Die Bühne - DIE ABSURDITÄT DER MENSCHLICHEN EXISTENZ

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>Nein, ich habe zu danken - für diese wahrlich gelungene Einleitung.< In

seiner Stimme ließ sich ein Hauch von Sarkasmus erkennen.

>Mein Buch trägt den Titel: "Die Absurdität der menschlichen Existenz."

Es handelt ebenfalls von einem Autor. Doch er hat ein festes Ziel. Er

möchte ein Werk erschaffen, das jedem gefällt.

Während er darüber nachdenkt, kommen Erinnerungen in ihm hoch. Sie

setzen sich puzzleartig zusammen und erklären so, warum er dieses Ziel

verfolgt. Es werden dabei immer neue Situationen aus seiner

Vergangenheit geschildert, die nun sein jetziges Ich kommentiert und

verarbeitet.

Alles begann während eines Dates. Das Mädchen erzählte von ihrer

guten Freundin Kim. Kim wollte Selbstmord begehen, hatte sich jedoch

nie getraut. Sie war depressiv... depressiv und magersüchtig.

Die Geschichte berührte den Protagonisten. Nicht, weil sie traurig war

oder ihn der Inhalt ihn ansprach. Nein, ihn faszinierte die Erzählerin.

Anfangs mochte er sie nicht einmal. Ständig schweiften ihre Gedanken

vom Thema ab. Doch als sie begann von Kim zu reden, veränderte sich

etwas.

Sicher - anfangs war es noch sehr ermüdend. Er musste die

Informationen regelrecht aus ihr herausquetschen. Aber mit der Zeit

begann das Mädchen zu Lächeln. Sie fand Gefallen daran. Und umso

fröhlicher ihr Lächeln war, desto verrückter wurde die Geschichte. Sie

erzählte mit einer solchen Freude und zugleich so voller Trauer, dass er

ihr einfach glauben musste. Mit der Zeit erschuf sie ein ganzes

Universum, welches sich um ihre magersüchtige, depressive Freundin

drehte.

In diesem Augenblick empfand der Protagonist zugleich Freude und

Gier. Er wollte mehr von dieser Welt erfahren und beneidete alle, die ein

Teil davon waren. Vor ihm offenbarte sich ein vollkommen neues Leben,

ob es Fiktion oder Realität war, spielte für ihn keine Rolle. Sein

sehnlichster Wunsch bestand darin, diese Welt kennen zu lernen. Er

wollte ihr beitreten, sie beeinflussen, sich mit ihr verschmelzen. Er wollte

die Geschichte nicht hören - er wollte sie erleben.

Aus diesem Grund traf er sich erneut mit dem Mädchen. Doch sie schien

eine vollkommen neue Person zu sein, mit neuen Geschichten, einem

neuen Lächeln und unzähligen neuen Welten. Der Protagonist war

begeistert. Er hatte es nie für möglich gehalten, dass die Wirklichkeit so

vielfältig und schön war. Jede Sichtweise so faszinierend. Jede Person auf

ihre Art die wundervollste, welche er je getroffen hatte. Und er wollte sie

alle kennenlernen. Er wollte nichts auslassen, auf nichts verzichten.

Und so traf er sich abermals Mädchen. Sie führe ihn immer wieder in

fremde Welten, nahm stets neue Persönlichkeiten an. Nur er blieb immer

gleich - immer glücklich. Bald war es nicht nur das Mädchen, sondern

sein gesamtes Umfeld. Wenn er eine neue Welt erblickte, wollte er

unbedingt dazugehören. Er wollte eine Rolle im Leben jeder Person

spielen.

Doch was er auch tat, es gelang ihm nicht. Er besaß weder genug Zeit

noch die Kraft, um all dies zu erleben. Bevor er eine Welt betrat,

offenbarte sich ihm schon die nächste. Er schlief weniger und bildete sich

ein in Ausgleich mehr zu leben - doch letzten Endes scheiterte er

kläglich. Es war unmöglich. Er konnte nicht alles gleichzeitig tun.

Aber dann kam ihm eine Idee: Er konnte nicht mit jedem reden, aber

jeder konnte ihm zuhören.

Und so entschied er sich ein Buch zu schreiben. Ein Buch, das jedem

gefallen würde. Alle würden es weiterempfehlen. Alle würden es lesen.

Jeder würde dieses Buch als Teil seiner Welt bezeichnen und er hatte es

kreiert.

Der Protagonist setzte sich hin und begann zu schreiben. Doch worüber?

Welches Thema gefiel ausnahmslos jeder Person? Um diese Frage zu

beantworten, dachte er über sein erstes Treffen mit dem Mädchen nach -

über ihre Magersüchtige Freundin und ihr vor Glück strahlendes Lächeln.

In diesem Augenblick wurde ihm etwas klar: Er wollte nicht nur ein Teil

jeder Welt sein, er wollte auch, dass jede Welt ein Teil von ihm war.

Doch er konnte nicht alles erleben. Er konnte sein wichtigstes Ziel

niemals erreichen... Sich dies einzugestehen war quälend und zugleich

wunderschön.

Und nun wusste er auch, worüber er schreiben wollte. Über sich. Über die

Absurdität seines Wunsches. Über das Verlangen ein Buch zu schreiben,

das ausnahmslos jeder Person gefällt... Dabei gab es nur eine einzige

Welt, die ihn auf Dauer glücklich machte. Nur eine einzige Welt, die sich

mit ihm veränderte. Nur eine einzige Welt, die alles zusammenfasste:

Seine Welt.

Und so endet das Buch damit, dass der Protagonist beginnt es zu

schreiben.

Es beginnt und endet mit einem unerfüllbaren Wunsch, mit einem

Wiederspruch in sich.

Es beginnt und endet mit der Absurdität der menschlichen Existenz.

Ehrlichkeit - Thadeus StadelmannWhere stories live. Discover now