An diesem Tag verließ ich das Haus wie jeden Morgen, um wie jeden Tag zur Schule zu gehen, danach wie jeden Tag zur Arbeit zu fahren, um am Ende des Tages wie jeden Abend in meinem Bett zu liegen und mich zu fragen, wie lange ich das noch durchhielt. Ich war nicht wirklich unglücklich, aber glücklich war ich ganz sicher nicht. Fällst du erst mal in ein Muster, siehst du keinen Ausweg mehr, als ob sich ein Vogel in einen Käfig sperrt und die Schlüssel im Schloss nicht mehr dreht, weil er glaubt, sowieso das Fliegen verlernt zu haben. Ich nahm es hin und wartete auf irgendwas, dass mir einen Grund gab, um endlich aufzuhören - vergeblich. Meine einzigen Lichtblicke waren meine Freunde, Freunde von denen jeder nur träumte. Ich liebte es meine freien Tage mit ihnen zu verbringen, kostbare Zeit, die ich in kostbare Menschen investierte. Habt ihr auch diese Menschen, die euch alles schlechte im Leben vergessen lassen? Dankbar für jeden neuen Tag wurden sie zu meiner Familie, ein Kreis, den ich grundsätzlich klein hielt. Vertrauen war etwas, dass ich nur Menschen schenkte, die mir mit Loyalität entgegneten.
An diesem Tag lief ich meinen gewohnten Weg zum Bahnhof. Irgendwie sind Bahnhöfe sonderbare Orte für mich. Dort treffen sich Menschen, dort trennen sie sich auch. Man weiß immer, dass eines von beiden der Fall ist, doch nie kann man wissen, welche Geschichte sich dahinter verbirgt.
Ich lief zu meinem gewöhnlichen Haltepunkt, wo ich hinter der Sicherheitslinie auf meine Füße starrte, bis der Zug vorfuhr, um mich mitzunehmen. Ich dachte nach, über die Schule und ob ich es schaffen würde, mit allen mitzuhalten. Mir fehlte es nicht an Intelligenz, daran lag es nie. Obwohl ich mich nie überwinden konnte, Fleiß und Mühe in Schularbeiten zu stecken, waren meine Leistungen dementsprechend trotzdem gut. Aber der Antrieb fehlte mir. Ich weiß nicht, was es war, aber als ob mich etwas von innen bezwingt, so schaffte ich es nie, Motivation für vermeintlich wichtige Dinge zu bekommen. Druck ist etwas, womit ich nicht umgehen kann. Während ich sah, wie andere es regelrecht brauchten, um das letzte Stück ihres Potenzials auszuschöpfen, fühlte ich mich bei allem, was ich tun oder erreichen wollte, erdrückt. Druck nahm mir meine Ruhe, die ich brauchte, um klar denken zu können, um gut zu sein, produktiv zu sein. Da mich aber alles beschäftigte und vorallem auch belastete, da ich kaum noch Zeit für mich fand, entrinn mir eine monatelang zurück gehaltene Tränenflut, die wie aus einem Mal ausbrach. So ist das immer bei mir. Normalerweise bin ich kein emotionaler Mensch. Ich bringe andere zum Lachen, das liebe ich und das kann ich auch gut. Aber sobald ich zu viel fühle, ob Hass, Wut, Enttäuschung - ich kann nicht mit zu vielen Gefühlen umgehen und ende letztendlich bei einem Ausbruch. Das kommt nicht oft vor, aber wenn ich monatelang verschiedenste Sachen behalte und aufstaue in mir, ist es nur eine Frage der Zeit. Also stand ich da, komplett aufgelöst und immer weiter steigernd in mein jämmerliches Weinen, während ich spürte, wie mir alles über die Wangen und aus der Nase lief. Ich war froh, dass ich mich in diesem Moment nicht selbst anschauen musste, den ich konnte mir nur vorstellen, wie erbärmlich ich aussah. Meine Lippen bebten und meine Schultern zuckten bei jedem Schluchzen nach oben, sobald ich versuchte, Luft zu holen. Ich schämte mich in diesem Moment für meine Schwäche und zwang mich, mich zusammen zu reißen. Ich sagte mir selbst, dass alles halb so schlimm sei, es kämen noch bessere Tage, das war doch nur eine Phase. Ich hob den Kopf, um mir die Tränen aus meinem Gesicht zu wischen, ich wand den Blick von meinem Füßen nach oben- und da sah ich dich.
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Als Du Kamst Und Nie Wieder Gingst
PoetryDie Rechte des Covers liegen nicht bei mir.