Stille. Stille, wie ich sie gewohnt war. Kalt und leer.
Mein Blick schweifte über den kleinen, hölzernen Tisch, der als schönstes Möbelstück unser Wohnzimmer zierte. Unzählige, schmale Schubladen mit kupfernen Griffen, die Deckfläche von einem goldenen Rahmen umgeben. Ich stand auf und strich über das raue Holz. Ich mochte diesen Tisch. Ich wusste nicht, wieso, aber jedes Mal wenn ich ihn musterte, überkam mich das Gefühl, ich müsste ein Geheimnis lösen, das einst dort hineingesetzt worden war.
Der Boden knarzte ein wenig, doch das störte mich nicht. Gewohnheiten nahm ich hin. Fast alle der Schubladen, die ich vorsichtig aufzog, waren leer und mit einer dicken Staubschicht bedeckt. In anderen wiederum lagen einige vergilbte Bilder. Ich ähnelte meiner Mum überhaupt nicht. Weder als Baby noch als kleiner Junge. Meiner Schwester hingegen sah man auf dem Bild sofort an, wessen Gene sie in sich trug. Mum spiegelte sich in Claires Blick wider. Die dunkelbraunen, warmherzigen Augen ließen sie strahlen. Ich merkte, wie ich mit meinen Gedanken abschweifte und konzentrierte mich auf mein eigentliches Ziel. Endlich fand ich die richtige Schublade. Jedes Mal aufs Neue spielte ich dieses Ratespiel. Ich legte Dinge nie dort ab wo sie hingehörten. Warum, wusste ich selbst nicht. Das Holz hatte sich an den Kanten abgespalten, der Kupfergriff war etwas locker. Ich zog die Schublade auf und nahm das Schmuckstück, an dem ich bereits sehr lange gebastelt hatte, heraus. Die Federn glitten einzeln durch meine Hand. Das bekannte Gefühl von Wärme und Geborgenheit legte sich über meine Fingerspitzen. Wie lange hatte ich schon daran gearbeitet. Bestimmt einige Wochen, wenn nicht Monate. Vorsichtig nahm ich die Kette aus dem schmalen Kasten heraus und stieg , sie fest umklammernd, die steilen Stufen hinauf, die zu meinem Rückzugsort führten. Auch hier hinterließ der Boden bei jedem Schritt ein leises Ächzen.
Plötzlich vernahm ich ein leises Klopfen. Dumpfe Geräusche wiesen darauf hin, dass jemand an unsere alte Haustür klopfte. Meine Hände verkrampften sich leicht, obwohl ich schon oft genug von Claire erklärt bekommen hatte, was in Momenten wie diesen zu tun war. So oft hatte ich diese Szene bereits durchgespielt. Doch jedes mal aufs Neue schossen mir tausende Gedanken durch den Kopf und ich wünschte mir, dass ich das nicht wieder erleben müsste. Das Klopfen wurde energischer. Mein Puls schlug immer schneller, doch ich zwang mich dazu, ruhig zu bleiben. Ich bewegte mich keinen Millimeter. Ich durfte mich nicht bewegen. Ich wollte mich nicht bewegen. Nun kratzte etwas an der Tür. Sie wollten doch nicht etwa das Schloss aufbrechen? War es aus für uns?
Nun konnte ich nicht mehr warten. Hektisch lief ich zu der breiten Luke im Boden und schloss sie , darauf bedacht, keine Geräusche zu machen. Das Schloss klickte. Jetzt hörte ich ein Knacken. Dann laute Schritte mehrerer Personen. Ich wagte es nicht, zu atmen. Einige Stimmen redeten durcheinander, Möbelstücke wurden verschoben, der Boden knarzte, man hörte es bis nach oben. Ich schloss die Augen. Was würden wir machen, wenn sie uns endgültig trennen würden? Wenn sie Claire finden würden? Wenn die Männer, deren Aufgabe es war, unschuldige Kinder zu „beschützen", mich in eines dieser schrecklichen Heime mit weißen Betten wie in Krankenhäusern und bösen Kindern, die es auf einen abgesehen hatten, bringen würden? Ich stoppte meinen Gedankenfluss, indem ich die Augen wieder öffnete und den Stimmen lauschte. Die Schritte entfernten sich. Die Stimmen verstummten. Ich hörte einen dumpfen Schall. Dann herrschte Stille.
Vielen Dank erst einmal, dass ihr bis hierher gelesen habt <3
Wie hat euch das Kapitel gefallen? Welchen Eindruck macht Ely auf euch? Schreibt gerne Anmerkungen/Kritik in die Kommentare, ich freue mich über alles :)
Bis zum nächsten Kapitel ,
LG Becci
DU LIEST GERADE
Federflüstern
General FictionEly verliert seine Mutter, als sie wegen Verrats von dem Verband abgeführt wird. Als seine Schwester verschwindet, führen ihn Spuren zu einem dunklen Geheimnis hinter der Organisation, der er einmal angehörte. Die Tauben, die seine Mutter ihm hinte...