Die zweite Begegnung

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Mehrere Wochen waren inzwischen vergangen seitdem ich dem Assassinen geholfen hatte. Ich hatte nichts von ihm gehört, ihn auch nicht mehr zu Gesicht bekommen, was zum Besten für uns Beide war. (Nicht das ich mich besonders viel draußen aufhielt, aber umso mehr war es wohl erfreulich nichts von ihm gehört zu haben. Das bedeutete lediglich, dass er sich nicht mehr hierher geschlichen hatte.) Mein Vater war an der Feier vollkommen außer sich vor Wut gewesen als er die Wachen in den Kerker schickte, um den Gefangenen zu holen, und diese mit leeren Händen wiedergekommen waren. Nun, es war aber gut nachvollziehbar, weshalb er so erzürnt gewesen ist, denn immerhin ist es die reinste Blamage für ihn gewesen. Er hatte den Gästen die Hinrichtung eines Assassinen versprochen und konnte dies nicht einhalten, da der Gefangene verschwunden war. Da stellte sich natürlich auf die Frage, inwiefern die Familie La'Fierce nützlich sein könnte im Kampf gegen die Feinde, wenn sie nicht einmal einen Einzigen gefangen halten konnten. "Glücklicherweise" hatte mein Erzeuger jedoch in letzter Minute noch einen Plan B parat. Er ließ eine Wache holen, die er noch nie sonderlich gemocht hatte, und anstelle des Feindes wurde dieser hingerichtet nachdem er verunstaltet worden war. Selbstverständlich wurde den Gästen die Tatsache verschwiegen, dass es dabei um einen mit ihren Ansichten ging. Was wäre es auch für eine Katastrophe, wenn dies raus gekommen würde. Nur die Obersten in unserer Reihe hatten die Wahrheit gekannt. Ich persönlich hatte diese Grausamkeit nicht mit ansehen können und wollen, weshalb ich mich von der Feier zurück gezogen hatte und mir Mühe gab, das Geschehene zu vergessen. Dies gestaltete sich jedoch ein wenig schwieriger als erwartet, da der Assassine mit den schönen Augen einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte. Sehr häufig hatte ich mich dabei erwischt, an unseren Tanz und unser Gespräch zu denken.
Ich schüttelte leicht den Kopf und ging vom Balkon wieder hinein. Es war etwas kühler geworden, da die Nacht bereits eingetreten war. Dennoch hatte die frische Luft gut getan. Morgen würden ich in die Stadt gehen. Ich hatte meine Eltern überredet indem ich gesagt hatte, dass ich keine Bücher mehr hatte, was natürlich eine Lüge war. Meine mitgebrachten Bücher würden mir für die nächsten zwanzig Jahre reichen, doch das konnten sie nicht wissen und sie wollten immerhin auch kein Risiko eingehen, da ich unausstehlich werden konnte, wenn ich nichts zum lesen hatte. Ich war es leid den ganzen Tag hier eingesperrt rum zu sitzen, ich wollte viel lieber die Stadt sehen. Die Leute, ihre Sprache und ihre Kultur kennenlernen. Auch wenn ich wahrscheinlich nur in eine Bibliothek gehen würde. Aber immerhin würde ich etwas anderes sehen als diese grauen, kalten Wände.

Am nächsten Morgen wurde ich früh von dem Zwitschern der Vögel und den Sonnenstrahlen geweckt, die auf mein Gesicht schienen. Energisch machte ich mich fertig. Klamotten raussuchen, Frisur zurecht machen, schminken lassen, frühstücken. Das volle Programm eben. Doch ich ließ es mit einem breiten Lächeln über mich ergehen, ohne Widerstand, weshalb ich auch nur eine halbe Stunde später schon auf dem Weg in das kleine Städtchen, nicht weit von unserem kurzfristigen Zuhause war. In Begleitung hatte ich zwei furchteinflössende Wachen, damit sich keiner traute uns in die Quere zu kommen. Nun, ich sagte zwar, dass sie gruselig aussahen, aber in Wahrheit waren es ganz nette Männer, die sich mit mir normal unterhielten während der Reise. Ich war froh, dass sie mitgekommen waren, da es dank ihnen nicht langweilig wurde und sie konnten sowohl meine Muttersprache, als auch die, die die Menschen hier sprachen fließend. Mit anderen Worten wäre ich ohne sie sowieso verloren. (Meine Erzeuger konnten mich zwar nicht sonderlich leiden, doch selbst ihnen war bewusst, dass ich im Grunde sehr nützlich für unsere Familiensituation war. Vor allem wenn es um eine Verbindung zwischen zwei mächtigen Templerfamilien ging.) Leise seufzte ich auf. Dieser Gedanke bereitete mir Bauchschmerzen, doch schnell wand ich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu, weshalb