1. Kapitel

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BIIIBOOOOBIIOBOOOOOO-
Mit der flachen Hand hämmerte ich auf die Schlummertaste meines Weckers, stöhnend wälzte ich mich auf die andere Seite.
Heute war Montag.
Ich hasste Montage.
Wie jeder normale Mensch auch.
Aber heute war kein normaler Montag. Wir würden nämlich auf Klassenfahrt fahren. Mitten in die englische Pampa, keine Ahnung wohin.
Es soll wohl sehr schön da sein, meint jedenfalls unser Klassenlehrer Steini.
Eigentlich heißt er Steinmeier, aber alle nennen ihn Steini, sogar seine Kollegen. Dann wird er immer ganz rot im Gesicht, wie eine Tomate.
BIIIBOO-
„dämliches Kackteil", fluche ich, als ich aus meinem verlockend warmen und gemütlichen Bett wanke.
Am Türrahmen stoße ich mir die Schulter, wie fast jeden Morgen.

Nachdem ich mir die Zähne geputzt und mich angezogen hatte, platzte ich in die übliche „Gute-Morgen-Szene" hinein: Meine beiden Schwestern saßen auf dem Sofa und sahen fern, Papa rannte in Boxershorts durchs ganze Haus, auf der Suche nach einer passenden Hose, Mama stand gestresst in der Küche, und der riesige Bernhardiner Hund Steve saß auf einem Stuhl und schlabberte meine Cornflakes. „Guten Morgen, alle", brüllte ich gegen den Lärm in den Raum hinein.
„Guten Morgen, Steve", begrüßte ich auch den Hund. Aber er antwortete nicht. Genauso wenig wie alle anderen in diesem Raum. Da freute man sich doch jedes Mal wieder aufzustehen!
Resigniert seufzte ich auf und schob den Klops aus Fell, Muskeln und Zähnen von meinem Stuhl.
„Mama", sagte ich, „Steve frisst mein Frühstück!" Anklagend zeigte ich auf den Hund.
„Das hab ich dir ja gesagt! Du musst strenger mit ihm umgehen. Das ist ein Hund, der braucht Disziplin. Du musst ihm zeigen, wer der Herr ist!" Papa rauschte an mir vorbei, immer noch ohne Hose bekleidet, wohlgemerkt.
Also schlurfte ich zum Kühlschrank, machte ihn auf, um ihn dann fünf Sekunden später wieder zu zuschlagen „Mama", sagte ich, „Da liegt ein toter Frosch im Kühlschrank." Vor dem Fernseher hörte ich Luisa und Sara kichern.
„Gabe, ich hab grad' wirklich keine Zeit, erzähl's mir später, okay?"
„Mmh", machte ich, „später bin ich aber auf Klassenfahrt."
Mama hastete an mir vorbei.
Also ging ich zur Obstschale und nahm mir einen Apfel.

Als Papa endlich fertig war, brachte er mich dann doch noch zur Schule. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass wir fünf Minuten zu spät kamen. Viereinhalb Stunden würden wir fahren, dementsprechend hatte ich elf Schokoriegel mit.
Ich saß am Fenster, direkt neben meinem Freund Adam, der mir gerade die Ohren mit der Geschichte des Ortes zulaberte, wo wir hin fahren
würden.
Ich gab mir wirklich Mühe interessiert zu wirken. Wirklich. Stattdessen weilte ich in Gedanken bei meiner Schokolade. Und bei anderen Dingen.
„In fünf Minuten geht es endlich lohoos", trällerte der alte Steini endlich durch das Mikrofon des Busses.
Er ist halb taub, weshalb er die nervige Angewohnheit hat, die Schüler förmlich anzubrüllen. Mit fatalen Folgen, wie ich jetzt bemerkte, denn ich saß direkt unter dem Lautsprecher.
„Nach gut viereinhalb Stunden werden wir unser Ziel erreichen.
Das kleine Städtchen  Betws- y- Coed in Wales.
Der ideale Ort für lange, ausgedehnte Wanderungen, interessante Museen und alte Burgen und Schlösser, die noch aus der Zeit des Mittelalters stammen sollen."
Das Stöhnen der ganzen Klasse hallte in meinen Ohren, wurde dann aber wieder lautstark von Steinis Stimme übertönt.
„Ruhe, ich würde euch nun bitten, euch anzuschnallen und den Sicherheitsfilm zu schauen."
Vorne schaltete sich ein Gerät von der Größe und Dicke eines Ziegelsteines ein. Es lief wohl unnützes Zeug, niemand sah hin.
Stattdessen wühlte ich in meinem Rucksack nach Handy, Kopfhörern und zwei Schokoriegeln.
Der Bus hatte sich in Bewegung gesetzt und düste nun an Häusern, Bäumen, Kindern, Hunden und Kindern mit Hunden vorbei, unserem Ziel entgegen. Einem kleinen Dorf, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte.
Ich stöpselte mir die Kopfhörer in die Ohren und schloss so Adams Geschwafel neben mir aus.
Am liebsten hörte ich Klassik.
Ja Klassik.
Ich liebte den Rausch dieser Musik, der meinen Geist jedes Mal auf Reisen schickte.
Fort vom stressigen Alltag eines Schülerlebens.
Mittlerweile hatten wir unseren kleinen Heimatort hinter uns gelassen.
Die grüne, hügelige Landschaft Englands raste am Fenster vorbei und plötzlich ahnte ich, dass diese Klassenfahrt ganz anders verlaufen würde, als wir alle im Moment dachten.
Dieser Gedanke schoss mir jedes Jahr durch den Kopf.
Passend dazu dudelte gerade Rachmaninow in meinen Ohren.

Kalt wie EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt