Ich blinzele ein paar Mal und dann sehe ich eine blaue Fläche über mir, auf die wohl ein paar lilane Tupfer gemalt worden sind. Wo bin ich?
Ich reiße meine Augen ganz auf. Der Himmel! Es ist der Himmel, den ich sehe!
Vorsichtig setze ich mich auf und stelle fest, dass ich mitten auf einer Straßenkreuzung liege. Es dämmert schon, weshalb der Himmel sich langsam verfärbt.
Wie bin ich hier her gekommen? Ich sehe mich um. Die Straßen sind von alten Bäumen gesäumt und die Gehwege mit viel Sorgfalt gefegt. Die Kreuzung kommt mir irgendwie bekannt vor. Doch wieso?
Es schien, als läge ein Schleier auf meinem Gedächtnis. Ich fange an in Panik zu geraten.
Um mich zu beruhigen sage ich alles was mir über mich einfällt auf.
"Ich heiße Ottilie. Meine Mutter heißt Simone und ist eine extrem beschäftigte Architektin. Mein Stiefvater heißt Torsten und ist Chef in einer Textilfabrik. Ich wohne in einem Haus, dass-" Plötzlich fällt mir etwas auf. Ich kenne diese Gegend, weil ich hier in der Nähe wohne!
Plötzlich kommen alle Erinnerungen wieder.
Die anderen Schüler, der Weg nach Hause und das Auto. Das Auto!
Hektisch schaue ich an mir herunter und taste mich ab, um zu schauen, ob ich verletzt bin. Doch ich fühle mich total gesund und wohl. Verwundert halte ich nach meiner Schultasche und meinem Fahrrad Ausschau. Doch sie sind nicht mehr da!
Wo ist überhaupt der Autofahrer hin? Hätte er nicht nach mir sehen sollen und mich nicht einfach liegen lassen, nachdem er mich angefahren hat?
Was geht hier vor sich?
Mir fällt auf, dass ich ja immer noch mitten auf der Straße liege. Zum Glück ist sie normalerweise nicht sehr stark befahren.
Ich rappele mich auf. Ich fühle mich etwas benommen, wie nach einem sehr sehr langen Schlaf, doch Schmerzen spüre ich keine.
Plötzlich fällt mir etwas auf. Auf dem Boden, genau an der Stelle, an der ich gerade saß, befindet sich ein großer Blutfleck! Erschrocken schaue ich nochmal an mir hinab. Nichts. Keine Verletzung, kein Blut. Seltsam.
Wo kam das Blut dann her?
Warum verdammt gibt es so viele Fragen?
Und warum komme ich auf keine Antworten?
Vielleicht sollte ich nach Hause gehen und mich erstmal beruhigen. Ich gehe von der Straße auf den Bürgersteig und schlage mir gegen die Stirn, als mir auf einmal einfällt, dass mein Schlüssel in meiner Schultasche ist, die verschwunden ist. Das darf doch jetzt nicht wahr sein!
Meine Eltern arbeiten beide bis spät Abends, denn sie haben Berufe, die viel Zeit beanspruchen. Und sie sind extrem vernarrt in ihre Arbeit, besonders meine Mutter.
Wo soll ich also hin? Auf keinen Fall unter Menschen, aber wo keine Menschen sind gibt es auch nichts zu essen oder Stühle, um sich hinzusetzen.
Ich hocke mich hin und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Am liebsten würde ich jetzt weinen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich einfach auf dem Boden hocke und darauf hoffe, dass niemand vorbei kommt, fällt mir das Cafe auf der anderen Straßenseite meines Zuhauses ein.
Dort ist kaum jemand zu Gast und es ist ein kleiner, etwas dunkler Raum, in dem man sich gut verstecken kann.
Die beste Möglichkeit, die ich zur Zeit habe, also.
Ich atmete ein paar Mal tief durch und mache mich dann vorsichtigen Schrittes und mit gesenktem Kopf auf den Weg.
Ein paar Mal kommen mir Passanten entgegen, denen ich versuche bestmöglich auszuweichen, doch sie scheinen mich gar nicht zu sehen.
Dann habe ich endlich das Cafe erreicht. Es ist in einem sehr schönen alten Haus und strahlt eine gemütliche Atmosphäre sogar bis nach draußen auf die Straße.
