Prolog

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"Amou!", rief meine Schwester. "Amou! Guck mal!"
Ich stöhnte genervt auf. Konnte ich nichtmal ein paar Minuten Ruhe haben!? Klar, ich liebte meine Schwester. Sie war ja schließlich alles was mir geblieben war. Mein Vater war wieder im Krankenhaus und Mutter war tot. Doch manchmal bräuchte ich einfach nur Ruhe. Seufztend stand ich von meinem Bett auf und lief die Wendeltreppe herunter. "Was ist los, Fee?", fragte ich mich sanfter Stimme. Eigentlich hieß meine Schwester Felicia, doch ich nannte sie immer Fee. "Fee?", wiederholte ich verwirrt, da sie nicht am Esstisch war, wo ich sie vermutet hatte. "Hier unten, im Keller!", rief sie. "Was machst du im Keller!?", fragte ich geschockt und stolperte die Treppen hinab. Seit unsere Mutter tot war, durfte niemand mehr in den Keller. Aber Vater war gerade nicht da. Hatte Fee eigentlich immer Unsinn im Kopf!?
"Was machst du schon-", fing ich an, doch mir verschlug es die Sprache. Vorsichtig schob ich mich durch den Türspalt und blieb kurz stehen, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Die Wände waren voller Flecken, aber stabil. Überall standen Kisten, an einigen Stellen sogar bis zur Decke, sodass sie quasi Wände waren. "Fee?", fragte ich leise. "Ich bin hier.", sagte meine kleine Schwester. In dem Moment erkannte ich eine honigblonde Strähne in fahlem Sonnenlicht. Langsam bahnte ich mir einen Weg zwischen den Kisten und Kartons hindurch, bis ich bei meiner Schwester ankam und mich neben sie hockte, denn sie saß auf dem eisigen Boden. Durch ein Fenster - welches mit Spinnenweben und Moos übersät war - fielen ein paar Sonnenstrahlen. "Wenn Vater uns erwischen würde Fee, er -", flüsterte ich, doch meine Schwester legte mir einen Finger auf den Mund. Ich schwieg. Wortlos schob sie mir ein verstaubtes Buch hin. Der Einband war zerfleddert und sie Seiten gelb. Aber die Schrift war erstaunlicherweise gut lesbar. "Du hast gesagt, du willst fliegen.", flüsterte sie in mein Ohr und ihre eisblauen Augen leuchteten quasi. Verwirrt sah ich sie an. Dann deutete sie auf das Buch. "Wie bitte?", fragte ich. "Hat Vater dir wieder irgendwelche Märchen erzählt?", fragte ich bitter. Vaters Märchen waren nie gut. Es machte nur falsche Hoffnung. Ich seufzte, doch man sah in ihren Augen, dass sie von meinen Worten verletzt wurde. "Fee, sei mir nicht böse..", sagte ich sanft und wollte ihr über die Wange streicheln, jedoch schlug sie meine Hand weg. Jetzt sah ich sie verletzt an. "Dann nicht. Träum halt weiter von deinem fliegen.", fauchte sie und ließ mich mit dem Buch allein. Auch wenn ich am liebsten gucken würde, was in dem Buch war. Wie meinte sie das? Warum sollte ich mit einem Buch fliegen können?
Ich wurde von einem schrillen Schrei aus den Gedanken gerissen. Fee. Es war ihr Schrei. "Fee!", schrie ich und stolperte ohne nachzudenken los. Ich riss manche Kartons um, sodass der Inhalt scheppernd auf den Boden fiel. Doch dafür hatte ich jetzt keine Zeit. "Amou! Hilfe! Amou!", schrie meine Schwester so entsetzlich verzweifelt, dass es mir durch Mark und Bein ging. Ich rannte die Treppe hoch und sah ein paar edel gekleidete Männer, die meine Schwester mit sich zerrten. Ich wollte aus der Haustür rennen, ihr hinterher, sie retten. Doch etwas hielt mich fest. Reflexartig fuhr ich herum und schlug zu. Meine Knöchel trafen auf eine Nase, und ich spürte quasi wie sie brach. "He, bisschen sanfter wenns geht.", sagte eine männliche Stimme und Belustigung blitzte in Bernsteinfarbenden Augen auf. Diese Augen gehörten demjenigen, der mich festhielt. "FEE!", brüllte ich und versuchte mich loszureißen. Heiße Tränen liefen über mein Gesicht. "Amou!", schrie die hohe Stimme. "FEE!!", brüllte ich und wehrte mich heftiger, jedoch ohne Erfolg. "Fee..!", am Ende war meine Stimme nurnoch ein heiseres krätzen. Meine Schwester war weg. Ich hatte dem schwarzen Auto schreiend hinterher gesehen. "Fee.", krätzte ich nocheinmal, dann wurde alles Schwarz..

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