diese auch wieder vergingen. Die vorbeiziehenden Gebäude und Menschen waren alle interessant. Es war ganz anders als bei uns. Die Mauern waren recht verfallen; die Menschen waren allesamt braun gebrannt (wahrscheinlich arbeiteten sie viel in der Sonne) und ihre Kleider waren recht dreckig. Sie sahen arm aus, aber gleichzeitig auch so glücklich. Ich beneidete sie schon fast. Hin und wieder versuchte ich bei einigen Gesprächen zuzuhören, etwas zu verstehen, was sich jedoch schwierig gestaltete, weil die Leute viel zu schnell sprachen und das schwarze Pferd, auf dem ich saß, manchmal einfach hastig vorbei ging. Das Tier empfand das ganze anscheinend nicht so interessant wie ich es tat. Mein Herz schlug immer kräftiger, je weiter wir hinein ritten. So früh am Morgen war bereits viel los. Es gab viele Marktstände mit frischem Obst, dass ich zum Teil noch nie gesehen hatte und noch mehr Tiere liefen auf den Straßen umher. Doch es dauerte nicht allzu lange, da kamen wir bereits in der Bibliothek an. Ein wenig enttäuscht, aber gleichzeitig auch vollkommen aufgeregt, stieg ich vom Pferd und klopfte an der Tür, ehe ich das Gebäude betrat. Der Duft von alten Büchern, neuem Pergament und noch etwas, dessen ich mir nicht bewusst war, stieg mir in die Nase und mein Lächeln wurde nur breiter. Der Raum, indem ich mich befand, war sehr groß und es führte eine kleine Treppe noch weiter hinein ins Gebäude. Die Bücherregale gingen fast ganz bis zur Decke, eines vollgepackter als das andere. Es gab einige Tische, die ebenfalls vollbesetzt waren mit Büchern. Viele Menschen gab es hier nicht. Eigentlich fiel mir im Moment nur einer ins Auge und das war der ältere Herr, der vor mir stand. Seine grauen Haare fielen ihm ins Gesicht, seine grünen Augen schienen zu glitzern. Sein Gesicht hatte nicht nur Falten, sondern auch Narben. Könnten wir kommunizieren, oh, ich war sicher, er konnte viele spannende Gesichten aus seinem Leben erzählen. Er sah ärmlich, beinahe schon kränklich aus, doch trotzdem waren seine gesamte Gestalt freundlich. Ich schätzte ihn auf 54 Jahre alt, was ein beeindruckendes Alter war. Als er den Mund öffnete und etwas sagte, legte ich den Kopf schief. Ich hatte, natürlich, kein Wort verstanden und die Wachen waren vor der Tür geblieben, damit sie die Ruhe, die für gewöhnlich an solch einem Ort herrschte, nicht stören würden und keine Aufmerksamkeit auf sich zogen, deshalb konnten auch diese mir nicht weiter helfen. (So nebenbei gesagt, fande ich es eigentlich sehr höflich von ihnen, nur konnte ich ihre Hilfe momentan sehr gut gebrauchen.) Ich sprach eine höfliche Begrüßung in meiner Muttersprache aus, hoffte, dies würde genügen und das es die richtige Antwort auf seine Worte waren als plötzlich eine leise Stimme ertönte: "Er fragte, ob er dir behilflich sein kann." Ein leises Lachen. Ich sah mich erschrocken um. Wer hatte das gesagt? Ich sah niemanden außer dem Herren vor mir, welcher für einen Moment genauso verwirrt zu scheinen schien wie ich, doch dann gab auch er einen leisen lachenden Ton von sich und er fing wieder an etwas zu sagen. Dieses Mal war es jedoch nicht an mich gerichtet. Ein weiterer Mann, welcher jünger zu sein schien, trat aus dem Schatten hervor, was mich ziemlich überraschte. Sein Gesicht konnte ich nicht wirklich erkennen, da der Großteil seines Gesichtes von einer Kapuze bedeckt wurde. Aus Reflex trat ich einen Schritt zurück. Er schien meine Ängstlichkeit zu bemerken, weshalb er gleich die Arme beruhigend hob und hinzufügte: "Keine Sorge, ich werde dir nichts tun." Mein Herz fing an schneller zuschlagen. Diese Worte, diese Stimme. Ich hatte sie schon einmal gehört, vor gar nicht allzu langer Zeit. Ein großer Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich versuchte trotzdem etwas zu sagen. Es gelang mir, auch wenn ich dabei stotterte: "W-Was machst du hier?" "Oh, erstaunlich. Was hat mir verraten?", fragte er begeistert nach. Das er dabei grinste, hörte man raus. "Deine Stimme." Ich schluckte schwer, versuchte mich zusammen zu reißen. Die Tür war nicht sonderlich weit, sollte ich rennen? Nein, wenn man den Geschichten glaubte, dann wäre ich allein in wenigen Sekunden tot. Assassinen