem nicht mehr erkennt.", sprach sie zu sich - und zuckte beim Laut ihrer Stimme zusammen. Ihr war nicht aufgefallen, wie unheimlich still es im Haus war. Eine unbekannte Panik stieg langsam in ihr hoch, die sie mit bewusst tiefen Atemzügen zurückzuhalten versuchte. Mit schnellen Schritten ging sie zurück - auf eine Wand zu. "Nein!", flüsterte sie entsetzt. Verzweifelt tastete sie nach einem Türrahmen, nach einem Schlitz, nach irgendetwas, das auf eine Tür hinweisen könnte, die doch eigentlich zu finden sein müsste. Aber da war nichts. Nur eine kahle, glatte, kühle Wand, die Sita auszulachen schien. Sita versuchte es ein letztes Mal und stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Wand. Nichts passierte.Mit einem Aufschrei hämmerte sie verzweifelt gegen die unnachgiebige Wand. Was sollte sie jetzt nur tun? Würde sie hier jemals wieder rauskommen? Wie dumm war es von ihr, einfach das Haus zu betreten! Die ersten Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie sich resigniert an die Wand lehnte und auf dem Boden niederließ.
Vor ihr gähnte der lange Korridor. Plötzlich kam ihr eine Idee. Vielleicht konnte sie durch eines der vielen Türen in ein Zimmer mit Fenstern gelangen, durch die sie wieder rauskonnte? Hoffnung keimte in ihr auf. Sita stand auf und ging auf die erste Tür rechts von ihr zu. Sie umfasste den goldenen Türknauf und zog daran. Die Tür bewegte sich nicht. Da versuchte sie es, aufzudrücken. Nichts. "Na gut, dann versuch ich es halt an einer anderen Tür. Es gibt ja genügend andere Türen."Aber Sita wusste in ihrem tiefsten Inneren, dass sie sich da nur was einredete. Doch wie sagt man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Also machte Sita sich auf zur nächsten Tür - und zwar die, die genau gegenüber der ersten Tür lag. Sie war auch zu.
Nach der zwanzigsten Tür, die auch verschlossen war, wollte sie schon aufgeben, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Das Geräusch erschreckte sie so sehr, dass ihr ein kleiner Aufschrei entwich. Woher war dieses Geräusch gekommen? Im nächsten Moment hielt Sita sogar ihre Luft an und lauschte gespannt in die Stille hinein. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet? Als nach einer kleinen Ewigkeit, wie es ihr erschien, immernoch nichts passierte, richtete sie sich wieder auf und ließ den Türknauf los, den sie unbewusst und verkrampft umfasst hatte.
Doch als sie auf die nächste Tür zugehen wollte, ertönte wieder dieses Geräusch. Es klang wie das Fiepgeräusch einer Maus! Sita vermutete, dass es von paar Türen weiter hinten kam. Ihr Herzklopfen dröhnte in ihren Ohren, als sie sich dem Geräusch näherte und weiter nach hinten lief. Sie vergaß aber nicht, die Türen zu zählen, an die sie vorbeiging. Dabei kam sie sich lächerlich vor, weil sie im Zickzack laufen musste, von der rechten Seite zur linken, von einer Tür zum anderen.
Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenund - da! Da war das Fiepgeräusch, ganz klar und deutlich!
Sita blieb vor der siebenundzwanzigsten Tür stehen. Das Fiepgeräusch erstummte. Als Sita sich bewegte, begann es wieder zu fiepen. Sita blieb wieder stehen, das Geräusch erstummte. Sie sah auf ihre Füße. War sie das, die diese Geräusche machte? Probeweise zog sie ihre Schuhe aus und ließ sie vor der Tür liegen, auf die sie zugegangen war. Dann ging sie paar Schritte weiter - und das Geräusch ertönte von neuem. Also waren es nicht ihre Schuhe, die quietschten. Das Geräusch kam eindeutig von der Tür, wovor sie ihre Schuhe gelassen hatte. Sita ging wieder zu der Tür zurück und wollte sich ihre Schuhe wieder anziehen, als sich plötzlich die Tür aufschwang. Erschrocken schrie Sita auf, sprang von der Tür zurück und stolperte dabei über ihre eigenen Füße, sodass sie hinfiel. Sie war zu erschrocken um den dumpfen Schmerz auf ihrem Hintern zu spüren, als sie hinfiel. Stattdessen starrte sie auf das, was die Tür so plötzlich und heftig aufgeschwungen hatte. Was war das?
Das Wesen vor ihr war sehr klein und doch groß genug, um die Tür aufzumachen. Es hatte leuchtend grüne mandelförmige Augen, seltsam zugespitzte Ohren und eine große Schnauze, wie ein Hund. Ansonsten hätte man es für ein Menschenkind halten können. "Was machst du hier?", fragte das Wesen mit einer sehr hohen Stimme, die in den Ohren wehtat. Instinktiv hielt Sita sich die Ohren zu. Aber sie konnte ihren ungläubigen Blick von dem Wesen nicht abwenden. "Was machst du hier?", fragte das Wesen nocheinmal und trat einen Schritt auf Sita zu. Sofort stand Sita auf und wich an die gegenüberliegende Tür zurück. "Wer oder was bist du?", rief sie dem Wesen entgegen. Das Wesen sah sie verblüfft an, aber es antwortete nichts. Dann trat ein Ausdruck der Verärgerung in seine Augen. "Ich frage dich zum letzten Mal: Was machst du hier?" Bedrohlich kam das Wesen näher auf sie zu. "Ich suche nach einem Weg nach draußen. Ich habe gedacht, dass ich es durch eine von diesen Türen versuche-""Wie bist du hier reingekommen?""Ich-""Das ist jetzt egal. Es ist zu spät. Kein Nackter dürfte hier sein. Verschwinde!""Aber genau das ist es ja! Und hey, wie hast du mich genannt? Ich bin nicht nackt!"Da fiel Sita auf, dass das seltsame Wesen vor ihr nicht bekleidet war, sondern ein dichtes Fell trug. Und dann sah sie den Dolch, der an dem Gürtel, den das Wesen um seinen Bauch geschlungen hatte, hing. Das Wesen zog den Dolch aus dem Gürtel und ging damit auf Sita zu. Da tat Sita das, was jeder anderer an ihrer Stelle getan hatte - sie rannte los.
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Die 100.Tür
FantasiSita stand vor einem kleinen Haus, das an einem Waldrand stand. Eigentlich sah das Haus so aus wie jedes andere Haus in der kleinen Stadt auch, in der Sita lebte. Aber sie sollte bald erfahren, dass dieses Haus ganz und gar nicht gewöhnlich war. Das...