Wonderwall

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"War das Marlon?"
Sofie lässt sich zurück auf die Bank fallen und legt das iPhone verkehrt herum auf den Tisch. Ich betrachte die Kunststoffhülle, darauf eine Blume abgebildet, die denselben Türkis-Ton, wie ihre Nägel trägt, und durch die das silberne Metall der Rückseite schimmert und ich frage mich, ob es lediglich Zufall ist oder ob sie ernsthaft ihre Nägel passend zu einer Hülle lackiert. Zuzutrauen ist es ihr.

Sof nickt mit einem verliebten Grinsen, welches durch ihre aufeinander gedrückten Lippen halb versteckt wird.
"Er hat nur gefragt, ob wir uns später noch sehen."
Ich ziehe irritiert meine Augenbrauen zusammen. "Ihr... geht auf dieselbe Schule." Am Ende dieser Feststellung achte ich darauf, meine Stimme wie bei einer Frage hochzuziehen, um deutlich zu machen, dass seine Frage überflüssig war, "Habt ihr nicht später sogar noch zusammen Training?"
So wie jeden Montag und jeden Donnerstag. Schwimmtraining.
Marlons wohl größte Leidenschaft und riesiger Bestandteil seines Lebens und Sofies Versuch, ihren ewigen Schwarm auf sich aufmerksam zu machen, wenn sie sich ebenfalls einschrieb - erfolgreich. Sie steht seit der sechsten Klasse ununterbrochen auf ihn (und Zac Efron) und nun sind sie seit einem Monat offiziell ein Paar, was sie natürlich jeden wissen lässt und ihre Schwärmerei eigentlich nur noch verstärkt.
Ich korrigiere, fast einem Monat, denn das Jubiläum hätte sie auch mir als ihrer besten Freundin mit noch längeren Redeschwallen, als üblich, unvergesslich gemacht.
"Ja, schon, aber er hat mich vermisst und wollte meine schöne Stimme hören."
Bei den letzteren Worten äfft sie seine tiefe Stimme nach und grinst anschließend mit klimpernden Augenlidern vom einem bis zum anderen Ohr.
Ich kann mir ganz genau ausmalen, wie Marlon das gesagt hat, mit seinem Handy am Ohr, schmalzige Stimmlage und seiner linken Augenbraue, die unkontrolliert hoch zuckt, wenn er spricht. Merkt der das überhaupt? Und wie kann Sofie das nicht wahnsinnig machen? Mich macht es wahnsinnig. Wäre er nicht ebenso wahnsinnig nett, hätte ich ihm die Braue schon abgerissen.
Es dongt und wir schultern unsere Taschen, während ich so tue, als würde ich mir den Finger in den Hals schieben, sie mir kichernd gegen den Oberarm schlägt und anschließend ihre langen, blonden Haare zurückwirft, wie in einer Shampoo-Werbung.

Ich freue mich zwar unglaublich für sie (schließlich haben somit ihre endlosen Kuppler-Versuche, in die ich wahllos integriert wurde, ein Ende), eklig finden darf ich es trotzdem. Schließlich ging meine eigene Beziehung erst vor Kurzem in die Brüche, was Sofie wohl in diesem Moment auch wieder einfällt.
"Wie geht es dir eigentlich wegen... du weißt schon." Sie sieht mich prüfend von der Seite an, doch ich starre stur weiterhin nach vorne auf den Flur der Fachräume zu.
"Mein Ex ist nicht Lord Voldemort, du darfst seinen Namen ruhig laut aussprechen.", antworte ich ehrlich, "aber es ist alles okay." - "Bist du sicher? Es ist erst eine Woche her..."
Sofie macht sich immer schrecklich viele Sorgen. Viel zu viele. So wie gerade, als sich ihre Stirn kräuselt und ich ihr Mitleid fast schon greifen kann. Klar, schön war es nicht gerade, von einem Seitensprung zufällig durch seinen blöden und restlos besoffenen, besten Freund zu erfahren und dann noch nicht mal den Ansatz einer Entschuldigung zu hören, sondern, dass es meine alleinige Schuld war, begleitet von einem klassischen "Ich bin doch auch nur ein Mann.", was mir den Rest gab.
Und ich bin auch nur eine Frau. Schön, dass wir die Geschlechterrollen geklärt hatten.

