Kapitel 15

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Es vergingen mehrere Tage, in denen ich sozusagen auf Entzug gesetzt wurde.
Mein Vater wechselte kaum ein Wort mit mir, doch er ließ mein Zimmer durchsuchen, nahm mir alles, was ich angesammelt hatte, dazu jede einzelne Karte für jegliche Sektoren. Wenn ich aus meinem Zimmer durfte, dann entweder, um zu essen oder um in der Krankenstation auszuhelfen. Seit dem Vorfall von neulich hatte ich kein einziges Mal mehr mit Joey oder Liam gesprochen, zu ihrem eigenen Schutz.
Sie hatten keine Strafe von meinem Vater bekommen, da er mir die Lüge, sie wären bloß Azubis, denen nicht klar war, dass ich nicht dort hinein hätte dürfen, abgekauft hatte und ich ihn davon überzeugt hatte, dass er selbst daran mehr Schuld trug, als die beiden.
Um mein und ihr Alibi zu wahren, ging ich ihnen also aus dem Weg. Selbstverständlich sah ich auch Minho nicht mehr.
Die Zellen wurden rund um die Uhr von den besten Männern meines Vaters bewacht - und jedem einzelnen von ihnen war deutlich gesagt worden, dass ich die Letzte war, die man durch die Tür lassen durfte. Beim Essen saß ich nun also alleine an einem Tisch, da ich ja mit niemandem reden konnte, der auch mit mir reden wollte.
Ab und zu durfte ich mit dem Azubis trainieren, doch es machte nur halb so viel Spaß, wenn ich so tun musste, als wären sie nicht meine Freunde. Walt war eigentlich der einzige, der sich noch die Mühe machte, sich um mich zu sorgen.
Er unterhielt sich mit mir und obwohl die Gespräche meist sehr einseitig waren, weil ich nicht wirklich Lust hatte, einfach so zu tun als wäre nichts passiert, tat er immer so, als wäre alles wie früher.
Doch er war eben auch derjenige, der meinem Vater sofort erzählen konnte, dass ich mich mit den Jungs besser verstand, als alle glaubten.
Genau genommen hätte er es ihm längst sagen können, denn mir war klar, dass er es wusste.
Aber offensichtlich hatte er mich dieses Mal nicht an meinen Vater verraten, denn dieser hatte keinem der beiden Jungen etwas angetan.
Und das war in meiner Lage momentan der größte Erfolg, den ich mir zuschreiben konnte.
Das Alleinsein nahm ich in Kauf, solange nicht noch mehr Leute bloß meinetwegen verletzt wurden.
Ein einziger Freund blieb mir jedoch. Jonathan lag immer noch auf der Krankenstation.
Seine Wunde hatte sich entzündet und das Fieber war immer weiter angestiegen, doch inzwischen hatte ich die Entzündung gehemmt und sein Fieber sank.
Ich lief mit einer Wache den Gang entlang zu Sektor 4 in die Krankenstation.
Mit der Wache, die mich nun auf Anweisung meines Vaters auf Schritt und Tritt verfolgte.
"Und wie heißen sie?", fragte ich den Mitte dreißig Jährigen, breiten, um die 1,80 großen Mann mit dunkelblondem Haar und grau-blauen Augen höflich.
Misstrauisch betrachtete dieser mich von der Seite.
"Chris.", erwiderte er zu meiner Überraschung.
Knapp und kühl, aber wenigstens antwortete er.
Ich meinte darauf: "Scheiß Job, ich weiß. Ich bin übrigens auch nicht sehr zufrieden mit dieser Lösung."
Er stieß verachtend Luft durch die Nase.
"Das hätten sie sich wohl überlegen sollen, bevor sie unsere einzige Hoffnung auf Heilung fast getötet hätten."
Ungläubig schnellte mein Kopf zu ihm: "Was? Ich habe ihm doch nichts getan. Für wen halten sie mich? Ich bin vieles, frech, jung, wenn sie wollen auch naiv und dumm, aber eine Mörderin bin ich nicht. Ich war bei diesem Jungen, weil ich ihm helfen wollte, da er von unsren Leuten gefoltert wird. Und irgendwer hat gewollt, dass er stirbt, ja, vielleicht jemand, der nicht wollte, dass WCKD gewinnt, aber dieser Jemand war ganz bestimmt nicht ich. Sie können mir eins glauben: Ich will, dass WCKD ein Heilmittel herstellt. Ich bin nur nicht damit einverstanden, dass man dafür Menschen foltert. Sie können es übrigens glauben oder nicht, aber ohne mich wäre ihre einzige Chance auf Heilung jetzt mausetot. Und wagen sie es noch einmal, mir so etwas vorzuwerfen, dann bin ich nicht mehr so zahm, also lassen sie es sein."
Verwirrung trat in sein Gesicht: "Dir ist schon klar, dein Vater hat dem ganzen Quartier erzählt, du hättest den Probanden umbringen wollen aus pubertärem Trotz. Deshalb könne man dir nicht trauen."
Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Er versuchte, es zu vertuschen und benutzte mich als Sündenbock. Irgendwer im Quartier war ein Verräter, der versucht hatte, sein Vorhaben zu manipulieren.
Und da er keine Ahnung hatte, wer es war, und das, obwohl Sicherheit nicht nur sein Job, sonder auch so etwas wie sein zweiter Name sein sollte, verriet er es niemandem.
"Das glaube ich einfach nicht...dieser...oh man.", war alles, was ich darauf erwidern konnte.
In meinem Gesicht stand wahrscheinlich genau das, was ich fühlte.
Entsetzen, Enttäuschung, Verwirrung und Wut.
Obwohl ich eine gute Schauspielerin war, hätte ich das niemals so spielen können.
Besorgt sah mich Chris von der Seite an, so als würde er überlegen, ob ich ein verlogenes, manipulatives Miststück war oder ob ich hier das arme, kleine Opfer der Sache war.
Ich wollte ihn nicht von meiner Unschuld überzeugen.
Das brauchte ich nicht.
Früher oder später würde es ans Licht kommen, egal was ich tat.
Also liefen wir beide schweigend weiter.
Als Chris sich in der Krankenstation mehrere Meter weiter weg von mir niederließ fragte ich mich dennoch, für welche der beiden Varianten er sich schließlich entschieden hatte. "Loyala?", kam es von ihm jedoch, als ich vor meinem Schichtbeginn meine Hände im Bad desinfizieren wollte. "Ja?", gab ich zurück und drehte mich in seine Richtung.
"Wenn das, was du sagtest, stimmt, dann befindet sich ein Verräter in unsrer Mitte, nicht wahr?"
Ich nickte überzeugt.
Auch er nickte verständnisvoll, fügte dann aber hinzu: "Wenn das stimmt, was du sagst, dann tut es mir leid. Alles. Auch, dass dein Vater in deinen Augen eine volle Enttäuschung für dich ist. Was ich im Übrigen sehr gut nachvollziehen kann. Aber wenn du lügst, dann schwöre ich dir, mache ich dich fertig, Kleine."
Ich lächelte schwach. "Glauben sie denn, dass ich lüge?"
Er schnappte sich eine Zeitschrift vom Stapel des Wartezimmertisches und sah konzentriert hinein.
"Ich warte hier, in zwei Stunden bist du wieder hier, klar? Und versuch ja nicht, abzuhauen."
So ließ auch ich das Gespräch stehen und ging wortlos durch den Eingang von Sektor 4.

Ist WCKD gut? || Minho FF *abgebrochen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt