19: Benutzt? Nein. Bestätigt!

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Wir warteten genau zwei Stunden. Dann war Abendessen und wir machten uns auf den Weg dort hin, jedoch ohne Lia. Leonardo fanden wir auch nirgendwo im Speisesaal, also mussten sie noch unterwegs sein.
Mein Magen zog sich bei der Vorstellung ein wenig zusammen, doch das war schon die ganze Zeit so gewesen, also versuchte ich es zu ignorieren, trotzdem war es unerträglich. Ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte, aber meinen Freundinnen erzählte ich es bestimmt nicht.
Nach dem Abendessen gingen wir wieder auf Lias und Lunas Zimmer und unterhielten uns noch über den Unterricht morgen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, seit Lia und Leonardo losgegangen waren. 
Nach ungefähr einer weiteren halben Stunde kam dann auch endlich Lia. Wir sahen sie alle gespannt an, doch ihren Gesichtsausdruck konnte man nicht so leicht deuten. Was war wohl passiert?

"Lia?", fragte Aurora besorgt.
"Ist alles in Ordnung?", fragte nun Luna und setzte sich auf. Lia tapste nur wie hypnotisiert zu ihrem Bett und setzte sich. Das schien nicht gut.
"Okay, Lia, du machst mir Angst. Was war denn?", sagte ich ruhig und setzte mich vorsichtig neben sie. Sie sah auf ihre Hände im Schoß und begann mit zittriger Stimme zu reden.
"Es hat alles so gut begonnen. Nachdem er mich abgeholt hat sind wir in die Stadt gegangen. Wir haben Eis gegessen und uns unterhalten. Er war total lieb und nach ein bisschen war ich auch etwas lockerer und so." Sie fing an leicht zu schluchzen. "Irgendwann haben wir dann bemerkt, dass wir das Abendessen verpasst hatten, also haben wir uns etwas in der City Passage geholt. Nachher-" Sie zog die Nase hoch. "Nachher da waren wir noch in der Schulbibliothek. Ganz hinten bei den alten Ethikbüchern, wo uns niemand stören würde. Er...er wollte mich küssen, doch-" Aurora reichte ihr ein Taschentuch und sie nahm es dankend an. Bei der Vorstellung zog sich mein Magen wieder etwas zusammen. "Doch er hat kurz vorher gestoppt und gemeint, er könne das nicht." Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Ich durchlebte gerade eine unruhige Wildwasserbahnfahrt mit meinem Körper und das nur wegen Leonardo.

"Wie jetzt?", fragte Francesca dazwischen.
"Also, er meinte, dass er mich total gern hat und ich ein tolles Mädchen sei und so, doch er könne mich jetzt nicht küssen, weil er ständig an eine andere denken muss. Er wollte so verhindern mich zu verletzen und falls er mir nun Hoffnungen gemacht habe, dann sollte ich es ihm verzeihen. Er wollte es einfach nicht wahrhaben, dass er sich verliebt hat, doch bevor er mich nun küsst und es nachher vielleicht bereut, weil er mich unnötig gekränkt hat, wollte er es mir sagen."
"Es war ihm also nicht vorher bewusst, dass er sich in eine andere verliebt hat?", meinte Leana fassungslos.
"Ja, also nein...keine Ahnung. Er meinte nur, dass ihm das durch unser Date nun deutlich bewusst geworden ist." Sie wischte sich ein paar kleine Tränen aus den Augen. Ich beneidete sie für ihre Tapferkeit in diesem Moment. Sie war wirklich eine so liebe und zierliche Gestalt und sie hatte es einfach nicht verdient. Allerdings musste ich immer daran denken, wer wohl dieses Mädchen war, in das er verliebt war. Ob das wirklich stimmte oder er das nur so sagte? Aber wenn er das nur so sagte, wieso? Fand er Lia doch blöd?

Es herrschte Stille und nachdem die Erzieherin vorbeigeschaut hatte, verteilte sich auch jeder auf sein eigenes Zimmer. Ich allerdings wollte noch mit Leonardo reden und ihn fragen, warum er Lia das angetan hatte.
"Leute, ich glaube ich habe mein Armband im Speisesaal liegen gelassen. Ich komme gleich nach. Geht schon mal vor", log ich.  
"Warte, soll ich mitkommen?", fragte Leana.
"Eh...nein! Ich mein, nein danke, ich schaffe das schon alleine. Es wird wohl nur auf dem Tisch liegen oder darunter. Ich bin ja nicht blind." 
Zügig ging ich den Gang entlang, doch anstatt die große Haupttreppe zu nehmen, ging ich weiter und nahm den Gang auf der anderen Seite zu den Jungszimmern. Leider wusste ich Leonardos Zimmernummer nicht, also fragte ich eine Gruppe von Siebtklässlern, die mir aber nicht weiterhelfen konnten. Als nächstes traf ich -leider- Carlo.
"Na sieh mal einer an, was tut denn unsere Hip Hop Queen hier? Das ist der Jungentrakt, falls du dich verlaufen haben solltest", sagte er abschätzig und sah angewidert auf mich herab.  
"Wow, toll dass du auch was weißt, aber könntest du mir einfach bitte verraten auf welchem Zimmer Amadeo wohnt?" Ich setzte ein gefälschtes Lächeln auf und sah ihn abwartend an.
"Amadeo? Interessant. Um diese Uhrzeit willst du noch zu ihm? Warum denn, wenn ich fragen darf?"
"Du darfst fragen, aber du kriegst keine Antwort", lächelte ich zuckersüß.
"Tja, dann kriegst du auch keine von mir."
"Dann eben nicht", zuckte ich mit den Schultern und ging weiter. So ein blöder, idiotischer...argh!

