Die Bässe dröhnten in meinem Kopf. Sie kamen vom Erdgeschoss, die Treppe hinauf, ins erste Geschoss, durch meine Zimmertür und in meine Ohren, wo sie sich ihren Weg zu meinem Gehirn bahnten und dort ihr Unheil verrichteten.
Kurzerhand entschloss ich mich, aus dem Bett zu springen und aus meinem Zimmer zu hechten. Im Flur war es noch lauter und als ich Die Treppe nach unten ging, wurde ich richtig aggressiv, so laut war es.
Ein cremiges Flanellhemd, getragen von dessen süßem Besitzer Benni, lehnte an der Treppe. Auch sein schmeichelndes Lächeln konnte mich nicht zurück auf den Boden holen.
Mein durchgestreckter, spitzer Zeigefinger bohrte sich in das Babyblau seines Hemdes. Die Farbe war so cremig, dass ich befürchtete, sie würde feucht sein und an meinem Finger kleben bleiben.
„Duuu!" zischte ich. Ein paar Oktaven zu hoch und etwas zu aufdringlich. Ich wusste, wie man Männer einschüchtert, denn diese Spezies konnte unglaublich schlecht mit wütenden Frauen umgehen. Manchmal jedoch, wenn ich wütend war, überschritt ich das angemessene Soll und ehe ich es mich versehen hatte, hatten die Männer Angst vor mir. Also steckte ich meinen anklagenden Zeigefinger wieder weg, wie einen geladenen Revolver, nach dem Motto: Na schön, ich bleib ruhig, aber ich kann auch anders.
Schließlich sollte Benni ja keine Angst vor mir haben.
„Iccch?", fragte er und zog das ch extra lang, wie als wolle er Zeit schinden. Wahrscheinlich war er ziehmlich angetrunken. Meine Augen flatterten durch den Raum und visierten eine dunkle Gestalt, nicht weit vom Treppengeländer entfernt, die aus der Menge stach. Natürlich stach Ian aus der Menge. Auch er hatte einen Becher in der Hand. Er wirkte unentspannt, als würde das auf ihn einplappernde Mädchen ihm den letzten Nerv rauben. Komischerweise wirkte er meistens (Wenn ich ihn sah), genau so. Unentspannt und irgendwie gehetzt.
„Wie oft macht ihr hier Party, hm?", Fragte ich, kurz aus der Konzentration gebracht, um das Gespräch fort zu führen.
Benni, der süße Benni, ganz seiner Zuversicht beraubt, antwortete sichtlich eingeschüchtert.
„Partys, immer. Äh, ja, dass sind doch Partys...Ähm, also ich meine... das ist eine Studentenverbindung, hier wird fast jedes Wochenende gefeiert". Er zog beide Augenbrauen hoch, um seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen.
„Kein einziges Wort!!", rief ich und fuchtelte mit meinen Händen in der Luft herum.
„Wort?", fragte er.
„Davon hast du mir kein einziges Wort gesagt!" Ich stämmte die Hände in die Hüften. Benni kniff die Augen zusammen. Er sah aus, wie ein treuloses Hündchen.
„Aber das weiß doch jeder. Eva, ich weiß echt nicht, was du anderes erwartet hast...". Er hob beschwichtigend die Hände.
Was sollte ich dazu noch sagen?
Ein wütendes Heulen riss mich aus der Fassung. Es hörte sich an, wie ein aggressiver Löwe, der sich gleich auf sein Opfer stürzte.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Ian sich mit Gewalt auf eine Gestalt schmiss, die gerade zur Tür herein gekommen war. Ich drehte mich blitzschnell um und konnte gerade noch erkennen, wie die dunkle Hand, mit den langgliedrigen Fingern, zur Faust geballt, in dem Gesicht meines Bruders landete.
Alex sah verwirrt und gleichzeitig überrascht aus, als wäre er in einen Hinterhalt geraten. Sein Mund zu einem „Oh", geformt.
Mit roher Gewalt bearbeitete Ians Faust Alex Körper, als dieser schon längst auf dem Boden lag, drosch immer wieder auf ihn ein, brutal, gnadenlos. Ians Gesicht war eine wutverzerrte Maske. Eine Menschenmenge bildete sich um die zwei Männer, Stimmen wurden lauter.
Ich konnte mich nicht bewegen, war geschockt, wie eingefroren. Mein Herz bebte, als hätte es gerade einen Wackelkontakt.
Die Faust war in der Luft, zischte mit unnatürlicher geschwindigkeit auf das zu bearbeitende Fleisch zu und brach wahrscheinlich etliche Knochen. Plötzlich fühlte ich es. Eine Hand auf... meinem Arsch. Bevor irgend etwas anderes Geschah, bevor ich überhaupt kontrollieren konnte, was ich da tat, war meine eigene Faust auch schon im Gesicht meines Grapschers. Benni zuckte vor Schmerzen zusammen und quiekte. Ich sog erschrocken Luft ein, setzte zu einer Entschuldigung an, stoppte aber im letzten Moment. Er war hier das Arschloch.
