Es war der erste wirklich sommerliche Tag und die Hitze war fast unerträglich. So gut wie jedes Lebewesen hatte sich in den Schatten oder in das naheliegende Gebäude verkrochen. Fehlten eigentlich nur noch die passende Laune und Ferien. Ich stand nun schon fast eine Stunde in der Schlange vor dem Tresen und mir taten mittlerweile die Beine weh. Ich trat von einem aufs andere und versuchte krampfhaft, die Augen offen zu halten. Mit einem unterdrückten Gähnen streckte ich den Rücken durch. Hitze, früher Morgen und Schlafmangel waren eine wirklich beschissene Kombination. Wobei der Begriff „früher Morgen" während der Mittagspause dann vielleicht doch etwas übertrieben ist. Ich hob den Kopf und versuchte über all die Menschen hinweg auf die Theke der Bar zu schauen, vor der ich auf irgendetwas wartete, das mir den Tag zumindest ein wenig verbessern konnte. Die Schlange wurde zunehmend kürzer und nach ungefähr einer weiteren Viertelstunde kam ich dran. Ich bestellte gleich ein Sixpack Getränkedosen und beeilte mich zum nächstbesten Tisch zu kommen. Ich ließ mich auf die Bank fallen und verstaute fünf Dosen in meiner Tasche. Die letzte öffnete ich und nahm einen langen Schluck, während ich aus dem Fenster hinaus den in Pausenraum starrte. Es schmeckte nach einer Mischung aus nichts, irgendwas bitterem und Zitrone, aber wenigstens war es kalt. Und nun, da ich ausreichend wach war, konnte ich ja endlich meine atemberaubende Geschichte erzählen. War ein Scherz. Wie dem auch sei.
Mein Name ist Night Fyreth. Klingt beschissen, weiß ich selbst. Keine Ahnung, was meine Eltern sich gedacht haben.
»Hey, benennen wir unser Kind nach einer Tageszeit! Wird sicher toll!«
Ich hab noch eine neun Jahre ältere Schwester, Rayne. Sie geht aufs College. Aber zurück zu mir. Ich bin 17, hatte noch nie eine Beziehung und bin auch nicht sonderlich erpicht darauf, eine anzufangen. Bis vor kurzem war ich auf einer normalen Schule, hatte halbwegs normale Freunde und ein halbwegs normales Leben. Ich habe zuhause gesessen und mit meiner keineswegs normalen Schwester Serienmarathons gemacht. (Verflucht seien die Fandoms!) Einer der Gründe für meine schlechten Noten und die dauerhaften Augenringe, die mein Gesicht zierten. Es hätte ewig so weiter gehen können. Allerdings nicht aus Sicht meiner Eltern. Sie beschlossen kurzerhand, mich auf ein Internat in den Bergen zu schicken. Weitab von jeglicher Zivilisation. (Noch etwas, bei dem ich nicht wusste, was sie sich dabei gedacht hatten.) Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte. Ich hatte ohnehin nie viele Freunde gehabt, nicht etwa, weil ich verrückt oder abstoßend war. Ich machte mir einfach nicht viel aus Menschen und versuchte es auch nicht. Sie waren laut, launisch, nervtötend und unhöflich. Sie liefen herum als läge ihnen die ganze Welt zu Füßen und scherten sich um nichts außer ihr eigenes Wohl. Während andere in meinem Alter also zu Partys gingen und sich betranken, blieb ich zuhause und zog mir zum zehnten Mal Indepence Day rein. Wie auch immer, jetzt wohnte ich in einem kleinen Zimmer mit eigenem Bad sowie einer Küchenzeile und meiner Mitbewohnerin Shayleen.Shayleen hatte pinke Haare, den Kopf auf einer Seite rasiert, war sitzen geblieben, leicht reizbar, aggressiv, unhöflich, hasste Befehle und die meisten Leute hatten Angst vor ihr. Meine Eltern würden sie hassen und mir verbieten, mit ihr zu reden. Sie war fantastisch. Als ich an meinem ersten Tag vor genau 4 1/2 Monaten mit genau einem Koffer und einem schwarzen Rucksack durch die Tür kam, hatte sie sich breitbeinig vor mich gestellt, mir die Zähne gezeigt und mich gefragt, ob ich Vegetarierin wäre. (Kleiner Tipp: