Fünf Jahre später.Fünf Jahre war das Ganze jetzt schon her. Fünf verdammte Jahre. Und ausgerechnet jetzt, nach solch einer langen Zeit, nach einer Zeit in der ich mittlerweile die Hoffnung aufgegeben hatte sie jemals wieder zu sehen, sah ich sie heute tatsächlich wieder. Wie konnte das sein? Ich war wahrscheinlich halb Amerika abgefahren, hatte sämtliche Telefonbücher durchblättert und das Internet bis spät in die Nacht nach ihr durchsucht. Um sie jetzt in einem Supermarkt in Louisville zu sehen?
Welch Ironie des Schicksals. Welch Ironie des Schicksals und ihr- Destiny.
Mir war ihr braunblonder Haarschopf gleich ins Auge gefallen. Und auf einmal erschien mir die Tatsache, dass ich in weniger als zwei Stunden Gäste erwartete und in meinem Kühlschrank gähnende Leere herrschte total nebensächlich. Etwas in mir forderte mich dazu auf ihr zu folgen. Wahrscheinlich der kleine Funken Hoffnung, der nach all den Jahren immer noch in mir vorhanden war. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass dieser kleine Funken in dem Moment, in dem ihre eindringlichen, grünen Augen, meine fixierten zu einem Feuerwerk im Inneren meines Körpers ausartete. Ich wusste nicht wie lange wir, zwischen Backwaren und Hygiene Artikeln gedrängt uns einfach nur anstarrten.
Destiny war schon immer zweifellos ein hübsches Mädchen gewesen. Aber jetzt, nachdem ich mir jeden Millimeter von ihr genaustens eingeprägt hatte um ja nichts zu vergessen, fiel mir auf, dass sich etwas an ihr geändert hatte. Es waren zwar Kleinigkeiten aber trotz allem fielen sie mir auf. Sie war tatsächlich noch ein gutes Stück gewachsen, ihre langen Haare, die sie sonst immer zu einem Zopf geflochten hatte, waren um einiges kürzer und lagen nun offen und glänzend auf ihren Schultern auf. Ihr Gesicht hatte ich kindlicher in Erinnerung, ganz zu schweigen von ihrem restlichen Körperbau. Und dann waren da natürlich noch die Augen. Mit ihrer rundlich, schmalen Form und dem Tiefgrün hatten sie mich schon immer fasziniert, aber jetzt wo ich sie tatsächlich in der Realität und nicht wie sonst immer in meinen Gedanken sah, hatte ich den Eindruck, dass diese Augen in mich hinein blicken konnten. Als ob sie jeden meiner Gedankenzüge schon erahnen konnten und ganz genau wüssten was ich als nächstes vorhatte. Alles in einem war Destiny immer noch hübsch, allerdings könnte man ihr jetzt auch getrost den Begriff heiß zuordnen. Das war sie nämlich.
Anscheinend hatte ich es mit dem Einprägen tatsächlich ein wenig übertrieben, da sie plötzlich ihren Einkaufswagen um 180 Grad drehte und mit ordentlichem Tempo in die Obstabteilung bog. Einen winzigen Moment lang kam der Gedanke in mir auf, ihr nicht zu folgen und sie einfach gehen zu lassen. So schnell wie dieser Gedanke allerdings gekommen war, so schnell war er auch schon wieder verflogen, da ich es nicht ertragen konnte sie wieder gehen zu lassen. Dieses Mal nicht. Also packte ich entschlossen meinen Wagen und folgte ihr kurzerhand. Sie stand gerade vor einem großen Korb, vollgefüllt mit roten Äpfeln als ich mich selbst ihren Namen rufen hörte.
Sie reagierte nicht.
Hatte sie mich nicht gehört oder ignorierte sie mich? Wahrscheinlich eher letztes.Also trat ich näher an sie heran und rief ihn nochmal. Tatsächlich reagierte sie dieses Mal, schüttelte aber bloß unmerklich den Kopf und wollte wieder weg gehen, als ich in meinen Augen das einzig Richtige tat. Ich hielt sie mehr oder weniger sanft am Handgelenk fest. Doch anstatt sich loszureißen, oder zu schreien zu beginnen atmete sie einmal tief ein und kurz darauf wieder aus, schmiss die Tüte mit den Äpfeln, die in ihrer anderen Hand derweil verweilten, in den Wagen und drehte sich mir entgegen. Sie hatte tatsächlich nachgegeben und war anscheinend bereit mit mir zu reden.
„Destiny?" fragte ich sicherheitshalber nochmal und kam mir dabei wie ein Trottel vor. Als ob sie bloß eine Illusion war.
„Du hast es erfasst Mason. Und ganz nebenbei hast du es geschafft, innerhalb der letzten sechs Minuten meinen Namen so oft zu rufen, wie ich ihn die gesamte letzte Woche noch niemanden so oft rufen gehört habe."
An sich könnte diese Aussage ziemlich eingebildet und arrogant klingen, wenn da nicht dieses Lächeln wäre. Egal wie feminin und erwachsen sie geworden war, ihr Lächeln war noch exakt dasselbe wie auch schon vor fünf Jahren. Und das fand ich wundervoll.
„Ich habe dich vermisst" hörte ich mich leise flüstern. Doch schon im nächsten Moment könnte ich mich für diese Aussage ohrfeigen da ich sah, wie sie beschämt ihren Kopf sinken ließ und auf ihre Schuhe starrte. Da ja der erste Versuch ein Gespräch zu beginnen hiermit offiziell gescheitert war, wagte ich noch einen Versuch.
„Destiny bitte verstehe das nicht falsch. Aber ich würde mich gerne mit dir treffen. Allein schon wegen der tausend Fragen die mir schon seit fünf Jahren durch den Kopf gehen. Hör mir bitte zu. Ich habe Schuldgefühle und möchte mich bei dir entschuldigen weiß aber nicht einmal wofür du eine Entschuldigung erwartest. Was sagst du? Heute um acht beim Bailey?"
Eine Ohrfeige. Eine Ohrfeige, bitte.
Hatte ich sie gerade tatsächlich in unser altes Lieblings-Café eingeladen? In das Café in dem ich sie gefragt hatte ob sie mit mir zusammen sein wollte? Eine Ohrfeige genügte glaube ich nicht. Ich sollte dringend mal wieder die Sache mit dem Small-Talk üben. Außerdem kam mir gerade in den Sinn, dass ich sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Das war eine lange Zeit. Bestimmt war sie mittlerweile eine neue Beziehung eingegangen und hatte in den letzten Jahren besseres zu tun, als an mich zu denken. Von mir und meiner Dummheit enttäuscht ließ auch ich jetzt den Kopf sinken.
Doch da hörte ich auf einmal ihre zarte Stimme an meinem Ohr flüstern: „Heute um acht beim Bailey. Komm nicht zu spät. Und nein, ich bin in keiner festen Beziehung. Bis heute Abend."Wie erstarrt blieb ich stehen und realisierte nur das kleine Zucken ihrer Mundwinkel, ehe sie erneut ihren Wagen in die Hände nahm und in die naheliegende Kasse biegt.
Und da spürte ich sie- unsere alte Verbindung, die meiner Meinung nach hätte nie unterbrochen werden dürfen.