„FFF", ich setzte zu einem ersticktem FICK DICH an, nicht einmal mehr manieren hatte ich. Auf der anderen Seite des Raumes verprügelte Ian meinen Bruder und alles passierte so schnell und es war so verwirrend und mir wurde übel.
„Ach, Fick dich doch!", rief ich einfach, ließ es aus mir heraus und macht mir einfach mal keine Gedanken um irgend eine Scheiße, sondern rannte wie eine gejagte auf die sich prügelnden zu.
Als ich die Leute zur Seite schob, hörte ich es. Ich hörte, was er sagte. Unterdrückt presste er den immer gleichen Satz zwischen den Fausthieben hervor. Seine vollen Lippen waren so zusammengepresst, dass man von ihnen nur noch Striche sah.
„Hast!" Fausthieb „Sie!" Fausthieb „Getötet!" Fausthieb „Wichserwichserwichser!!!" Fausthieb, Fausthieb, Fausthieb.
„Du hast sie umgebracht, wegen dir ist sie Tod und du Mörder, wagst es hierher zurück zu kehren!!!"
„Haaaaaaaalt, Stop, verfluchte Scheiße, hör auf Ian, du Mistkerl!" Ich zerrte an seinem T- shirt.
„Hat seine verfluchte Schwester mit sich geschleppt, wichser", fauchte Ian. Er sprach zu Alex.
Ian hatte mich von Anfang an Tyrannisiert und jetzt wagte er es, meinen Bruder vor meinen eigenen Augen zu verprügeln. Bei ihm war eindeutig etwas nicht in Ordnung.
Verzweifelt schmiss ich mich zwischen das kämpfende Knäul. Mein Bruder röchelte nur noch schwach. Mittlerweile war er aufgestanden, hielt sich mir letzter kraft auf wackligen Beinen und stöhnte vor Schmerzen.
Alles war plötzlich in eine zähflüssige Masse eingetaucht und bewegte sich nur noch schwerfällig, wie in Zeitlupe. Wie in dem Moment, in dem man fällt und man denkt nur: Oh, jetzt passiert es.
Ians und meine Augen trafen sich. Er sah mich, sah mich ganz genau, wusste, dass ich zwischen ihm und seinem Opfer stand, wusste, so wie auch ich wusste, dass er nun die Faust runter nehmen müsste, dass er dazu im Stande wäre, sich zu unterbrechen. Es war kein Reflex, als würde er auf Alex einschlagen und ich würde dazwischen gehen und alles würde so schnell passieren, dass er sich nicht mehr bremsen könnte, seine Faust im affekt nicht aufhalten könnte, sodass sie mich traf. Nein, so war es nicht, er sah mich, seine wunderschönen Augen fixierten mich, er hatte mich wahrgenommen.
Doch seine Faust schwebte unweigerlich in der Luft.
Zeitlupe.
Etwas hartes traf mich auf die Brust, dort wo sie eigentlich Alex Bauch hätte treffen sollen und ein Schmerz durchfuhr mich. Ich keuchte unglaubwürdig und erstickt. Er hatte mich geschlagen. Er war zu weit gegangen. Er hatte eine Grenze überschitten. Eine Regel gebrochen, die nirgendwo geschrieben steht, doch sie gilt und jeder weiß das, denn diese Regel ist Gesetz: Man schlägt keine Frauen.
Ich sah den Schock in seinen Augen. Ich sah seine Reue, der Scham, der sich unweigerlich in ihm ausbreitet. Er schluckte schwer, fuhr sich mit der Hand über den Mund.
Wie sehr er das wieder rückgängig machen wollte.
Er fasste mit der Hand an meine Brust, an die Stelle, die er getroffen hatte, streichte sanft darüber, als könnte er die Stelle so heilen. Seine Augen waren nicht mehr hasserfüllt, sondern sanft, sein Gesicht erschlaff, der Blick abwesend. Er war wie weggetreten.
Seine Fingerspitzen ruhten auf meiner Brust und bewegten sich. Ich zuckte zusammen und er zuckte zurück. Er zog seine Hand zurück und ließ sie hinter seinem Rücken verschwinden, als wolle er sich selbst davon abhalten mich noch einmal zu berühren.
Seine glänzenden Augen wollten eine Ausrede finden, sie wollten sagen: Es tut mir leid, ich habe dich nicht kommen sehen.
Doch das stimmte nich, es war eine Lüge, dass wussten wir beide.
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secretive times
ChickLit*Liebe ist die stärkste Macht der Welt und doch ist sie die demütigste, die man sich vorstellen kann* -Mahatma Gandhi Wenn ein Leben bewusst auf den Kopf gestellt wird, dann meistens mit dem Wille nach Veränderung. Mit dieser Intetion wechselt Eva d...