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11 September 2011, Anfang der 01 Sitzung, 13:04 Uhr

"Setz dich." Ich weise dem neuen Patienten einen Sessel zu. Ohne jedliche Motivation lässt dieser sich in den aus Weiden geflochtenen, tiefen Sessel fallen. Breitbeinig sitzt er dort, mit sichtlich gelangweiltem Blick und Kaugummi im Mund.
Derweil er sich in meinem Therapie-Zimmer umschaut, suche ich die noch spärliche Akte des Neulings.
"F... Fff. F!" Murmel ich leise vor mich her, ziehe dann die blaue Pappe-Mappe aus der zweiten Schublade von oben, klaube mir einen Stift aus aus meinem Mäppchen und nehme mein Klappbrett mit unbeschriebenen Blätter.
Ich setze mich gegenüber des Jungens.
"Hallo. Ich bin Ralph Henrics, dein Psychiater. Warum bist du hier..." kurz öffne ich die Akte und suche nach seinem Namen. "... Finnigan." Ich lasse die Akte offen liegen.
Finnigan hört auf zu kauen. Er kramt ein altes Papier aus seiner tiefen Hosentasche und spuckt das Kaugummi mit einem schmatzenden Geräusch in den Zeitungsfetzen, denn er gelassen in zurück seine Hosentasche steckt. Er lehnt sich zurück, legt die Arme auf die Lehnen und trohnt nun wie ein König in seinem Schloss auf diesem alten Weidensessel. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich mal kein 08/15 Mädel mit Depressionen vor mir sitzen habe. Ein bisschen Abwechslung tut selbst mir gut.
Finnigan ist inzwischen zufrieden mit seiner Pose, die er wohl ganz bewusst eingenommen hat, denn er beobachtet mich und meine Reaktionen penibel. Ich dagegen lehne mich nur vor und stütze meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel, meinen Kugelschreiber locker in beiden Händen. Ich lasse ihm seine Spielchen durchgehen.

"Erstens: ich heiße Finn."
"Ist notiert."
"Zur eigentlichen Frage: Fragen sie meine anderen Psychiater, die keinen Bock auf mich hatten." Finn fängt an, sein Bein auf und ab zu bewegen. Er ist angespannt, achtsam und auf jede Frage hat dieser Junge wahrscheinlich schon eine schnippische Antwort parat.
"Nun Finn, warum hatten deine anderen Psychiater keine Lust auf dich."
"Ich war ihnen wahrscheinlich einfach nicht krank genug." Finn lächelt. Es ist schon fast pervers. Faszinierend.
"Gab es auch eine Begründung seitens der Ärzte?"
"Ja."
"Die da wäre." Er spielt immernoch. Durchhaltevermögen ist vorhanden.
"Sie hätten keine Ausbildung für Psychopathen."
"Bist du ein Psychopath Finn?"
"Was soll der Scheiß? Ich bin hier, weil alle anderen das wissen wollen." Finn verschränkt die Arme.
Spielen kann ich auch.
"Glaubst du, dass du ein Psychopath bist?"
"Ich hab den Scheiß nicht studiert. Woher soll ich das denn wissen?!" Kurz danach gerät er ins Stocken, wackelt mit seinen knöcheligen Fingern und legt seine Arme wieder auf die Lehnen. Das Verschränken der Arme war eine unewusste Handlung. Finn achtet sehr viel auf Körpersprache.
Ich nicke und lehne mich zurück, sodass mein Rücken am Sessel lehnt.
"Wie viele Ärzte haben sich deiner schon angenommen?"
"Steht das nicht in dieser lächerlichen Akte?"
"Mag schon sein, aber ich rede ja mit dir und lese nicht diese lächerliche Akte." Finn stöhnt, legt seinen rechten Fuß auf seinen linken Oberschenkel und antwortet mir: "Fünf."
"Warum bist du zu dem ersten gegangen?" Finn rollt mit den Augen. "Meine Tante hat mich dahingeschleppt."
"Der zweite Arzt?" "Meine Tante."
"Der Dritte?" "Umzug."
"Was war mit dem vierten Arzt?" "Geschlossene."
"Bin ich dein fünfte Psychiater?" "Ja."
"Warum bist du zu mir gekommen?"
"Meine Tante, Umzug und der Doc aus der Geschlossenen."
Ich lache auf. Finn zieht seine rechte Augenbraue hoch. "Was?" "Nun ja, all diese Auslöser der vorherigen Arztbesuche, kommen bei mir zusammen." Ich grinse immer noch ein bisschen.
"Warum bist du zum ersten Mal zu einem Psychiater gegangen?" Finn rollt erneut mit den Augen. "Sagte ich doch schon: meine Tante."
"Was war denn die Begründung deiner Tante?"
Finn tippt mit seinen knochigen, rauen Fingern auf den breiten Lehnen in einem langsamen Rythmus, seine Sehnen stechen deutlich heraus. Er ist dünn. Das konnte ich bisher wegen seiner schweren Kleidung nicht feststellen.
"Meine Tante meinte, ich hätte ein komisches Verhalten."
Ich nicke einmal kurz und kräftig, dann frage ich weiter. Ich muss ja irgendwo Informationen herbekommen. Die früheren 'nicht für Psychopathen ausgebildeten' Ärzte hatten nämlich einen Scheiß getan, um irgendwas wichtiges mir zukommen zu lassen. Lächerlich.
"Was glaubst du, was dieses komische Verhalten war und oder ist?"
Finn schließt die Augen, zieht beträchtlich viel Luft auf und stößt diese kurze Zeit später wieder aus. Er ist genervt.
"Hören sie: Für mich ist mein Verhalten normal, so wie es für sie normal ist, tagtäglich sich vollquatschen zu lassen, dass Bitch von nebenan den geliebten Kevin vögelt. Ich bin kerngesund, Henrics, und weder ein Psychopath, noch habe ich Bulemie oder eine aufgesplittete Persönlichkeit. Ich bin ein stinknormaler Junge, der Spaß an Gewalt hat. So unnormal ist das nicht. Wenn sie mir beweisen können, dass ich ein Problem hab, dann geben Sie mir Bescheid. Die Nummer meiner Tante haben sie ja." Damit steht Finn auf. Er steuert die Tür hinter mir an und reißt sie auf. Er flucht irgendwas, anscheinend hat er sich den Fuß angestoßen. In dem Moment, in der die blaue Holztür ins Schloss fällt, schließe ich die Akte.

11 September 2011, Ende der 01 Sitzung, 13:33 Uhr

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 11, 2016 ⏰

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