Kapitel I - Die Geburtstagsparty meiner Schwester

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„Happy Birthday to you. Happy Birthday to you.", sangen zehn Mäuler mehr oder minder im Einklang. Es regnete draussen bereits ziemlich heftig, doch die heitere Stimmung in unserer Küche konnte dadurch nicht getrübt werden. Unsere Eckbank war gefüllt mit Verwandten und auch auf den Stühlen sassen bekannte Gesichter, welche heissen Kaffee schlürften, sich an der Geburtstagstorte gütlich taten und einen herzhaften Schwatz über allerlei Themen hielten. Von der Politik über Gartenarbeit bis hin zu Erlebnissen auf der Jagd war alles dabei. Ich sass in mitten meiner Verwandten und Bekannten und blickte ununterbrochen auf die Uhr, welche über dem Kopf meines Cousin an der weiss gestrichenen Küchenwand hing. Irgendwie war ich unruhig – beinahe schon nervös. Als ich zum wahrscheinlich tausendsten Mal auf die geschnitzte Uhr über seinem Kopf guckte, erkundigte sich mein Cousin nach meinem Befinden. Zwar hatte ich ihn bereits etliche Mal gefragt, ob er auch in die Garage mitkomme, denn alleine wollte ich nicht gehen. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht gehen, doch irgendetwas schien mich zu rufen. Es zog mich zur Garage, doch weshalb konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Sehr zu meinem Erstaunen willigte mein Cousin nun doch ein und wir streiften uns unsere Jacken über, gingen die Treppen herunter, verliessen das Haus und legten die wenigen Meter im nicht mehr allzu starken Regen bis zur Garage zu Fuss zurück. Selbst draussen vor der Garage vernahm man die Musik von drinnen noch klar und deutlich. Meine Schwester feierte ihren Geburtstag in der Garage, während meine Mutter den ihrigen oben in der Küche zelebrierte. Ich fand es bereits von klein auf amüsant, dass meine Schwester und meine Mutter am selben Tag das Licht der Welt erblickten - wenn auch nicht im gleichen Jahr, versteht sich. Wir betraten die Garage und grüssten die anderen Gäste spartanisch, ohne sie direkt anzuschauen. Ich kannte ja den Freundeskreis meiner Schwester bereits. Als ich die Getränke erspähte, lief ich geradewegs zu diesen hin, schenkte mir einen grossen Plastikbecher mit Eistee ein und setzte mich am unteren Ende des Tisches hin. Ich schwieg und widmete mich meinen Gedanken.

