Kapitel 2

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„Lass mich los!", kreische ich und funkele den bärtigen Mann wütend an. Doch er denkt gar nicht daran, sondern zieht mich zwischen die fünf Männer. Gehetzt sehe ich mich nach einer Lösung für mein Problem um, doch finde keine.

Die Männer nehmen mich in ihre Mitte und schubsen mich von einem zum anderen. Die Welt verschleiert sich vor meinen Augen, als sich in meinen Augen langsam Tränen bilden, die ich versuche weg zu blinzeln.

"Hört auf!", schluchze ich, obwohl ich weiß, dass es nichts bringen wird und meine Widersacher stattdessen eher noch anstacheln würde.

"Oh, da kommen einem ja die Tränen!", spottet einer. Die Anderen fallen in sein krankes Lachen ein. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich werde weiter hin und her geschubst. Wenn jemand in der Nähe ist, der mir helfen kann, so zeigt er sich nicht. Was auch verständlich ist. Niemand, absolut niemand legt sich gern mit dieser Art von Mensch an.

Mittlerweile laufen mir wirklich Tränen über das Gesicht. Die Männer lachen und mir wird so ein heftiger Stoß versetzt, dass ich hart auf dem aufgeplatztem Gehweg lande. Dort bleibe ich kurz liegen und versuche mich irgendwie zu schützen, bis mich wieder einer packt und nach oben reißt. Er starrt mich begierig an. Ich verziehe angewidert mein Gesicht und er stößt mich in die Arme eines anderen Mannes, der mich aggressiv umschlingt. Ich weiß wohin das führen wird.

"Stopp!", schreie ich mit letzter Kraft und wünsche mir die Zeit anhalten zu können.

Ich spüre ein Ziehen in meiner Brust und mein Herz scheint still zu stehen. Ich höre auf zu atmen. Der Wind der bis eben noch in mein Gesicht gepustet wurde legt sich plötzlich und die von den schwachen Laternen beschienenen Männer erstarren mitten in ihrer Bewegung. Auch der Mann, der mich von hinten umschlungen hält, hört auf sich zu bewegen.

Ungläubig befreie ich mich aus seinem Griff, seine Arme lassen sich ganz leicht auseinander drücken. Trotzdem ist sein Bizeps noch bis zum Zerbersten gespannt. Seine Augen sind halb geschlossen, als hätte er sein Blinzeln unterbrochen. Auch sonst bewegt sich nichts. Die Lampen scheinen ausnahmsweise mal gleichmäßig und ein Blatt schwebt mitten in der Luft und bewegt sich nicht.

Was passiert hier gerade? Ich starre die Männer an, die sich immer noch nicht bewegen und trete aus ihrer Mitte auf die Straße. Nichts. Keine Reaktion. Als würde die Zeit still stehen.

Schnell laufe ich die Straße runter zu dem Betonklotz, in dem ich mit meiner Mutter im sechsten Stock wohne. Es bewegt sich immer noch nichts. Selbst ein streunender Hund ist mitten in seiner Bewegung erstarrt und hat seine Jagd auf eine kleine Maus unterbrochen, die direkt vor ihm auf der Straße hockt. Ich starre das Szenario an und beschließe eine gute Tat zu vollbringen und hebe die Maus, die sich immer noch nicht bewegt, vom Boden auf und setze sie weit hinter dem Hund wieder auf der Straße ab.

Dann schließe ich die Haustür im Erdgeschoss auf und steige die Treppe hinauf. Die Zeit scheint immer noch nicht weiter zu gehen, denn ich sehe die Nachbarin, den Schlüssel in der Hand, vor ihrer Wohnungstür stehen und sich nicht bewegen.

Ich konzentriere mich und versuche die Zeit irgendwie in den Gang zu bringen. Was, wenn ich mich ab jetzt immer in dieser Sekunde bewegen muss? Was, wenn die Uhr nie wieder anfangen würde zu ticken. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie die Zeit angefangen hatte aufzuhören zu laufen. Ich hatte mir einfach gewünscht, dass die Zeit stoppen würde. Also konzentriere ich mich auf den Gedanken, die Zeit wieder zum Laufen zu bringen.

Langsam bewegt sich meine Nachbarin wieder und steckt den Wohnungsschlüssel ins Schlüsselloch. Erleichtert schließe ich die Augen und stoße die Luft aus. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich keinen einzigen Atemzug genommen habe.

Ich wende mich dem Aufzug zu, steige ein und fahre langsam in den sechsten Stock.

Viel Spaß beim Lesen 🎀

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