Ein zartes Klingeln ertönt, als ich ganz langsam die Türe öffne.
Mir stockt der Atem, als ich sehe, dass die Gäste alle zu mir schauen. Es ist, als könnte ich nicht mehr atmen. Doch dann fällt mir auf (ich weiß auch nicht, wie ich es schaffe in dieser Situation überhaupt etwas zu erkennen), dass sie alle nicht mich, sondern die Türe verwundert anstarren.
Schnell flitze ich geduckt hinein und setze mich an den Platz am weitesten weg von anderen Menschen.
Mit eingezogenem Kopf versuche ich meinen Atem wieder in den Griff zu bekommen.
Dann schaue ich mich um. Wenn dieses Cafe leer wäre, wäre es traumhaft. An den Wänden stehen Bücherregale bis zur Decke, voll von spannenden Geschichten, die einen in ihre Welten einladen. Im Raum verteilt stehen kleine runde Tischchen mit süßen Spitzendecken und kleinen Blumen in zierlichen Vasen darauf. Um die Tische sind gemütliche Sessel angeordnet, in denen man regelrecht versinken kann.
Außerdem steht dort ein Klavier. Es ist aus Holz und sieht aus, als hätte es schon einige Jahre hinter sich. Aber irgendetwas an ihm ist wunderschön.
Es gibt hier nur leider keine Uhr, weshalb ich nicht genau weiß, wann meine Eltern nach Hause kommen werden. Nach der Urzeit fragen werde ich aber natürlich nicht.
Wenn es draußen dunkel ist, werde ich mich auf den Weg machen und mal nachsehen, ob jemand zuhause ist.
Die Kellnerin bringt zwei älteren Damen gerade Kuchen und Kaffee. Es ist Zwetschgenkuchen, ich kann es genau sehen, so wie ich auch den köstlichen Geruch des Kaffees in die Nase bekomme. Mein Magen beginnt zu grummeln. Die Kellnerin wird einen erstaunten Blick in meine Richtung, kommt aber nicht her um die Bestellung aufzunehmen. Nicht, dass es mich stört, es wundert mich nur.
Ist etwas seltsam an mir? Auch als ich reingekommen bin, haben alle in meine Richtung geschaut. Ich sinke noch tiefer in den Sessel und verstecke mein Gesicht hinter meinen langen weiß-blonden Haaren.
So sitze ich eine Weile in einem weichen Sessel in der gemütlichen Wärme des Cafés, ohne das mich jemand stört und warte darauf, dass es hinter den Fenstern des Cafés dunkel wird.
Zumindest bis mir langsam aber sicher die Augen zufallen.Als mein Kopf etwas schmerzhaft auf die Tischplatte knallt, wache ich wieder auf. Erschrocken setze ich mich kerzengerade hin. Ich bin jetzt nicht hier eingeschlafen oder? Bitte nicht! Unter all den Menschen!
Ich schaue zu dem Tisch der beiden älteren Damen hinüber und muss feststellen, dass sie nicht mehr da sind. Genau wie alle anderen Gäste.
Und genau wie die Kellnerin.
Was ich auch feststelle, ist, dass es draußen inzwischen stockdunkel ist.
Ich springe auf und renne zur Tür. Sie ist abgeschlossen! Wie konnte das passieren? Und wieso brennt noch ein Licht?
Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand, doch ich will es nicht wahrhaben. Ich wurde, aus welchen seltsamen Gründen auch immer, übersehen und eingeschlossen. Das Licht brennt, um Einbrechern vorzutäuschen hier wäre jemand.
Aber das kann doch nicht sein! Ich rüttele noch einmal an der Tür, doch sie ist definitiv abgeschossen.
Ich habe das Gefühl gleich wirklich in Panik auszubrechen.
Ich gehe zu dem Fenster links von der Tür und will hinaus schauen, als ich plötzlich etwas sehe, was mich fast zu Tode erschreckt.
Besser gesagt etwas, was ich nicht sehe. Nämlich mein Spiegelbild.
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See Through Me
FantasyWas, wenn deine Träume wahr werden? Was, wenn sich herausstellt, dass es Albträume sind? Ottilie ist sehr schüchtern und wünscht sich unsichtbar zu sein. Ihr Wunsch geht in Erfüllung, als sie in einen Unfall gerät. Wird sie das, was sie sich erhofft...