Diesen Abend lang wollte ich ganz ich selbst sein. Warum ausgerechnet an diesem Abend war mir schleierhaft, vielleicht war ich zu müde, um mich zu verstellen oder die „übliche Show" abzuziehen. Ich liess meine Gedanken bereits ein Weilchen schweifen und beachtete die anderen Feiernden am Tisch nicht. Geistesabwesend biss ich immer wieder von meinem Küchlein ab, welches ich von einem Teller genommen hatte, der mitten auf dem Tisch platziert war. Schliesslich nahm ich einen grossen Schluck aus meinem Becher und liess meinen Blick ans andere Tischende gleiten. Da sass diese Person, welche ich nicht kannte, mit einem Lächeln und mit Augen, die mir sofort klar machten, dass es sich lohnen wird, diese Person kennenzulernen. Sie bemerkte nicht, dass meine Augen auf sie gerichtet waren, weil sie sich gerade intensiv mit ihrer Kollegin unterhielt. Ich nutzte die Gunst der Stunde und blickte noch einmal tief in ihre schokoladenbraunen Augen. Ihr Lachen war mindestens genauso süss wie die Glasur auf dem angebissenen Küchlein, das immer noch vor mir lag. Mit einem Mal wusste ich, dass es sich gelohnt hatte, hinunter in die Garage zu kommen. Seelisch immobilisiert durch ihre Art zu lachen, trank ich den Rest des Eistees in meinem Plastikbecher mit einem Ruck aus. Ich erhob mich und ging auf den Tisch zu, auf welchem die Flaschen und Kartons mit den verschiedensten Getränken darin standen. Ich füllte mir Eistee nach, lehnte mein Gesäss sanft gegen die Tischkannte und musterte die anderen Anwesenden – zum ersten Mal nachdem ich bereits vor zwanzig Minuten an der Party erschienen bin – etwas genauer. Meine Schwester Naomi hatte es sich gemeinsam mit ihrem Freund auf den Sitzsäcken bequem gemacht, die zwischen unserem Tisch und der Eingangstür des Garagentors verteilt lagen. Auch ihre beste Freundin und noch ein anderer Junge, welchen ich nicht kannte, hielten sich abseits des Tisches in Bodennähe auf. Beide lagen auf einer Luftmatratze und leisten meiner Schwester und ihrem Freund Gesellschaft. Alle vier blickten gespannt auf die Displays ihrer Smartphones und lauschten der Musik, die aus einer Box strömte. Über was sie sich unterhielten, konnte ich nicht ausmachen. Mein Cousin schien ziemlich rasch die Lust an dieser Geburtstagsparty verloren zu haben, denn nach nicht allzu langer Zeit fehlte jede Spur von ihm in der Garage. Auf der einen Seite des Tisches sass eben diese Person, welche mich so sehr in ihren Bann zu ziehen vermochte – ihr Name lautete Stella - und direkt neben ihr ein anderes Mädchen; sie war, insofern ich dies richtig beurteilen konnte, ihre beste Freundin, ihr Name war Carol. Beide unterhielten sich mit meiner kleinen, blondhaarigen Cousine, welche vis-à-vis von ihnen auf der anderen Tischseite sass. Meine Cousine, Diana, sprach wie immer ohne Punkt und Komma – dies lag in der Familie – und gestikulierte wild mit den Händen und Armen – auch dies war unserer Familie eigen, weshalb man uns oft italienische Wurzeln zuschrieb. Den beiden anderen Mädels schien jedoch zu gefallen, was meine Cousine von sich gab, denn beide kicherten immer wieder. Es interessierte mich brennend, über was sie sich unterhielten, doch vom Tisch mit den Getränken aus, konnte ich höchstens einen Gesprächsfetzten aufnehmen. Ich wollte Stella mit den verführerisch braunen Augen näher kennen lernen, weshalb ich mich kurzerhand dazu entschied, mich neben meine Cousine zu setzten und zu hoffen, dass diese mich auch in deren Unterhaltung verwickeln würde. Sie tat es – und wie! Sie war der beste Eisbrecher, den man sich hätte vorstellen können. Ich blühte auf, begann zu spassen, zu erzählen und zu lachen, aber vor allem blieb ich ganz ich selbst und musste mich in keinster Weise verstellen. In Windes Eile realisierte ich, wie unterschiedlich Stella und ihre beste Freundin waren. Carol redete pausenlos auf mich ein, hauptsächlich lästerte sie über ihre Schule. Den Rest bekam ich nicht wirklich mit, da ich nach einer gewissen Zeit auf Durchzug stellte und lediglich noch gedankenversunken nickte. Mein Fokus lag ganz auf Stella. Sie war eher schüchtern und zurückhaltend, doch irgendwie fand ich ihre Art süss. Sie sass auf der Bank, hatte ihre Hände entweder auf ihren Oberschenkeln oder auf der Tischplatte und lächelte, als wäre sie in einem Fotoshooting. Keine Worte dieser Welt hätten meine Seele mehr berühren können oder mein Herz schneller zum Schlagen bringen als ihr Lächeln. Jedes Lächeln brachte ihre ganze, natürliche Schönheit zum Vorschein und mich dünkte, dass sie mit jedem einzelnen Lächeln noch hübscher wurde. Nach jedem ihrer Lächeln prophezeite ich, dass sie nicht noch schöner werden konnte, doch jedes ihrer Lächeln strafte mich Lügen. Immer wieder versuchte ich, eine Unterhaltung mit Stella zu starten, doch jeder meiner Versuche wurde von ihrer besten Freundin abgefangen. Zwar waren meine Fragen an Stella gerichtet, doch beantwortet wurden sie von ihrer besten Freundin. Nach einer gewissen Zeit und etlichen erfolglosen Versuchen glückte es mir doch noch, mich mit ihr zu unterhalten. Wir verstanden uns ab dem ersten Satz und der Abend wurde immer besser, bis sie begann, von ihrem Freund zu erzählen.

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