waren schnell, so hieß es jedenfalls. Schnell und gerissen. "Was machst du hier?", wiederholte ich meine Frage stattdessen. Zeit schinden, vielleicht würden die Wachen merken, dass etwas nicht stimmte und doch hinein kommen. Aber sie würden ihn töten. Ich schüttelte kaum merkbar meinen Kopf um den Gedanken zu vertreiben. Nein, ich durfte nicht so weich sein. Im Endeffekt war es so, wie es ist: Darim ist der Feind. Es gefiel mir nicht, ganz und gar nicht, doch ich konnte nichts daran ändern. Während ich nachdachte, bemerkte ich, wie der ältere Herr uns alleine ließ mit irgendwelchen Worten, die er an den in weiß gekleideten Mann richtete, welcher kurz etwas erwiderte. Ich wünschte mir, ich könnte die Sprache. Gerade als ich meinen "Wunsch" beendet hatte, blickte er wieder zu mir und entgegnete: "Nun, wir sind in einer Bibliothek, was macht man für gewöhnlich schon an solch einem Ort?" "Du bist hier um Bücher zu lesen?", seine Antwort hatte mich nicht überzeugt. Er kam mir nicht vor wie ein Leser, mehr wie ein Kämpfer. "Nein, aber ein guter Versuch. Ich wusste, du bist heute hier und ich wollte dich treffen", meinte er nun. Ich zuckte erneut zusammen. Wofür? Wollte er mich etwa doch töten? Erneut schien er meine Sorge zu bemerken, weshalb er hastig hinzufügte: "Um mich bei dir zu bedanken, Daphne." Meine Augen weiteten sich. "Bedanken? Wofür!?" "Ich habe gehört, was geschehen ist. Und mir ist bewusst geworden, wie gefährlich diese gesamte Sache eigentlich war." "Das fällt dir aber wirklich früh auf, Assassine", sagte ich sarkastisch. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Sollte ich heute doch sterben, würde ich es bereut haben, es nicht gesagt zuhaben. Er schüttelte leicht den Kopf. "Ich weiß, ich bin schnell in solchen Dingen", erwiderte er, doch ich konnte nicht heraushören, ob er es ernst meinte oder nicht, "Kannst du etwas Zeit für mich erübrigen damit ich mich aufrichtig bei dir Bedanken kann?" "Unmöglich. Vor der Tür stehen Wachen, die auf mich warten. Ohne sie darf ich mich nicht in der Stadt bewegen, aber wenn sie dich sehen, werden sie dich töten..", lehnte ich gleich ab. Im Grunde hatte ich nichts dagegen noch ein wenig mehr von der Stadt zu sehen, doch ich durfte nicht zu naiv sein. Auch wenn ich, wenn ich eine richtige Wahl hätte, nicht "Nein" sagen würde um mit ihm noch ein wenig länger zu bleiben. Er kannte sich hier bestimmt aus und konnte mir viel beibringen, auch die Spra-, argh. Nein, ich durfte dies nicht so leicht nehmen. Darim war ein Feind! Aber andererseits, war er wirklich MEIN Feind? Ich schüttelte leicht meinen Kopf. Natürlich war er das! "Dann entführe ich dich eben", vollkommen in meinem inneren Konflikt versunken, hatte ich nicht bemerkt, dass er mir näher gekommen war, "Und bringe dich später wieder zurück.. Vielleicht." "Vielleicht?", fragte ich unsicher. Er nickte und antwortete: "Eventuell behalte ich dich auch einfach, nehme dich mit nachhause. Du kommst doch nicht gut mit deinen Eltern zurecht, stimmt's?" "Das ist.. korrekt, aber ich kann nicht einfach verschwinden. Diese Freiheit besitze ich nicht", erneut war er einen Schritt näher gekommen, sodass ich mittlerweile unter seine Kapuze blicken konnte, "Aber da wir schon bei diesem Thema sind. Woher hast du diese Information? Und woher wusstest du, dass ich ausgerechnet heute hier sein werde?" "Darf ich dir nicht verraten", sagte er und lenkte dann ganz dreist ab: "Aber du bist einverstanden, wenn ich dich für eine kleine Weile entführe, oder?" Das konnte nicht sein Ernst ein. "Übrigens, du hast als Antwortmöglichkeit nur 'Ja' oder 'Ja'." "Bitte? Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht oder wie ihr für gewöhnlich mit euren Frauen umgeht, aber ich lass mir sow-", ich wurde unterbrochen, da es an der Tür klopfte. "Fräulein, seit ihr soweit?" Erschrocken blickte ich zum Ausgang und schluckte schwer. Ohne auch nur den Mund öffnen zu können, packte Darim meinen Arm und zog mich in den hinteren Teil des Gebäudes. Ich wusste nicht einmal wie mir geschah, als er mich plötzlich an eine Wand drückte und mir ungeheuer Nahe kam.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 23, 2016 ⏰

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