Ich sitze an meinem Schreibtisch und schaue zum Fenster hinaus, sehe den wolkenbedeckten, grauen Himmel und drehe den Stift in meinen Händen.
Vor mir ein Blatt Papier. Lediglich sieben schwarze, untereinander geschriebene Buchstaben zieren die weiße Fläche.E R T A U B T.
Ich starre auf das Wort. Meine Sicht verschwimmt. Vom langen Starren bilden sich Tränen in meinen Augen. Ich wische sie mürrisch weg und blinzle. Irgendwann müssen die Tränen doch mal aufgebraucht sein. Ich will nicht andauernd weinen. Davon bekomme ich fürchterliche Kopfschmerzen und meine Augen schwellen an. Dann sehe ich wieder aus wie eine wandelnde Leiche mit blasser Haut, dunklen Augenringen, zerzaustem rabenschwarzem Haar und aufgeplatzten Lippen. Nicht sehr ansehnlich.
Ich erinnere mich wieder an meine Aufgabe und schraube den Deckel des Füller ab. Zu jedem Buchstaben soll ich ein Wort finden. Laut meinem Psychologen wird mir das helfen mit meiner Behinderung besser klar zu kommen. Als ob es etwas nützen würde, wenn ich Wörter auf ein weißes Blatt schreibe. Als ob es den Unfall wieder rückgängig machen könnte. Und trotzdem setzte ich den Stift an und der Füller huscht über das Papier.
'E wie Ende' prangt nun in blauer Tinte ganz oben.
Schon merkwürdig, mit dem Ende anzufangen. Aber eigentlich geht es immer nur darum. Um das Ende des Lebens. Nahezu alles, was wir tun, ist darauf ausgerichtet. Aufs Sterben, davonschweben, der Welt entgleiten, ins Gras beißen oder abkratzen.
So viele Synonyme des 'Sterbens' gibt es. So viele Wörter, die es verschönern. Und trotzdem nützt es nichts.Dem Tod entrinnt niemand. Wenigstens das ist auf dieser Welt gerecht.
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Ertaubt - Ein stummes Leben
Short Story》E R T A U B T《 Sieben tintenblaue Buchstaben. Sieben passende Wörter. Ein Schicksal. In einem stummen Leben gefangen, schreit eine gebrochene Seele verzweifelt nach Hilfe. | Doch wenn man sich selbst nicht mehr hören kann, wie sollen es dann andere...