Kapitel 1

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Ich beobachtete wie die Sonne langsam über den Horizont kletterte und den Distrikt erhellte. Distrikt 3 würde niemand unbedingt als schön bezeichnen. Überall standen Fabriken und Generatoren, die diese am laufen hielten. Alt und verbraucht; alles andere als sicher. Dazwischen schnell gezimmerte Häuser, die nicht mehr als Barrachen waren aber immerhin den Wind, Nässe und Kälte draußen hielten.

Das Haus der Paines hatte sogar den kleinen Luxus neben anderen Häusern zu stehen und nicht zwischen Fabriken, was die Chance, dass sie mit abbrannten, wenn es einen Kurzschluss in den Generatoren oder eine Explosion in einer Fabrik gab, geringer machte.

Vor zwei Jahren, als der Unfall geschah, der meine ganze Familie in den Tod gerissen hatte, war auch unser Haus abgebrannt. Mir war nichts von ihnen geblieben, nicht einmal ein Bild.

Fast jeden Morgen sahs ich noch vor Sonnenaufgang hier oben auf dem Dach von Ilexs Elternhaus und betrachtete, wie die Sonne sich nach oben kämpfte. Es war das einzig schöne, was mir geblieben war, da dies mein Vater früher immer mit mir getan hatte, ehe er zur Arbeit und ich zur Schule musste.

Am Anfang war Ilex oft mit mir hier oben. Wahrscheinlich hatte er einfach Angst, dass ich mir etwas tun würde oder vom Dach sprang. Meistens hatte er einfach nur geredet, während ich auf die Sonne gestarrt hatte, so wie jetzt.

Das Reden hatte er sich von mir abgeschaut. Noch vor drei Jahren war ich die gewesen, die sich sorgte, dass er sich etwas antun könnte. Sein Bruder war damals, mit gerade einmal 14 Jahren für die Hungerspiele gezogen worden. Er hatte nicht lange gelebt, hatte nicht leiden müssen und doch war es unglaublich schrecklich gewesen. Ilex hatte sehr an seinen nur ein Jahre älteren Bruder gehangen. Irgendwie hatte er sich damals die Schuld dafür gegeben, dass Iley gestorben war, auch wenn er nichts dafür konnte.

Irgendwann hatte ich es geschafft Ilex wieder zum Lächeln zu bringen. Ich dachte, dass nun alles wieder besser werden würde.

Nicht einmal zwei Wochen später war mein komplettes Leben zerstört worden.

Ein Knacken hinter mir ließ mich aus meinen Gedanken schrecken.

Durch mein braunes Haar schielend konnte ich die breiten Schultern meines besten Freundes sehen. Viele Mädchen in der Schule mochte ihn, doch für mich war er immer nur wie ein Bruder gewesen. Vielleicht lag es daran, dass ich ihn schon seit meinem sechsten Lebensjahr kannte.

„Du bist heute ziemlich lange hier oben", stellte er fest und ließ sich neben mich fallen. „Frühstück ist schon fertig."

Ich hatte nicht bemerkt, dass die Zeit bereits so voran geschritten war. Trotzdem nickte ich schnell, damit er wusste, dass ich ihn gehört hatte, während er neben mir platz nahm. Vorsichtig lehnte ich mich an ihn und schloss seufzend die Augen. Seine Nähe tat mir immer gut, ließ mich nicht ganz so verloren fühlen.

Ilex legte einen Arm schützend um mich, schwieg sonst aber, auch wenn ich seinen besorgten Blick regelrecht auf mir spüren konnte.

„Es geht mir gut", murmelte ich deswegen leise.

„Natürlich, du bist das blühende Leben", spaßte Ilex, was mir sogar ein leichtes schmunzeln entzog.

Ich hatte nicht mehr wirklich etwas zu lachen, doch für Ilex versuchte ich es immerhin. Er war es Wert ein Lächeln geschenkt zu bekommen.

Gemeinsam saßen wir schweigend noch ein paar Minuten da. Es war nicht unangenehm, war es nie mit Ilex gewesen. Vielleicht hatten wir uns deshalb von Anfang an verstanden. Wir mussten uns nicht ständig beschäftigen, um mit einander klar zu kommen, sondern konnten auch einfach schweigen.

Irgendwann war es Ilexs Mutter die nach uns rief, wodurch ich erneut hochschreckte.

„Sag ihr, dass ich gleich komme", meinte ich zu Ilex.

Er nickte und beeilte sich dann wieder nach unten zu kommen, während ich noch einen Moment die Sonne genoss.

Danach folgte ich meinem Freund durch die enge Treppe nach unten, wobei ich kurz in das kleine Zimmer abbog, dass einst Iley, und nun mir gehörte, abbog. Schnell zog ich mir Kleidung für den Tag über und versuchte mein lockiges, braunes Haar zu bändigen. Wirklich gelingen tat es mir nicht aber so konnte ich zumindest behaupten, dass ich es versucht hatte.

Unten angekommen saßen Ilex und seine Mutter bereits am Tisch. Sein  schon viel eher auf Arbeit verschwunden.

Crees und Calmia hatten mich wie eine eigene Tochter aufgenommen und ich hasste es, ihnen nichts zurück geben zu können. Ich wollte nicht,dass sie sich auch noch Sorgen um mich machten, doch der Blick von Ilexs Mutter sprach Bände.

„Hast du gut geschlafen?", fragte sie mich, als ich mich an den Tisch setzte. Da die Zimmer keine Türen, sondern nur Vorhänge hatten, um von einander abgetrennt zu sein, war ich mir sicher, dass sie wusste, dass ich wieder einmal kaum geschlafen hatte. Ein weiterer Grund, warum viele mich einfach nur noch „Ghost" nannten. Nachts geisterte ich meistens einfach herum.

Lügen hatte also auch keinen Sinn, weswegen ich einfach nur schnell denKopf schüttelte, ehe ich mich über meinen Brei hermachte. Er schmeckte wie immer nach gar nichts, doch immerhin hatten wir etwas im Magen. Das war nicht jeden Morgen so, weswegen ich trotzdem jeden letzten Tropfen auf aß.

Ilex verabschiedete sich bereits von Calmia, während ich noch meine Sachen für die Schule zusammen packte. Auch mich drückte seine Mutter kurz an sich und ich versuchte es so gut es ging zu erwidern, auch wenn es sich immer noch falsch anfühlte. Sie war eben nicht meine Mutter, auch wenn sie und Crees es mir wirklich so leicht wie möglich machten. Calmia hatte die gleiche Größe wie sie aber ihre Schultern waren um einiges knochiger. Nicht einmal wenn ich meine Augen schloss, konnte ich meinen Geist damit in die Irre führen und für einen Moment glauben, dass alles gut wäre.

Mit einem gezwungen Lächeln löste ich mich von ihr, ehe ich so schnell ich konnte Ilex folgte, der bereits draußen wartete. Wie immer blickte er mich an, sagte aber nichts. Dafür war ich ihn dankbar. Ich wollte nicht reden, hatte nicht einmal Lust dazu. In der Schule würden die meisten sowieso wieder nur hinter meinen Rücken reden. Manchmal sogar, wenn ich genau daneben stand. Sie ignorierten mich, als wäre ich unsichtbar. Vielleicht war ich es sogar wirklich.

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Savina Grieves - Nur der Tod kann uns trennenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt