Kapitel 3 - Mail-Kontakt

18 0 1
                                    

Die Hausaufgaben waren erledigt und ich klickte noch ein wenig im Netz herum. Ich recherchierte die neusten Sportresultate, lud mir den einen und anderen Song herunter und loggte mich schliesslich auf „Wattpad" ein. Der Sonntagabend war noch jung, doch ich war bereits etwas schläfrig und wusste, dass der Montagmorgen schneller vor der Tür stehen würde, als es mir lieb war. Ich musste nicht mehr lange zur Schule bis zu meinem Abschluss und es kam selten vor, dass ich an einem Abend „nichts zu tun" hatte. Eigentlich wollte ich ins Bett gehen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Ich konnte nicht ahnen, was es war und weshalb es dies tat. Ich überflog meine Geschichten, welche ich auf „Wattpad" veröffentlicht hatte und prüfte mein Profil auf dessen Aktualität. Mein Blick schwenkte nach rechts und ich entdeckte Stellas Profilbild, welches seit der Geburtstagsparty meiner Schwester bei meinen Follower anzutreffen war. Unerklärlicher Weise hatte ich dies gänzlich vergessen. Als ich dann schliesslich auch noch feststellte, dass sich „Wattpad"-Benutzer gegenseitig Nachrichten zukommen lassen konnten, war ich vor Aufregung schier vollumfänglich aus dem Häuschen. Ich hätte bereits die ganze Zeit mit Stella Kontakt aufnehmen können! Ich ärgerte mich fürchterlich, dass ich diese Möglichkeit erst jetzt wahrnahm, doch freute mich gleichzeitig unheimlich, endlich einen Weg gefunden zu haben, um mit ihr in Kontakt zu treten. Die Geburtstagsparty war bereits seit einigen Monaten Geschichte und seit ich sie das letzte Mal sehen durfte waren ebenfalls einige Wochen vergangen, doch Stella war in meinem Kopf geblieben. Ich konnte sie nicht vergessen; sie war immer in meinem Hinterkopf präsent.

Ich starrte einige Zeit lang auf den Bildschirm, welcher den dunklen Raum mit einem artifiziellen Licht bemäntelte. Sollte ich ihr tatsächlich schreiben? Was wenn sie nichts von mir wollte? Was wenn ich mir wieder einmal alles eingebildet hatte und sie ihren Kopf gar nicht zu mir gedreht hatte und es das verlegene Lächeln nie gegeben hatte? Ich hob meine Finger von der Tastatur und presste verunsichert Luft zwischen meinen fast geschlossenen Lippen hindurch. Was hatte ich zu verlieren? Was gab es zu gewinnen? Urplötzlich machte sich Mut in meiner Seele breit. Vergleichbares hatte ich noch nie zuvor erlebt. Ich hatte nichts zu verlieren, dafür gab es eine Beziehung zu gewinnen. Eine Beziehung mit Stella! Allein die blosse Vorstellung fesselte mich vollkommen und in meiner Fantasie war ich bereits ihr Freund und ich stellte mir vor, was ich alles mit ihr unternehmen würde. Vor lauter Tagträumerei vergass ich beinahe, dass ich ihr eigentlich schreiben wollte. Ich strahlte bis über beide Ohren und tippte, ob sie Lust hätte mit mir zu schreiben, falls ihr langweilig sein sollte und fügte meine E-Mail-Adresse hinzu. Ich war reichlich nervös, als ich die Nachricht – nachdem ich sie mindestens zwanzig Mal durchgelesen hatte, um sicherzustellten, dass sie grammatikalisch korrekt war und auf keinen Fall aufdringlich verfasst wurde – endlich abschickte. Ob sie in den nächsten Tagen zurückschreiben würde, hoffte ich heimlich doch fest.

Es vergingen keine drei Minuten, bis eine Antwort in meinem Posteingang zu finden war. Ungläubig und etwas skeptisch blickte ich auf den Monitor. Ich hatte mich eben gerade auf „Wattpad" ausgeloggt und mich bei meinem E-Mail-Konto angemeldet und bemerkte, dass ich eine neue Nachricht empfangen hatte. Ursprünglich hatte ich vor, zu kontrollieren, ob eine Lehrperson oder ein Mitschüler bzw. eine Mitschülerin mir eine E-Mail betreffend einer Hausaufgabe oder ähnlichem verschickt hätte. Niemals hätte ich erwartet, dass sie sich derart schnell bei mir meldet. Diese Begebenheit rettete mir diesen an für sich langweiligen Sonntagabend und überraschte mich durchwegs positiv. Stella antwortete, dass ihr tatsächlich langweilig gewesen sei und sie mein Angebot annehmen würde. Wir schrieben denn ganzen Abend und auch den ganzen Montagabend. Ja, wir schrieben buchstäblich an jeden Abend in dieser Woche. Die verschiedensten Themen fanden Eintritt in unsere schriftliche Konversation: Der Sinn des Lebens, Wiedergeburt, Religion, Drogen, Kriminalität im Dorfladen, die Fussballweltmeisterschaft, usw. Wir unterhielten uns über Feriendestinationen, welche wir anderen empfehlen würden. Wir erklärten, weshalb wir welches Tier so toll finden. Wir tauschten uns über unsere Lieblingsfilme, -bücher und -musik aus. Auch unsere Hobbys und die Tatsache, dass wir beide romantisch veranlagt waren, wurden Teil unserer Mail-Kommunikation. Sogar unsere Lieblingsschulfächer waren ein Gesprächsthema. Bereits nach wenigen Mails wusste ich, dass sie anders ist, als alle anderen Frauen, mit welchen ich bisher in meinem Leben zu tun hatte. Auch unsere Unterhaltung per Mail war anders; wir scherzten und doch behandelten wir auch ernsthafte Angelegenheiten. Alles war so herrlich ungezwungen, so natürlich und frisch, eine richtige Wohltat. Praktisch von Beginn weg lagen wir auf einer Wellenlänge und verstanden uns prächtig für zwei Personen, die sich erst einmal in ihrem Leben getroffen hatten. Ich konnte ich selbst sein und musste mich nicht verstellen. Dies war für mich nicht selbstverständlich, denn es gab genügend Menschen, die versuchten, mich zu verändern und denen mein Charakter ein Dorn im Auge war. Deshalb genoss ich es umso mehr, mit Stella zu schreiben und dabei ganz ich selbst sein zu dürfen. Endlich dürfte ich es, endlich konnte ich es! Verstanden und gemocht fühlte ich mich von ihr und mich ihr ebenso tief verbunden, was sich durchaus auch seltsam anfühlte, schliesslich kannte ich sie kaum und doch hegte ich eben dieses Gefühl, dass ich sie bereits viel länger kannte als eine Hand voll Abende.

Unser erstes Date sollte ein Kinobesuch sein, weshalb ich mich nach einem geeigneten Film umschaute. Es lief „A Million Ways to Die in the West", welcher meiner Meinung nach gut passte, um ihn bei einem ersten Date zu geniessen, denn er war zum einen witzig und zum anderen hatte er auch den einen oder anderen romantischen Moment, liess ich mir sagen. Ich traute mich, sie zu fragen, ob sie mit mir irgendwann einmal Lust hätte ins Kino zu gehen. Sie willigte sofort ein, fügte jedoch hinzu, dass es ihr erst wieder ab dem Wochenende möglich sei, abends auszugehen, da sie die ganze Woche arbeiten müsste. Wenige Tage später schrieb sie mir und informierte mich darüber, dass der Film, welchen wir gerne sehen würden, am Wochenende in einem nahe gelegenen Kino ausgestrahlte würde. Sie bot mir mehrere Optionen an, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit wir unseren Kinobesuch verwirklichen könnten. Ich war sprachlos, als ich diese Mail von ihr las. In meinem bisherigen Leben war es beinahe ausgeschlossen, dass eine Frau Eigeninitiative zeigte, wenn es um ein Date oder ähnliches ging. Ich kannte ein solches Verhalten einer Frau nicht. Es stimmte mich allerdings fröhlich, dass ich mein Frauenbild positiv ändern konnte. Es gab dieses Verhalten tatsächlich. Es gab Frauen, die sich auch um Dates bemühten. Wir vereinbarten den Tag, die Uhrzeit und den Ort, an welchem ich sie abholen durfte. Ich fieberte während der ganze Woche diesem Date entgegen und konnte vor Aufregung beinahe keinen Schlaf mehr finden – vor allem am Abend vor dem grossen Tag. Endlich würde ich diese Person wiedersehen.

Our MomentsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt