Engel

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Es zogen dunkle Wolken auf und die Bäume wogen auf unheimliche Weise im Wind. Die Schatten der Backstein Häuser wurden dunkler und länger und das Bellen der Hunde schwoll zu einem unheimlichen Jaulen an. 'Das Wesen welches über die Straße schwebte, bringt das Wetter mit.' Dieser Gedanke fuhr dem kleinen Jungen durch den Kopf. Als er es genauer betrachtete wurde er von einer Trauer umgeben und von einer Trauer gelenkt, dessen Ursprung er nicht kannte. Er fühlte den Schmerz des Wesens und bemerkte dabei auch seine Schönheit. Sein Vater hätte das Wesen als engelsgleich beschrieben, also schlussfolgerte er, müsste es so etwas wie ein Engel sein. Andere Menschen die das Wesen erblickten, fingen an zu weinen und sich vor Schmerzen und Pein im Boden zu krümmen. Sie wollten schreien, doch ihr Mund ließ ihre Schreie nicht heraus. Er ließ nur eine schmerzverzerrte Grimasse zu. Der Junge sah einen Mann mit schmerzverrtem Gesicht vom Balkon stürzen und eine Frau schlug sich beim Hinfallen den Kopf am Bordstein an und trotzdem wand sie sich zwar vor Schmerzen, aber die Schmerzen kamen nicht von der Wunde, sondern von Innen. Das Wesen schwirrte unbeirrt weiter. Es war von schwarzen Tüchern umgeben, aber das Gesicht war schneeweiß. Augen, in den schönsten möglichen Farben blickten ihm aus dem Gesicht entgegen umrahmt von rabenschwarzen Wimpern. Die Lippen waren voll und rot, aber der Schmerz der aus den Augen kam gab der Schönheit des Wesens den Rest. Die Augen, die kurz vorm überlaufen waren, starten den Jungen an und schienen ihm warum? Zuzurufen und der Junge wollte antworten, aber er traute sich nicht, weil er Angst hatte das die Augen überlaufen würden und das Wesen nicht nur voller Schmerz schweben würde, sondern das es schreien würde.

Er sah in dem Wesen alles. Eine Mutter die gerade ihr Kind verloren hatte, einen Vater dessen Kind vor seinen Augen erschossen wurden war, einen Künstler dessen Werke zerstört wurden waren, Kinderaugen die nichts zu Essen hatten, Kinderaugen die an ihren eigenen entstellten Körpern runterguckten, Menschen die ihre Häuser niederbrennen sehen, Menschen die einen Fehler begannen hatten und die Menschen die den Weltschmerz fühlten.

Das Wesen blickte ihn an und auch es schien schreien zu vollen, doch auch bei ihm ging es nicht. Das Gesicht schien ihm zu entgleiten und die Augen begangen überzulaufen. Es fing an zu schreien.

Nicht laut, nicht schrill, sondern leise und harmonisch. Wie ein anklagendes Lied. Der Junge merkte wie in seinem Kopf Bilder entstanden, Bilder einer Utopie, einer Welt wie die ihre hätte sein können. Eine in der die Menschen lebten. Sie lebten für sich und waren glücklich und nicht auf der dauerhaften Suche nach stärkerem Glück. Sie wussten alles und machten das Beste draus. Sie lebten ohne ihre Welt zu zerstören. Es kamen Bilder von den Gebäuden des Himmels und der Trauer ihrer Bewohner. Die Gebäude sahen aus wie alte Ruinen und der Himmel war leer. Die umherschwirrenden Wesen überlastet. Und die Gefühlswelle der Wesen überrollte ihn und er spürte alle Fehler dieser Welt und das obwohl er verhältnismäßig nicht mal lange ihr Bewohner war. Und er eigentlich keine Schuld besaß. Weil er war doch noch so jung.

Während das Wesen schrie, fing die Welt zu brennen an. Der Junge roch verbrannte Haare und verbranntes Fleisch und sein Magen holte ihn in die Realität zurück. Er begann auf das Wesen zu zu rennen und es starrte ihn mit überlaufenen Augen an. Als er es erreichte und seine Arme um das Wesen schlang, verstummte es. Er grub sein Gesicht tief in die Tücher des Wesens und roch Blumen und Wiesen, Liebe und Glück. Als er sein Gesicht aus den Tüchern löste, bemerkte er, dass es zu regnen begonnen hatte. Das Wesen guckte ihn an und er sah das Gesicht seiner Mutter in ihm. Sie lächelte.

Das Feuer erlosch und die Menschen begannen zu weinen. Das Wesen verlor sich im Wind und der Junge stand alleine auf der Straße. Die Welt um ihm herum brannte, doch langsam begann der Regen das Feuer zu ersticken. Der Junge hörte die Backstein Häuser und Fabriken einstürzen. Aber er roch nur die Blumen.

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