Ich stieß mit einem Jungen zusammen, der gerade aus einem der Zimmer kam.
"Oh sorry! Was machst du denn noch hier um diese Uhrzeit? Ist nicht schon längst "Flurverbot" bei den jeweils anderen? Moment, dich kenne ich doch. Du bist Maria stimmt's? Du bist doch eine Freundin von Francesca, right?"
"Ja, das bin ich. Bist du etwa James?"
"Yes. 100 Punkte. Also, was machst du hier?", fragte er freundlich.  
"Ich wollte zu Amadeo, doch ich weiß seine Zimmernummer nicht. Kannst du mir vielleicht weiterhelfen?"
"Klar. Nummer 124. Hier den Gang runter und dann nach links die zweite Tür rechts."
"Perfekt! Danke, James!"
"No problem! Und grüß mir Francesca." Er zwinkerte mir zu und ging dann. Ein wirklich netter Kerl, da hatte Francesca einen guten Geschmack.  

Ich ging auch weiter, bis ich das Zimmer fand. Ich klopfte und auf machte mir, wie hieß er noch gleich? Davide?
"Was willst du?", fragte er in einem nicht wirklich netten Ton.  
"Zu Amadeo."  
Er zog eine Augenbraue hoch. "Jetzt noch?"
"Sieht so aus, oder?", stellte ich ihm die Gegenfrage.  
"Ist ja gut. Amadeo du hast Besuch", sagte er ins Zimmer hinein. Leonardo tauchte im Türrahmen auf und musterte mich fragend, bis er bemerkte, dass er gar kein Shirt mehr trug. Schnell schnappte er sich eins von einem Stuhl neben ihm und zog es an. Also wegen mir hätte er es nicht unbedingt gebraucht...
"Kann ich dich mal sprechen? Allein?", bat ich.  
"Ja. Davide, ich bin gleich wieder zurück."
"Ja ja, das sagen sie alle. Bleib so lange weg wie du willst", kam es von ihm. Okay, musste ich das jetzt verstehen?

Leonardo zog mich am Handgelenk durchs halbe Internat, bis wir in unten in der Eingangshalle landeten.
"Also, was ist?"
"Es geht um Lia. Warum hast du sie zum weinen gebracht? Sie hat das doch nicht verdient!" Er seufzte, fuhr sich einmal übers Gesicht und schob mich dann in die Bibliothek. Zu dieser Zeit war ja niemand mehr hier. Zum Glück.
"Ist sie böse auf mich?"
"Nein, ich glaube eher enttäuscht." Abwartend sah ich ihn an.
"Man, aber ich wollte das doch nicht! Sie ist so ein liebes Mädchen und ich will nicht, dass sie wegen mir traurig ist! Ich mag sie ja, aber halt nicht so", verzweifelt fuhr er sich durch die Haare.
"Warum hast du sie denn dann überhaupt auf ein Date eingeladen und wolltest sie küssen? Sowas hättest du nämlich auch mit Nina abziehen können, wenn du nur wissen wolltest, dass du-" Ich stoppte mich selbst und sah Leonardo geschockt an. "Du bist doch nicht etwa in Nina-"
"NEIN! Oh Gott bloß nicht! Was denkst du denn von mir?" Seine Augen waren geweitet und er schüttelte sich. "Igitt!"
"Gut. Sonst hätte ich dich wirklich fertig gemacht, wenn du wegen Nina Lia verletzt."
"Kann ich mir vorstellen", sagte er und sah mich schon wieder so durchdringlich mit diesen wunderschönen blauen Augen an. Schnell war ich wieder in ihren Bann gezogen. Wieso funkelten sie auch so schön, immer wenn ich hinein sah?

"Und für wen brauchtest du nun die Bestätigung?", fragte ich dann ruhiger.
"Willst du das wirklich wissen?", fragte er zurück und kam einen Schritt näher.
"Hätte ich sonst gefragt?"
"Schlagfertig wie immer, was?"
"Anscheinend."
Er kam noch näher. Plötzlich hob er seine Hand und legte sie mir an die Wange. Mein Atem ging flach und meine Augen verließen nie seine. Ich sah sein Gesicht immer näher an meins kommen und als ich einmal kurz auf seine Lippen geschaut hatte, war es auch schon geschehen. Er legte seine Lippen auf meine. In mir explodierte ein gewaltiges Feuerwerk und ich war erstaunt, dass ich nicht ausflippte. Ich schloss meine Augen und genoss es. Wie lange hatte ich davon geträumt, aber nie wahrhaben wollen.  

Bald darauf löste er sich auch schon wieder und meiner Meinung nach war es viel zu schnell. Seine Stirn lag an meiner.
"Hast du also meine Freundin benutzt, nur um dir zu versichern, dass du in mich verliebt bist?" Es war fies. Gemein. Etwas, was man nicht hätte durchgehen lassen sollen.
"Benutzt klingt so, als hätte ich böse Absichten gehabt...doch das hatte ich ja gar nicht, oder?" Doch ich ließ es durchgehen, weil ich mich verdammt noch mal in diesen Jungen verliebt hatte.
"Einigen wir uns darauf, dass du einfach einen großen Fehler gemacht und dich noch rechtzeitig selbst zur Vernunft gebracht hast", sagte ich. Die ganze Zeit über sahen wir uns tief in die Augen. Seine funkelten so überaus hell und einfach nur einzigartig.
"Einverstanden." Nachdem er dies gesagt hatte, legte dieses Mal ich meine Lippen auf seine und küsste ihn somit. Wieder begann ein Feuerwerk in mir, jedoch war es sehr erleichternd und ich wollte gar nicht daran denken, meinen neuen Freundinnen vorzuspielen, Leonardo immer noch kaum zu kennen und ihn wegen Lia schief anzusehen.

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