Gehetzt wie ein kleines Tier in der Klemme laufe ich durch die Gänge meiner Schule. Es ist Pause und es ist schrecklich voll. Überall schreien Schüler, schubsen oder essen Brötchen aus der Cafeteria.
Ich halte meinen Blick gesenkt und quetsche mich durch die Menschenmenge. Mein Herz rast und mir ist unglaublich schlecht. Mein Gesicht muss knallrot sein, so wie es sich anfühlt.
Ich will hier raus. Ich will hier weg. Ich will alleine sein.
Etwas weiter vor mir sehe ich meine Klassenkameraden, denen ich unauffällig folge. Hoffentlich drehen sie sich nicht um und schauen mich an oder fangen gar an mit mir zu reden. Wir sind auf dem Weg zu den Fachräumen der Naturwissenschaften.
Wir haben jetzt Chemie, was mich gar nicht freut, denn dort macht man zu viele Experimente, die mit Gruppenarbeit verbunden sind. Ich hasse Gruppenarbeiten aus einem Grund, der inzwischen wahrscheinlich schon klar geworden ist; ich hasse Menschen. Genauer gesagt hasse ich die Menschen an sich nicht, wie könnte ich, doch ich hasse es mit anderen Menschen zu reden, ich hasse es von ihnen angeschaut zu werden und ich hasse es zwischen Vielen zu stehen.
Ich komme vor dem Raum an. Hier müssen wir warten, bis unser Chemielehrer uns herein lässt. Jetzt kann ich zum Glück endlich meine Tasche abstellen. Keine Ahnung, warum die so schwer ist. Ich kann mich nicht erinnern Steine hinein getan zu haben.
Nun mache ich mich, wie jedes Mal, auf den Weg zu den Toiletten. Nicht, dass ich wirklich auf die Toilette muss oder es dort schön finde (die sind vermutlich genauso eklig, wie alle anderen Schultoilette auch...), sondern sie geben mir den Luxus von Einsamkeit.
Das muss jetzt schrecklich gestört rüberkommen, aber ich schließe mich hier ein und warte, bis der Unterricht beginnt. Ich muss dann genau den Zeitpunkt erwischen, wo die anderen Schüler mich am wenigsten bemerken. Das ist meistens der Fall, wenn ich als Letzte den Raum betrete, ohne eine große Lücke zwischen dem Vorletzten zu lassen. Wenn ich nämlich viel zu spät komme, sind alle Augen auf mich gerichtet.
Regelmäßig schaue ich auf die Uhr meines Handys, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Als es dann soweit ist, flitze ich nach Plan in die letzte Reihe und packe meine Sachen aus.
Die Stunde geht doch schneller (und ohne Gruppenarbei) vorbei, als ich dachte. Ich habe mal wieder kein einziges Wort gesagt. Oh Mann, ich will nur nicht an meine mündliche Note denken.
Als ich dann den Chemieraum verlasse, stehen ein paar aus meiner Klasse noch davor. Es sind sieben große Jungen, die alle die gleiche Frisur haben. Auch angezogen sind sie zum verwechseln ähnlich. Ich habe mir aber auch noch nie die Mühe gemacht sie zu unterscheiden.
Ich weiß, was jetzt passieren wird. Sie machen das öfter.
Mit einem fiesen Grinsen auf dem Gesicht kommen sie näher. Immer näher. Sie bilden einen Kreis um mich, kommen auf mich zu und schauen ich an.
Ich kann nicht anders, als meine Schultern hochzuziehen. Aufblicken oder etwas sagen kann ich nicht.
Etwas schrecklich Unangenehmes fesselt mein Herz. Ich muss heftig schlucken. Mir ist so schlecht, dass ich glaube mich jeden Moment übergeben zu müssen.
Sie sollen gehen. Ich will nichts mit ihnen zu tun haben. Ich will niemanden in meinem Leben haben. Ich will nur alleine sein.
Sie sind mir so nah. Plötzlich streckt der Typ vor mir seine Hand aus und droht mich anzufassen. Mein Herz rast.
Ich mache instinktiv einen Schritt zurück und stolper in einen anderen Jungen hinein.
Er hält mich -wohl genauso instinktiv wie ich einen Schritt nach hinten gegangen bin- fest. Mein Atem stoppt, dann explodiere ich.
Ich drehe mich abrupt um und schlage ihn ins Gesicht. Er zuckt erschrocken und mit schmerzverzerrten Gesicht zurück und hält sich mit der Hand die getroffene Stelle. Als er sie weg nimmt, sehe ich Blut aus seiner Nase laufen.
Ich bin mindestens genauso geschockt über meine Reaktion, wie er und kann nicht glauben, was ich gerade getan habe.
Am liebsten würde ich mich nun selber schlagen. Was habe ich getan? Wie kann ich es wagen ihn zu schlagen?
Mich zu schlagen muss ich aber gar nicht selber übernehmen, denn ein anderer Junge holt plötzlich aus und haut mir mit der Faust ins Gesicht. Ein heftiger Schmerz beginnt an der Stelle, wo er mich getroffen hat, zu pochen.
Nun holt auch ein anderer aus. Ich sinke auf den Boden und hocke dort zusammengekauert, während die Jungen auf mich eintreten. Doch welches Recht habe ich zu reagieren. Ich habe angefangen zu schlagen. Ich bin nichts wert.
Eine klitzekleine Träne rollt mir die Wange hinunter. Schnell wische ich sie weg. Wer hat gesagt, dass ich weinen darf?
Irgendwann verschwinden sie und lassen mich zurück. Mein ganzer Körper schmerzt und mein Herz tut es auch. Trotzdem will ich keine Emotion zeigen.
Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und stehe auf. Mit meiner Schultasche in der Hand- auf dem Rücken würde sie mich umbringen- gehe ich auf den Ausgang der Schule zu. Alle anderen sind schon gegangen und das Schulgebäude ist angenehm ruhig und verlassen. Zum Glück war die Chemiestunde die letzte Stunde dieses Tages.
Ich hole mein Fahrrad und mache mich auf den Weg nach Hause. Der Wind kühlt meine erhitzte Haut und beruhigt mich etwas.
Ich beginne darüber nachzudenken, was passiert ist. Wenn man mich nicht sehen würde, würde ich niemanden stören und allein leben können, so wie ich es immer will.
Wenn ich unsichtbar wäre, wären alle Probleme gelöst.
Die Ampel zeigt mir nun das grüne Männchen an und ich fahre auf eine Kreuzung.
Ja, ich will nichts lieber, als unsichtbar zu sein.
Plötzlich höre ich das Quitschen von Bremsen, das viel zu nah ist. Ich blicke in die Richtung des Geräusches. Ein Auto fährt schlingernd auf mich zu, während es versucht noch rechtzeitig zu bremsen. Mein Körper ist in einer völligen Starre gefangen. Ich kann mich nicht bewegen. Das Auto scheint in Zeitlupe näher zu kommen. Mir hallt noch mein letzter Gedanke durch den Kopf, bevor mich das Auto erwischt.
Ich will nichts lieber, als unsichtbar zu sein.
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See Through Me
FantasyWas, wenn deine Träume wahr werden? Was, wenn sich herausstellt, dass es Albträume sind? Ottilie ist sehr schüchtern und wünscht sich unsichtbar zu sein. Ihr Wunsch geht in Erfüllung, als sie in einen Unfall gerät. Wird sie das, was sie sich erhofft...