Wenn euch eine wahnsinnig aussehende Irre mit halb rasiertem Kopf und pinken Haaren breitbeinig und mit gefletschten Zähnen fragt, ob ihr Vegetarier seid, dann ist Nein so gut wie immer die richtige Antwort) Alles in allem hätte es mich also durchaus schlimmer treffen können. Nachdem ich mich an ihre Art gewöhnt hatte, waren wir ins Gespräch gekommen. Ich erfuhr, dass sie seit eineinhalb Jahren hier war und einen älteren Bruder namens Adrian hatte. Er ging ebenfalls auf diese Schule, war aber ein paar Klassen über uns. Ich hatte ihn ein paarmal getroffen und wir verstanden uns gut. An diejenigen, die sich jetzt schon eine herzzerreißende Liebesgeschichte vorgestellt hatten: Ich muss euch enttäuschen. Ihr erinnert euch an die Beziehungssache? Gut. Ich hatte Jungs sowieso immer nur als weitere Menschen und hin und wieder sogar als Kumpel empfunden, doch eine Beziehung? Lasst mich damit bloß in Ruhe. Sowas krieg ich sowieso nicht hin. Shayleen hatte mir das ebenfalls oft genug gesagt. Hatte ich zu ihren Charaktereigenschaften auch nicht vorhandenes Feingefühl hinzugefügt? Und so saßen wir, anstatt mit ihnen auf Partys zu gehen, jeden Abend in unserem Zimmer, schauten uns auf meinem eingeschmuggelten Laptop Filme an oder spielten Brettspiele, während aus dem Radiowecker Musik kam. Denn den konnte man uns in diesem scheiß altmodischen Internat nämlich nicht verbieten.
So hatte sich mein Leben also von schlechten Noten, wenigen Freunden, meiner irren Schwester und meinen Workaholic- Eltern in unserem modernen Haus zu einem Leben mit immer noch schlechten Noten, noch weniger Freunden, keiner Schwester, keinen fürsorglichen Eltern und einer Einzimmerwohnung inklusive einer Lesbe mit Aggressionsproblemen geändert. Und ich fand es super.
Mehr gab es nicht zu sagen und nun saß ich in der einzigen Bar auf dem Campus, wartete auf Shayleen und trank im Grunde Pisse aus der Dose, bei der mittlerweile auch noch die Kohlensäure raus war. Ja, mein Leben war der Hammer. In der Bar war es überhitzt, laut und man bekam Atemnot. Trotz des Lärms hörte ich lautes Gefluche von der Tür und einige darauffolgenden Beleidigungen. Shell war also doch noch gekommen. Sie quetschte sich zwischen zwei Typen durch und ließ sich mir gegenüber auf die Bank fallen. Das pinke Haar klebte ihr vor Schweiß an der Stirn, ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen schmal vor Wut. »Können diese Spacken nicht mal einer Dame Platz machen?! Hilfsbereitschaft ist denen auch ein Fremdwort, oder?«
Ich hörte gelassen zu und grinste leicht.
»Wieso, wer wollte denn durch?«
Ihr wütender Blick kam nun zu mir und sie holte gerade Luft, als ihr Blick auf die Dose in meiner Hand fiel. Sie starrte sie an. » Haste noch eine? Es ist echt scheiße heiß draußen, da trink ich sogar sowas.«
Wortlos griff ich in meine Tasche und warf ihr eine der anderen Dosen zu. Gierig öffnete sie den Deckel und kippte sich die fahle Flüssigkeit in den Rachen. Langsam war ich froh, die ganze Zeit über drinnen gewesen zu sein. Als sie fertig war, knallte sie die Dose auf die Tischplatte und ein zufriedener Ausdruck trat in ihr Gesicht. Gerade als sie zu einem neuen Wortschwall ansetzen wollte, ertönte ein lauter Knall, die Erde bebte und alles wurde dunkel. Das sieht übel aus. Schöne Scheiße.
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The Night Chronicles (Pausiert wegen Stress und Ideenlosigkeit)
Ciencia FicciónInvasion der Aliens? Als ob irgendein normaler, logisch denkender Mensch an sowas glaubt. Klingt schließlich auch wie aus dem Mund eines Irren. Das hätte ich bis vor kurzem zumindest noch gesagt. Aber die Dinge haben sich geändert. Und auch, wenn es...