"Ich bin mir sicher.", bestätige ich mich selbst und hake somit das Thema ab, da wir nun unterschiedliche Kurse haben. "Bis später", murmelt Sof voller nicht vorhandener Vorfreude auf ihren Unterricht und verschwindet im Biologie Raum, während ich zu Chemie abbiege.
Ich nehme mir eins von den Büchern, die schon fast auseinander zu fallen scheinen, aus dem Schrank und setze mich damit auf meinen Platz am Fenster. Da ich eine der Ersten im Raum bin, beobachte ich die anderen Schüler, die nach und nach eingetrudelt kommen und schließlich Herr Dr. Petrow, ein kleiner, dicklicher Russe und mein Chemielehrer. Ich würde ihn fast meinen Lieblingslehrer nennen, wäre er nicht eben ein Lehrer, ein Pädagogisches Wesen, was es mir schlichtweg unmöglich machte, ihn als "Lieblings"-Irgendwas zu betiteln. Trotzdem ist sein Akzent ziemlich niedlich, bei dem er sich alle Mühe gibt, ihn zu kaschieren. Vergebens.
"Heute ist ein schöner Tag.", begrüßt er uns breit lächelnd und "R"-rollend und reibt die Handflächen aneinander. "Wir fangen direkt an mit..."
Er wird davon unterbrochen, dass die Tür erneut aufgedrückt wird und laut wieder zufällt. Oh bitte nicht.
"Äh... Sorry, ich habe den Raum nicht gefunden." Du hast den Raum nicht gefunden? Du bist 6 Jahre auf diese Schule gegangen, ehe du dich verpisst hast.
"Das macht doch nichts. Wie heißt denn der Neue in meinem Kurs?", will der Russe "R"-rollend wissen. "Bohlmann, Johnas Bohlmann."
Es brennt. Die Worte, sein Name. Er brennt, in mir drin, in meinen Adern und ich spüre, wie ich verkrampfe. Ich höre ihn das erste Mal, ihn und seinen Namen, seit einem Jahr. Seit er fort war. Dreihundertfünfundsechzig Tage, in denen wohl jeder bereits in den ersten Zwei gemerkt hatte, dass es keine gute Idee war, seinen Namen in meiner Gegenwart auch nur beiläufig zu erwähnen. Und wenn nicht, habe ich denjenigen das spüren lassen.
Und nun ist es wie eine Droge, von der man einst abhängig, dann jahrelang clean war und die einem jetzt plötzlich, unerwartet die volle Dröhnung verpasst.
"Na dann, Herr Bohlmann.", wird "R"-rollend weitergemacht, "Dort neben Frau Gretz ist noch ein Platz frei."
Moment mal, das bin ich.
Oh bitte nicht. Oh bitte, bitte nicht.
Sein moosfarbener Blick hat mich bereits erfasst und ich verkrampfe noch mehr, viel mehr, je näher er kommt. Und ich sehe ihm an, dass er es nicht gern tut und weiß nicht, ob das hilft, doch er setzt sich und unsere Schenkel berühren sich fast.
Herr Petrow kann sich nun endgültig jegliches "Lieblings-" in der Verbindung mit ihm abschminken.

Sein Eigengeruch umhüllt mich und ich sträube mich, vergesse kurzfristig wie man atmet. Doch ich kann nichts dagegen tun und werde mit dem Duft mit Milliarden Erinnerungen auf einmal bombardiert und habe keinen Bunker. Ich schreie meinen Kopf an, doch er singt weiterhin dieses mehr als unpassende, beknackt schnulzige Lied, was ich mit ihm verbinde, wie ein Kassettenrekorder, an dem die "Pause"-Taste kaputt ist.
Das Lied, das wir geliebt haben, solange es ein Wir gab.
"Today is gonna be the day that they're gonna throw it back to you. By now you should've somehow realized what you gotta do. I don't believe that anybody feels the way I do about you now."
Oh bitte nicht.
Nicht auch noch Oasis.

Manches ändert sich nie.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt