Solina Teil 2

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>Und was sagst du?<

>Ich weiß nicht.<

>Was weißt du nicht?<

Sie warf mir einen traurigen Blick zu.

>Erzähl mir doch erst mal den Rest, dann kann ich leichter urteilen.<

>Einverstanden:

Das Buch handelt von Solina. Es werden viele Situationen beschrieben,

die sich mit der Zeit puzzleartig zusammensetzen.<

>Warum schreibst du es nicht einfach chronologisch?<

>Das hat mehrere Gründe. Durch die Erzählweise wird der Leser zum

Nachdenken angeregt. Er muss jeden Satz mehrfach überdenken, jedes

noch so kleine Detail beachten.

Wie verändert sich der Schreibstil?

Was ist der Sinn hinter all dem?

Und warum erzähle ich die Geschichte nicht einfach chronologisch?

Er interpretiert jeden Abschnitt auf seine eigene Weise, schafft neue

Zusammenhänge und sieht Verbindungen, die ich nicht beabsichtigt

hatte. Doch es spielt keine Rolle. Das Buch an sich ist nichts. Nur eine

leblose Kombination von Zeichen. Erst der Leser erkennt darin Wörter,

Sätze... eine Geschichte.

Aber kommen wir zu Solina. Du hast wahrscheinlich bemerkt, dass sie

etwas ungewöhnlich ist. Ihre Gedanken sind nicht im Hier und Jetzt,

sondern im Wäre, Hätte, Könnte. Sie schlüpft in fremde Rollen, kreiert

neue Charaktere und hat erst dann Spaß an der Unterhaltung, sobald sie

sich etwas ausdenkt.

Das Ganze wird immer schneller, immer extremer bis Solina eines Tages

nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden kann?

So verliert sie sich in ihrem eigenen Spiel und ist dennoch glücklicher als

je zuvor. Nun stehen ihr alle Möglichkeiten offen. Sie ist vollkommen

gelöst von Erwartungen, Zielen, Prinzipien, Idealen und Eigenschaften.

Sie sucht nicht weiter, nach ihrem wahren Ich - denn es spielt keine Rolle.

Sie besitzt stets den Charakter, welchen andere in ihr sehen.

Plötzlich dringt ein Geräusch an ihre Ohren. Es ist das Heulen von

Sirenen. Und so denkt sie nach:

"Was war das? Ein Feuerwehrauto? Die Polizei? Ein Krankenwagen?

Natürlich! Beinahe hätte ich es vergessen:

Vergessen, dass es mich zwei Mal gibt.

Vergessen, dass ich bewusstlos zwischen den Trümmern liege.

Ja - beinahe hätte ich vergessen, dass ich gerade dabei bin... zu sterben."

Und so endet das Buch. Der Leser wird nie erfahren, ob sie nun wirklich

bewusstlos zwischen all den Trümmern liegt. Genau wie Solina nie

erfahren wird, wer sie wirklich ist. Doch es spielt keine Rolle.

Ehrlichkeit - Thadeus StadelmannWhere stories live. Discover now